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»Mein Gott, steh mir bei«, murmelte sie.

Jamie hatte nicht wieder einschlafen können. Er schlief in letzter Zeit ohnehin schlecht und lag oft lange wach. Dann sah er dem Verglimmen der Glut im Kamin zu und hing seinen Gedanken nach, oder er suchte in den Schatten der Deckenbalken nach Weisheiten. Wenn er problemlos einschlief, wurde er oft später plötzlich in Schweiß gebadet wach. Woher das kam, wusste er jedoch, und auch, was er dann tun musste.

Die meisten seiner Einschlafstrategien hatten jedoch irgendwie mit Claire zu tun – sich mit ihr zu unterhalten, mit ihr zu schlafen … oder ihr einfach nur beim Schlafen zuzusehen und sich beim Anblick ihres langen, geschwungenen Schlüsselbeins zu trösten oder ihrer herzerweichend schönen geschlossenen Augenlider, bis sich in ihrer friedvollen Wärme der Schlaf über ihn senkte.

Doch jetzt war Claire nicht da.

Nach halbstündigem Rosenkranzgebet gelangte er zu der Überzeugung, dass er in dieser Hinsicht für Lizzie und das kommende Kind getan hatte, was notwendig und wünschenswert war. Den Rosenkranz als Akt der Buße zu beten – aye, darin sah er einen Sinn, vor allem, wenn man ihn auf den Knien beten musste. Oder um innere Ruhe zu finden, die Seele zu wappnen oder bei der Meditation über heilige Fragen Einsicht zu suchen, aye, auch das. Aber nicht als Bittgebet. Wenn er Gott wäre oder auch die Heilige Jungfrau, die ja für ihre Geduld berühmt war, würde er es langweilig finden, jemandem dabei zuzuhören, wie er über eine Dekade hinweg ein und dieselbe Bitte wiederholte, und es war doch wohl wenig sinnvoll, jemanden zu langweilen, den man um Hilfe ersuchte?

Die gälischen Gebete hingegen erschienen ihm für diesen Zweck sehr viel besser geeignet zu sein, da sie sich auf eine bestimmte Bitte oder Segnung konzentrierten, abwechslungsreicher waren und einen angenehmeren Rhythmus hatten. Falls man ihn fragte; nicht dass es wahrscheinlich war, dass das jemand tat.

Moire gheal is Bride;

Mar a rug Anna Moire,

Mar a rug Moire Criosda,

Mar a rug Eile Eoin Baistidh

Gun mhar-bhith dha dhi,

Cuidich thusa mise ’m asaid,

Cuidich mi a Bhride!

Mar a gheineadh Criosd am Moire

Comhliont air gach laimh,

Cobhair thusa mise, mhoime,

An gein a thoir bho ’n chnaimh;

’s mar a chomhn thu Oigh an t-solais,

Gun or, gun odh, gun ni,

Comhn orm-sa, ’s mor m’ othrais,

Comhn orm a Bhride!

So murmelte er im Gehen vor sich hin.

Maria, Du Gute, und Bride;

Wie Anna Maria geboren hat,

Wie Maria Christus geboren hat,

Wie Eile Johannes den Täufer geboren hat

Ohne einen Fehler,

So steh du ihr in den Wehen bei,

Steh ihr bei, o Bride!

So wie Christus von Maria empfangen wurde

Vollkommen von Kopf bis Fuß,

So steh auch du mir bei, große Mutter,

Das Empfangene zur Welt zu bringen;

Und wie du der seligen Jungfrau geholfen hast,

Nicht gegen Gold, nicht gegen Korn, nicht gegen Vieh,

So hilf auch ihr, groß ist ihr Leiden,

Hilf ihr, o Bride!

Er hatte die Hütte verlassen, weil er die drückende Enge nicht ertragen konnte, war im fallenden Schnee nachdenklich in Fraser’s Ridge umhergewandert und war dabei im Kopf seine Listen durchgegangen. Doch es blieb dabei, dass sämtliche Vorbereitungen getroffen waren, abgesehen vom Beladen der Pferde und Maultiere, und ohne so recht darüber nachzudenken, fand er sich auf dem Pfad zur Hütte der Beardsleys wieder. Es schneite nicht mehr, sondern ein grauer, sanfter Himmel erstreckte sich über ihm, und kaltes Weiß lag lautlos auf den Bäumen und ließ das Rauschen des Windes verstummen.

Zuflucht, dachte er. Natürlich war es das nicht – in Kriegszeiten gab es keinen sicheren Ort –, doch die Atmosphäre der Nacht auf dem Berg erinnerte ihn an die Atmosphäre in einer Kirche; ein großer Raum, der abwartete.

Notre-Dame in Paris … St. Giles in Edinburgh. Die kleinen Steinkirchen in den Highlands, die er manchmal in seiner Zeit als Geächteter besucht hatte, wenn er es für sicher hielt. Er bekreuzigte sich bei dieser Erinnerung; die nackten Steine, im Inneren oft nicht mehr als ein Holzaltar – und doch Erleichterung beim Eintreten, und dann hockte man auf dem Boden, wenn es keine Bank gab – saß einfach nur da und wusste, dass man nicht allein war. Zuflucht.

Ob ihn der Gedanke an Kirchen oder der an Claire daran erinnerte: Er dachte noch an eine andere Kirche – die Kapelle, in der sie geheiratet hatten, und bei dieser Erinnerung musste er grinsen. Kein friedvolles Abwarten, nein. Er konnte heute noch spüren, wie sein Herz wie Donner gegen seine Rippen gehämmert hatte, als er eintrat, konnte seinen Schweiß riechen – er hatte gestunken wie ein Ziegenbock und gehofft, dass sie es nicht bemerkte – und war nicht imstande, tief durchzuatmen. Konnte ihre Hand in der seinen spüren, ihre kleinen, eiskalten Finger, die sich Halt suchend an ihn klammerten.

Zuflucht. Das waren sie seitdem füreinander. Blut von meinem Blut. Der kleine Schnitt war längst verheilt, doch er rieb sich über die Daumenwurzel und erinnerte sich lächelnd daran, wie selbstverständlich sie das gesagt hatte.

Er kam in Sichtweite der Hütte und sah Joseph Wemyss auf der Veranda warten. Der Mann hatte die Schultern hochgezogen und trat von einem Fuß auf den anderen, um sich zu wärmen. Er war gerade im Begriff, Joseph anzusprechen, als sich die Tür öffnete und einer der Beardsley-Zwillinge – Himmel, was machten die beiden denn in der Hütte? – den Arm ausstreckte und seinen Schwiegervater nach innen zog. Vor Aufregung hätte er ihn fast umgerissen.

Und es war Aufregung, nicht Schmerz oder Angst; er hatte das Gesicht des Jungen im Feuerschein deutlich gesehen. Er stieß ein weißes Atemwölkchen aus und begriff erst jetzt, dass er die Luft angehalten hatte. Das Kind war also da, und es hatte überlebt, genau wie Lizzie.

Er ließ sich gegen einen Baum fallen und berührte den Rosenkranz an seinem Hals.

»Moran taing«, sagte er leise, ein knappes Dankgebet, das jedoch von Herzen kam. In der Hütte hatte jemand neues Holz auf das Feuer gelegt; aus dem Kamin stob ein Funkenregen auf, der den Schnee rot und golden aufleuchten ließ. Wenn ein Funke zu Boden fiel, erstarb er zu einem schwarzen Zischen.

Der Mensch wird zum Unheil geboren wie die Funken, die gen Himmel fliegen. Diese Zeile aus dem Buch Hiob hatte er im Gefängnis oft gelesen, und er hatte sie nie so recht verstanden. Im Allgemeinen richteten Funken, die nach oben flogen, eigentlich kein Unheil an, es sei denn, man hatte sehr trockene Dachschindeln; es waren die Funken, die geradewegs aus der Feuerstelle stoben, die ein Haus in Brand setzen konnten. Oder falls der Verfasser nur sagen wollte, dass es in der Natur des Menschen lag, in Unheil verwickelt zu werden – was ja seiner eigenen Erfahrung nach eindeutig der Fall war –, dann sollte sein Vergleich etwas Unausweichliches ausdrücken und bedeuten, dass Funken immer nach oben flogen – was nicht stimmte, wie jeder bestätigen konnte, der schon einmal ein Feuer länger beobachtet hatte.

Dennoch, wer war er schon, dass er die Logik der Bibel kritisierte, während er doch Psalmen des Lobpreises und der Dankbarkeit aufsagen sollte? Er versuchte, sich einen solchen ins Gedächtnis zu rufen, doch er war viel zu zufrieden, um sich an mehr als Bruchstücke zu erinnern.