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»Sie ist nicht allein«, flüsterte er und streckte einen Finger aus, um das Postskriptum nachzuzeichnen, das wieder in Jamies krakeliger Schrift verfasst war. »Keiner von ihnen ist allein. Und ob sie ein Dach über dem Kopf haben oder nicht – sie sind beide zu Hause.«

Ich legte den Brief beiseite. Zeit genug, ihn später zu beenden, dachte ich. Ich hatte während der letzten Tage nur daran gearbeitet, wenn es meine Zeit zuließ; es war ja schließlich nicht so, als hätten wir Eile gehabt, den Briefkasten vor der Leerung zu erwischen. Ich lächelte ein wenig bei diesem Gedanken, faltete die Blätter vorsichtig zusammen und steckte sie in meine neue Arbeitstasche, um sie dort aufzubewahren. Ich wischte den Federkiel sauber und legte ihn beiseite, dann rieb ich mir die schmerzenden Finger und erfreute mich noch einen Moment an dem sehnsüchtigen Gefühl der Nähe, das ich beim Schreiben empfand. Mir fiel das Schreiben sehr viel leichter als Jamie, aber Fleisch und Blut hatten nun einmal ihre Grenzen, und es war ein sehr langer Tag gewesen.

Ich blickte zu dem Strohlager auf der anderen Seite des Kaminfeuers hinüber, wie ich es alle paar Minuten machte, doch sie war ruhig. Ich konnte ihre Atmung hören, ein keuchendes Gurgeln, das in derart langen Abständen kam, dass ich jedes Mal hätte schwören können, sie wäre zwischendurch gestorben. Doch das war sie nicht, und meiner Einschätzung nach würde es auch in nächster Zeit nicht geschehen. Ich hoffte nur, dass sie sterben würde, bevor mein begrenzter Vorrat an Laudanum zu Ende ging.

Ich wusste nicht, wie alt sie war; sie sah aus wie hundert oder so, doch es war gut möglich, dass sie jünger war als ich. Ihre beiden jugendlichen Enkelsöhne hatten sie vor zwei Tagen hergebracht. Sie kamen aus den Bergen und hatten vorgehabt, ihre Großmutter zu Verwandten in Cross Creek zu bringen, bevor sie nach Wilmington weiterzogen, um sich dort der Miliz anzuschließen. Doch es hatte ihre Großmutter »böse erwischt«, wie sie es ausdrückten, und jemand hatte ihnen erzählt, dass es in Fraser’s Ridge eine Heilerin gab. Also hatten sie sie zu mir gebracht.

Großmütterchen MacLeod – einen anderen Namen hatte ich nicht für sie; die Jungen hatten nicht daran gedacht, ihn mir zu sagen, bevor sie wieder aufbrachen, und ihr Zustand erlaubte es nicht, dass sie es selbst tat – hatte mit großer Sicherheit irgendeine Krebsart im Endstadium. Ihr Körper war abgemagert, ihr Gesicht selbst in der Bewusstlosigkeit vor Schmerz verzerrt, und ich konnte es dem Grauton ihrer Haut ansehen.

Das Feuer war heruntergebrannt; ich sollte es wieder anfachen und einen frischen Kiefernscheit auflegen. Doch Jamies Kopf ruhte an meinem Knie. Konnte ich den Holzstapel erreichen, ohne ihn zu stören? Ich legte ihm sacht die Hand auf die Schulter, um mich abzustützen, und reckte mich, bis ich mit den Fingerspitzen gerade eben an das Ende eines kleinen Scheites gelangte. Ich bohrte mir die Zähne in die Unterlippe, während ich das Holzstück vorsichtig befreite, und schaffte es, mich so weit vorzubeugen, dass ich es in den Kamin stoßen konnte. Schwarzrote Glut stob auf, und die Funken stiegen in Wolken auf.

Jamie regte sich unter meiner Hand und murmelte etwas Unverständliches, doch als ich dann das Holz ganz in das Feuer schob und mich wieder in meinem Sessel zurücklehnte, seufzte er, machte es sich erneut bequem und sank abermals in den Schlaf.

Ich blickte zur Tür und lauschte, hörte aber nichts außer dem Rascheln der Bäume im Wind. Natürlich, dachte ich, es konnte nichts zu hören geben, denn es war schließlich Ian, auf den ich wartete.

Er und Jamie hielten abwechselnd Wache, versteckt zwischen den Bäumen oberhalb der verbrannten Ruine des Haupthauses. Ian war seit über zwei Stunden draußen; es war Zeit, dass er hereinkam, um etwas zu essen und sich am Feuer zu wärmen.

»Jemand hat versucht, die weiße Sau umzubringen«, hatte er vor drei Tagen mit verwunderter Miene beim Frühstück verkündet.

»Was?« Ich reichte ihm eine Schüssel Porridge, der mit einem Klümpchen schmelzender Butter und etwas Honig garniert war – zum Glück waren meine Honigfässchen und die Kisten mit dem Bienenwachs im Kühlhaus gewesen, als sich der Brand ereignete. »Bist du sicher?«

Er nickte, während er das Schüsselchen entgegennahm und selig den Dampf einatmete.

»Aye, sie hat eine Schnittwunde an der Flanke. Nicht tief, und sie ist schon wieder fast verheilt, Tante Claire«, fügte er mit einem Kopfnicken in meine Richtung hinzu, weil er offenbar das Gefühl hatte, dass ich das medizinische Wohlbefinden der Sau mit demselben Interesse betrachtete wie das jedes anderen Bewohners von Fraser’s Ridge.

»Oh? Gut«, sagte ich, obwohl es herzlich wenig gab, was ich hätte tun können, wenn die Wunde nicht von selbst verheilte. Ich konnte – und musste – Pferde, Kühe, Ziegen, pelzige Nager und sogar hin und wieder ein Huhn verarzten, das keine Eier legte, doch dieses Schwein war auf sein eigenes Glück angewiesen.

Amy Higgins bekreuzigte sich bei der Erwähnung der Sau.

»Wahrscheinlich war es ein Bär«, sagte sie. »Sonst würde das nichts und niemand wagen. Aidan, hör auf das, was Mr Ian sagt! Lauf nicht weit fort, und pass draußen auf deinen Bruder auf.«

»Bären schlafen im Winter, Mama«, sagte Aidan geistesabwesend. Seine Aufmerksamkeit galt einem neuen Kreisel, den Bobby für ihn geschnitzt hatte. Es war ihm noch nicht gelungen, ihn richtig laufen zu lassen. Er schielte das Spielzeug an, stellte es vorsichtig auf den Tisch, hielt einen atemlosen Moment lang die Schnur fest und riss dann daran. Der Kreisel schoss über den Tisch, prallte mit einem deutlichen Krack vom Honigtöpfchen ab und hielt mit Höchstgeschwindigkeit auf die Milch zu.

Ian streckte die Hand aus und fing den Kreisel in letzter Sekunde auf. Kauend winkte er Aidan zu, ihm die Schnur zu reichen, wickelte sie wieder auf und ließ den Kreisel mit einer geübten Bewegung seines Handgelenks schnurgerade über die Mitte des Tischs laufen. Aidan sah mit offenem Mund zu und verschwand unter dem Tisch, als der Kreisel über die Kante fiel.

»Nein, es war kein Tier«, sagte Ian, dem es jetzt endlich gelang zu schlucken. »Es war ein gerader Schnitt. Irgendjemand ist mit einem Messer oder einem Schwert auf sie losgegangen.«

Jamie blickte von dem angebrannten Toastbrot auf, das er gerade untersuchte.

»Hast du seine Leiche gefunden?«

Ian grinste kurz, schüttelte aber den Kopf.

»Nein, wenn sie ihn umgebracht hat, hat sie ihn gefressen – und ich habe keine Überreste gefunden.«

»Schweine fressen furchtbar unordentlich«, merkte Jamie an. Er biss vorsichtig in das angebrannte Brot, verzog das Gesicht und aß es trotzdem.

»Ein Indianer vielleicht?«, fragte Bobby. Klein Orrie versuchte, sich von Bobbys Schoß zu befreien; sein Vater tat ihm den Gefallen und setzte ihn auf seinen Lieblingsplatz unter dem Tisch.

Jamie und Ian wechselten einen Blick, und ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sacht sträubten.

»Nein«, antwortete Ian. »Die Cherokee hier kennen sie alle gut und würden sie nicht mit der Feuerzange anfassen. Sie glauben, dass sie ein Dämon ist, aye?«

»Und Indianer auf Streifzügen aus dem Norden würden Pfeile oder Tomahawks haben«, beendete Jamie diesen Gedankengang.

»Seid Ihr sicher, dass es kein Panther gewesen ist?«, fragte Amy skeptisch. »Panther jagen doch im Winter, oder?«

»Ja«, bestätigte Jamie. »Ich habe gestern an der grünen Quelle Spuren gefunden. Hört ihr mich, da unten?«, sagte er und bückte sich, um die Jungen unter dem Tisch anzusprechen. »Seid vorsichtig, aye?«

Er richtete sich wieder auf. »Doch nein«, fügte er hinzu. »Ian kennt den Unterschied zwischen Krallenspuren und einer Messerwunde, denke ich.« Er grinste Ian an. Ian verzichtete höflicherweise darauf, die Augen zu verdrehen, und nickte nur, den Blick skeptisch auf das Toastkörbchen gerichtet.

Niemand äußerte die Vermutung, jemand aus Fraser’s Ridge oder aus Brownsville hätte vielleicht Jagd auf die weiße Sau gemacht. Die hier ansässigen Presbyterianer wären zwar mit Sicherheit ansonsten niemals in spirituellen Dingen mit den Indianern einer Meinung gewesen, doch in Bezug auf den dämonischen Charakter der Sau herrschte totales Einvernehmen.