Выбрать главу

Er ließ den Mann los, und dieser blinzelte, schluckte, wandte sich ab und stakste steif und unbeholfen in die Dunkelheit.

Keuchend wandte sich William den anderen zu, doch ihre Gewaltgelüste waren genauso schnell verflogen, wie sie über sie gekommen waren. Der eine oder andere warf noch einen Blick auf die Frau – sie war jetzt ganz still –, trat beklommen auf der Stelle oder murmelte unzusammenhängende Worte. Keiner sah dem anderen in die Augen.

Er war sich vage bewusst, dass Adam wieder an seiner Seite war, zitternd vor Schock, aber standhaft. Er legte seinem Vetter, der kleiner war als er selbst, die Hand auf die Schulter und ließ sie nicht mehr los, denn auch er zitterte, als sich die Männer nun entfernten. Der Mann, der auf der Straße saß, erhob sich langsam erst auf alle viere, dann stand er auf und schwankte seinen Kameraden hinterher. Er taumelte von Hauswand zu Hauswand, bis er in der Dunkelheit verschwand.

In der Gasse wurde es still. Das Feuer war erloschen. Die anderen roten Laternen entlang der Straße waren gelöscht. Er hatte das Gefühl, an Ort und Stelle festgewachsen zu sein, sodass er für ewig an diesem hasserfüllten Ort stehen musste – doch Adam setzte sich in Bewegung, Williams Hand sank seinem Vetter von der Schulter, und er stellte fest, dass ihn seine Füße trugen.

Sie wandten sich ab und gingen schweigend durch die dunklen Straßen. Sie passierten einen Posten, wo einige Soldaten um ein Feuer herumstanden und beiläufig Wache hielten. Es war ihre Aufgabe, in der besetzten Stadt für Ordnung zu sorgen. Die Wachtposten sahen sie zwar an, hielten sie aber nicht auf.

Im Schein des Feuers sah er die feuchten Spuren in Adams Gesicht und begriff, dass sein Vetter weinte.

Und er weinte auch.

Kapitel 11

Schräglage

Fraser’s Ridge

März 1777

Die Welt war triefend nass. Schmelzwasser stürzte in Bächen den Berg hinunter, Gras und Blätter waren taufeucht, und die Dachschindeln dampften in der Morgensonne. Unsere Vorbereitungen waren abgeschlossen, und die Pässe waren frei. Es blieb nur noch eines zu tun, bevor wir gehen konnten.

»Heute vielleicht?«, fragte Jamie hoffnungsvoll. Er war nicht für das friedvolle Meditieren geschaffen; wenn er sich einmal für eine Handlungsweise entschlossen hatte, wollte er auch zügig handeln. Unglücklicherweise jedoch fehlt einem Baby jeglicher Sinn für den passenden Zeitpunkt oder die Ungeduld der Erwachsenen.

»Vielleicht«, sagte ich und kämpfte selbst darum, nicht ungeduldig zu werden. »Vielleicht auch nicht.«

»Ich habe sie letzte Woche gesehen, und da hat sie ausgesehen, als würde sie jede Minute explodieren, Tante Claire«, merkte Ian an und reichte Rollo den letzten Bissen seines Muffins. »Kennst du diese Pilze? Die großen runden? Man berührt sie, und puff!« Er schnippte mit den Fingern und verstreute dabei Muffinkrümel. »Einfach so.«

»Sie bekommt aber nur eines, oder?«, fragte mich Jamie stirnrunzelnd.

»Ich habe dir doch gesagt – und zwar schon sechsmal –, ich glaube, ja. Ich hoffe es jedenfalls«, fügte ich hinzu und verkniff es mir, mich zu bekreuzigen. »Aber man kann nichts mit Bestimmtheit sagen.«

»Zwillinge sind erblich«, warf Ian hilfreicherweise ein.

Jetzt bekreuzigte sich Jamie.

»Ich habe aber nur einen Herzschlag gehört«, wandte ich ein, um Beherrschung bemüht, »und ich habe sie monatelang abgehört.«

»Kannst du nicht die Körperteile zählen, die vorstehen?«, erkundigte sich Ian. »Ich meine, wenn es so aussieht, als hätte es sechs Beine …«

»Leichter gesagt als getan.« Natürlich konnte ich die allgemeinen Umrisse des Kindes ausmachen – ein Kopf war einigermaßen einfach zu ertasten, genau wie die Pobacken; Arme und Beine waren ein wenig problematischer. Genau das war es, was mir im Moment enormes Kopfzerbrechen bereitete.

Während des letzten Monats hatte ich Lizzie einmal in der Woche untersucht – und während der letzten Woche war ich jeden zweiten Tag zu ihrer Hütte hinaufgegangen, obwohl es ein langer Fußweg war. Das Kind – und ich glaubte wirklich, dass es nur eines war – kam mir sehr groß vor; der Muttermund befand sich noch um einiges höher, als er meiner Meinung nach hätte sein sollen. Es kam zwar häufig vor, dass Babys in den Wochen vor der Geburt die Lage wechselten, doch dieses hier verharrte nun schon besorgniserregend lange in Schräglage – es lag quer in ihrem Bauch.

Und es war nun einmal so, dass ich ohne Krankenhaus, OP oder Anästhesie nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten hatte, mit einer unorthodoxen Geburt umzugehen. Ohne chirurgische Intervention hatte eine Hebamme bei einer Schräglage vier Alternativen: die Frau nach tagelangen qualvollen Wehen einfach sterben zu lassen; die Frau nach einem Kaiserschnitt ohne die Segnungen der Anästhesie oder Sterilität sterben zu lassen – dabei aber möglicherweise das Baby zu retten; möglicherweise die Mutter zu retten, indem sie das Kind im Mutterleib tötete und es dann stückweise entfernte (Daniel Rawlings hatte mehrere – illustrierte – Seiten in seinem Buch gehabt, die diese Prozedur beschrieben), oder eine interne Wendung zu versuchen, um das Baby in eine Lage zu drehen, in der es geboren werden konnte.

Während die letzte Option, oberflächlich betrachtet, die verlockendste war, konnte sie durchaus genauso gefährlich sein wie die anderen und zum Tod von Mutter und Kind führen.

Ich hatte vorige Woche eine externe Wendung versucht, und es war mir – unter Schwierigkeiten – gelungen, das Kind kopfunter zu drehen. Zwei Tage später hatte es sich wieder zurückgedreht, denn anscheinend lag es gern auf dem Rücken. Möglich, dass es sich von selbst wieder drehte, bevor die Wehen einsetzten – oder aber auch nicht.

Die Erfahrung hatte mich gelehrt, zwischen sinnvoller Planung für Notfälle und nutzloser Sorge um Dinge zu unterscheiden, zu denen es vielleicht niemals kam, sodass ich nachts noch schlafen konnte. Während der letzten Woche hatte ich jedoch jeden Abend bis weit nach Mitternacht wach gelegen und mir vorgestellt, dass sich das Kind nicht rechtzeitig drehen würde, um dann diese kurze, trostlose Liste der Möglichkeiten durchzugehen und vergeblich nach einem anderen Weg zu suchen.

Wenn ich Äther hätte … doch alles, was ich hatte, war beim Brand des Hauses vernichtet worden.

Lizzie umbringen, um das Kind zu retten? Nein. Wenn es so weit kam, war es besser, das Kind in utero zu töten, damit Rodney seine Mutter behielt und Jo und Kezzie ihre Frau. Aber die Vorstellung, einem geburtsreifen Baby den Schädel einzudrücken – oder es mit einer scharfen Drahtschlinge zu enthaupten …

»Hast du heute Morgen keinen Hunger, Tante Claire?«

»Äh … nein. Danke, Ian.«

»Du siehst ein wenig blass aus, Sassenach. Du wirst doch nicht krank, oder?«

»Nein!« Ich stand hastig auf, bevor sie weiterfragen konnten – es reichte völlig, wenn mir vor den Dingen graute, die mir durch den Kopf gingen –, und ging einen Eimer Wasser vom Brunnen holen.

Amy war draußen; sie hatte unter dem großen Waschkessel Feuer gemacht und hielt Aidan und Orrie auf Trab, die hin und wieder beim Holzsammeln innehielten, um sich gegenseitig mit Dreck zu bewerfen.

»Braucht Ihr Wasser, a bhana-mhaighstir?«, fragte sie, als sie den Eimer in meiner Hand sah. »Aidan kann es Euch holen.«

»Nein, schon gut«, versicherte ich ihr. »Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen. Es ist morgens jetzt so herrlich draußen.« Das stimmte; es war zwar immer noch kühl, bis die Sonne hoch am Himmel stand, aber frisch, und es roch schwindelerregend gut nach Gras, harzgetränkten Knospen und frühen Weidenkätzchen.

Ich trug meinen Eimer zum Brunnen hinauf, füllte ihn und machte mich langsam wieder auf den Rückweg. Dabei betrachtete ich meine Umgebung so, wie man etwas betrachtet, wenn man weiß, dass man es lange Zeit nicht mehr wiedersehen wird. Wenn überhaupt.