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»Laß ihn brüllen«, sagte Mitzi und starrte wieder aus dem Fenster.

Ich seufzte - aber lautlos. Es gab Gelegenheiten, da fragte ich mich, ob es sich lohnte, zu versuchen, mit Mitzis Launen und Eigenheiten Schritt zu halten. Aber das tat es. Das wichtigste an Mitzi Ku war, daß sie eine Klassefrau war. Sie hatte diese perfekte, seidig-messingne Honig-Mandel-Haut und für jemanden orientalischer Abstammung eine beachtlich weibliche Figur. Ihre Augen waren auch nicht von diesem orientalischen Schuhknopf-Schwarz; sie waren hellblau - zweifellos hatten sich ihre Vorfahren ein bißchen in der Weltgeschichte herumgetrieben. Und sie hatte perfekte Zähne und wußte genau, wann sie sie sehr zartfühlend gebrauchen mußte. O ja, wenn man sie nahm, wie sie war, war sie es wohl wert, genommen zu werden!

Also versuchte ich es noch einmal. Ich griff nach ihrer Hand und sagte gefühlvolclass="underline" »An diesem Kleinen ist etwas, Liebling. Ich schaue ihn an und wünsche mir, ich könnte eines Tages auch...«

Sie brauste auf. »Hör auf damit, Tarb!«

»Ich meinte doch nur...«

»Ich weiß genau, was du gemeint hast! Erlaube mir, daß ich dich über ein paar Dinge aufkläre. Erstens, ich mag keine Kinder. Zweitens, ich muß auch keine Kinder mögen, weil ich nämlich keine zu bekommen brauche - es gibt reichlich Verbraucher, um die Bevölkerungszahl zu halten. Drittens, du bist sowieso nicht an einem Kind interessiert, sondern nur an dem, was man tut, um eins anzusetzen, und die Antwort darauf lautet nein!«

Ich ließ das Thema fallen. Aber es war nicht wahr. Nicht mehr als halbwahr, jedenfalls.

Aber dann begannen die Dinge ein bißchen besser zu werden. Ich hatte einen mächtigen Verbündeten in dem Veenie-Weißwein; egal, wie er schmeckte, er hatte es ganz schön in sich. Und der andere Verbündete, den ich hatte, war Mitzi selbst, da die Logik der Situation sie genauso überzeugte, wie sie mich überzeugt hatte: es hatte keinen Sinn, in Streit zu geraten, wenn uns nur noch so wenig Zeit blieb.

Bis wir die Karaffe Wein geleert hatten, war ich zu ihr hinüber gerückt. Als ich meine Hand um ihre Hüfte legte, war es ganz wie in den alten Zeiten, und wie in den alten Zeiten lehnte sie sich in meinen Arm. Mit der freien Hand hob ich mein Glas mit dem letzten Viertelzoll Wein darin und brachte einen Toast aus: »Auf uns, Mitzi, und auf unser letztes Beisammensein.« Merkwürdig, dachte ich, als ich zufällig an ihr vorbeisah - die Kellnerin, die die Tische am anderen Ende des Raumes abräumte: sie sah der Frau erstaunlich ähnlich, neben der ich auf dem Rückflug vom Pol gesessen hatte.

Aber ich dachte nicht länger darüber nach, weil Mitzi ihr eigenes Glas hob, mich darüber hinweg anlächelte und den Toast erwiderte: »Auf unseren letzten gemeinsamen Tag, Tenn, und unsere letzte Nacht.«

Das war eine so deutliche Einladung, wie ich sie nur je gehört hatte. Wir standen auf und strebten auf die Treppe zur Bahnstation zu, die Arme umeinander geschlungen. Wir waren zweifellos benommen von dem Wein, aber dennoch stupste ich Mitzi an, als wir an dem Tisch bei der Tür vorbeikamen. Die Hälfte der Veenies, denen ich je begegnet war, schien heute hier zu sein; das hier war wieder der alte Rothaar Grünauge, Offenbar hatte er seinen Streit draußen beim Ambulanzhubschrauber beigelegt, denn er saß allein und gab vor, die Speisekarte zu lesen - als ob das mehr als zehn Sekunden in Anspruch genommen hatte! Er schaute kurz auf, gerade als wir vorbeikamen. Ach, zum Teufel. Ich würde keines ihrer bleichen, stumpfen Gesichter mehr sehen müssen, nachdem das Shuttle abgehoben hatte, also lächelte ich ihn an. Er lächelte nicht zurück.

Ich hatte es eigentlich auch nicht von ihm erwartet. Also führte ich Mitzi einfach aus der Tür und die Treppe hinunter und vergaß den ganzen Vorfall - für eine Weile.

Hand in Hand schlenderten wir zum nächsten Bahnsteig, wo eine Tram wartete. Ich hatte geglaubt, gesehen zu haben, wie Leute in sie einstiegen, aber als wir gerade in sie hineinklettern wollten, kam ein Veenie-Bahnwärter herangestürzt. »Tut mir leid, Leute«, keuchte er atemlos, »aber die hier ist außer Dienst. Sie hat, äh, einen Maschinenschaden. Die nächste raus -« er deutete - »fährt gleich da drüben an Bahnsteig Drei.«

Am Bahnsteig Drei war kein Wagen, aber ich konnte sehen, daß einer am Rangierpunkt stand. Seine Nase lugte eben aus dem Tunnel, und er schien darauf zu warten, daß das Freizeichen kam, so daß er in den Bahnsteig einfahren konnte.

Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich ein bißchen benommen und allgemein geistesabwesend. Der Wein, nahm ich an. Das hielt mich davon ab, argumentieren zu wollen. Wir machten kehrt, um den Bahnsteig entlang zurückzugehen, aber der Bahnwärter winkte uns über die Schienen. »Sie sparen Zeit, wenn Sie diese Abkürzung nehmen«, sagte er hilfsbereit.

Mitzi wirkte auch ein bißchen verschwommen, aber sie erkundigte sich: »Ist das nicht gefährlich?« Und der Bahnwärter bedachte uns mit einem Na-beim-nächsten-Mal-trinken-wir-aber-nicht-mehr-so-viel-Lächeln und führte uns zu den Schienen. Nein, er führte uns nicht. Er stieß uns... gerade, als vom Ende des Bahnsteigs ein Gerassel ertönte.

Aus einem Augenwinkel sah ich die Tram auf uns zurollen. Wir standen genau in ihrem Weg, mitten im Schwarzen.

»Spring!« brüllte ich, und »Spring, Tenny!« brüllte im gleichen Augenblick Mitzi, und springen taten wir beide. Ich griff nach Mitzi, und sie griff nach mir, und es hätte ganz wunderbar geklappt, wenn wir in die gleiche Richtung gesprungen wären. Das wiederum taten wir nicht. Wir rammten einander. Wäre Mitzi kleiner als ich gewesen statt größer, hätte ich sie vielleicht weggestoßen oder -gezerrt; so wie die Dinge lagen, flog sie in die eine Richtung und ich in eine andere, aber nicht ganz rechtzeitig. Die Tram schmetterte mich hinaus auf den Bahnsteig, unter Schreien und Fluchen und dem Quietschen von Bremsen. Flammen des Schmerzes leckten meine Beine hoch, als ich auf den Knien über rauhen Beton rutschte. Irgendwann während des Ganzen hatte ich mich derb am Kopf gestoßen - oder die Tram.

Das nächste, was ich wußte, war, daß meine Knie und mein Kopf sich darum stritten, festzustellen, wer mir am meisten wehtun konnte, und ich gellende Stimmen hörte:

»...ein paar Werbefritzen haben versucht, die Schienen zu überqueren...«

»...einer tot und einer ziemlich schwer...«

»Schafft den Arzt hier herein!«

Und irgend jemand aus der Tram beugte sich über mich, das rötliche, schnurrbärtige Gesicht glubschäugig vor Überraschung, und zu meinem Erstaunen war es Marty McLeod, die stellvertretende Stützpunktleiterin.

Ich erinnere mich nicht an viel von dem, was in der kurzen Spanne passierte, die darauf folgte. Es gibt nur Blitzlichtaufnahmen: Marty, die verlangte, daß ich sofort zur Botschaft gebracht würde, der Arzt hartnäckig, daß Unfallpatienten ins Hospital gehörten und sonst nirgendwohin, jemand, der über Martys Schulter lugte und herausplatzte: »Jesses! Das ist der männliche Werbefritze, und er lebt noch!« Der Jemand war der Verkehrsampel-Veenie, dann erinnere ich mich an die Zementmischerrucke und -stöße des Ambulanzhubschraubers, während er über die Hügel rings um den Park sprang und ich friedlich einschlief. Dabei dachte ich über Mitzi nach... dachte darüber nach, wie ich mich fühlte... dachte, daß es nicht zutreffend gewesen wäre, zu sagen, daß ich sie liebte, und daß ganz bestimmt nichts von dem, was sie mir jemals gesagt hatte, im Bett oder außerhalb, so klang, als empfände sie irgend etwas Derartiges. Aber hauptsächlich dachte ich, daß es wirklich traurig war, daß sie tot war.

Aber das war sie nicht.

Sie hielten mich eine Stunde lang im Notaufnahmeraum fest - ein paar Verbände und eine Serie von Röntgenaufnahmen -, und als sie mich in Martys Obhut entließen, sagten sie mir, daß Mitzi neun festgestellte Knochenbrüche habe und wenigstens sechs innerliche Gewebsrisse, die auf der Tomographie erkennbar waren. Sie lag auf der Intensivstation, und sie würden uns auf dem laufenden halten.