Gute Nachrichten! Aber sie ließen mein Herz nicht singen. Denn inzwischen wurde ich wieder klarer im Kopf, und je klarer ich wurde, desto sicherer war es für mich, daß der Unfall kein Unfall gewesen war.
Ich will Marty zugute halten, daß sie ernsthaft zuhörte, während ich ihr erzählte, was ich glaubte, als wir uns im Inneren der wanzensicheren Botschaft befanden. »Wir überprüfen das«, versprach sie grimmig, »können aber nichts machen, bis wir wissen, was Mitzi zu sagen hat - und jetzt legst du dich erst einmal schlafen.« Es war kein Vorschlag. Es war nicht einmal ein Befehl. Es war eine Tatsache, weil sie mir nämlich eine Spritze verpaßt hatten, während ich nicht hinguckte, und es deshalb an der Zeit war, dieser schnöden Welt ade zu sagen.
Als ich aufwachte, hatte ich kaum Zeit, mich anzuziehen und nach unten zu der Abschiedsparty mir zu Ehren zu kommen.
Nun, eigentlich ist das mehr so eine Art Scherz. Die Veenies haben nicht viele allgemeine Feiertage, aber die, die sie haben, feiern sie mit einer Menge Begeisterung. Das ist unangenehm für uns Dips. Wir müssen uns an den Festlichkeiten beteiligen, weil es darum in der Diplomatie nun einmal geht, aber bei den meisten ihrer Feiertage können wir uns nicht gestatten, wirklich mitzufeiern - sie haben Namen wie »Tag der Freiheit von der Werbung« und »Anti-Weihnachten«. Trotzdem müssen wir etwas tun, also denken wir uns für jeden Feiertag eine Entschuldigung aus, zu dieser Zeit - aus einem völlig anderen Grund natürlich - eine Party zu veranstalten. Irgendeine Entschuldigung gibt es immer. Manchmal werden die Entschuldigungen schon arrangiert, bevor der Diplomat hierher zugeteilt wird. Der alte Jim Holder zum Beispiel, von Kodes & Chiffren; es heißt, daß man ihn hergeschickt hat, weil er zufällig am gleichen Tag wie der Renegat Courtenay geboren ist.
Die Party heute abend war also - offiziell - eine Abschiedsfeier für mich. Alle Leute, denen ich über den Weg lief, beglückwünschten mich dazu, daß ich endlich von diesem Ort wegkam und, ein paar Stufen weiter unten auf der Prioritätenliste, ach ja, auch zu deinem glücklichen Entrinnen vor der Bahn, Tenny. Das heißt, die Erdleute taten das; mit den Veenies war es wie immer etwas völlig anderes.
Seien wir den Veenies gegenüber fair. Sie mögen diese zeremoniellen Partys nicht mehr als wir, nehme ich an. Wenn sie weit genug oben am Totempfahl sind, werden sie eingeladen. Wenn sie eingeladen werden, kommen sie. Niemand verlangt, daß sie sich amüsieren müssen. Sie benehmen sich höflich - so weit man das von ihnen erwarten kann -, und wenn es sich um weibliche Exemplare handelt, tanzen sie zwei Tänze mit zwei verschiedenen männlichen Erddiplomaten. Ich glaube, wenigstens dieser Teil gefällt ihnen, weil sie fast immer größer als ihre Partner sind. Die Unterhaltung verläuft fast immer gleich:
»Heiß heute.« »Ach wirklich? Hatte ich gar nicht bemerkt.«
»Die neue Hilsch-Anlage macht ja gute Fortschritte.«
»Oh, danke.«
- dann der zweite Pflichttanz mit einem anderen Partner und dann, wenn Sie sich zufällig nach ihnen umsehen - aber warum Sie das machen sollten, kann ich nicht einmal Vennuten -, sind sie verschwunden. Die männlichen Veenies halten es ungefähr genauso, außer daß es bei ihnen zwei Drinks an der Bar statt zweier Tänze sind und die Unterhaltung sich nicht um das Wetter dreht, sondern um die Chancen von Port Kathy gegen North Star in der Rollerhockey-Liga. Genauso furchtbar ist es, wenn wir zu einer ihrer offiziellen Partys gehen müssen. Wir halten uns auch nicht länger auf als nötig. Mitzi sagt, ihre Spione berichten ihr, daß die Veenie-Partys für gewöhnlich rauschende Feste werden, nachdem wir gegangen sind, aber keiner von uns wird je gebeten, doch noch zu bleiben. Diplomatenpartys sollen diplomatisch sein: keine gewichtigen Themen und natürlich nicht zu viel Spaß.
Aber manchmal läuft es nicht so ab. Meinen ersten Pflichttanz absolvierte ich mit einem schlanken jungen Ding vom Veenie-Ministerium für Extraplanetare Angelegenheiten -Fischbauchhaut natürlich, aber es paßte nicht einmal übel zu ihrem fast platinblonden Haar. Wenn mir nicht wegen Mitzi so weh zumute gewesen wäre, hätte ich es vielleicht sogar genießen können, mit ihr zu tanzen, aber sie hätte es sowieso verdorben. »Mr. Tarb«, sagte sie sofort, »finden Sie es anständig, die Bergleute auf Hyperion dazu zu zwingen, sich Ihren Reklameschmutz anzuhören?«
Na ja, sie war noch sehr jung. Ihre Bosse hätten so etwas nie und nimmer gesagt. Das Problem war nur, daß meine Bosse in der Nähe waren und die Unterhaltung schlimmer wurde: Warum umkreisten gelegentlich bewaffnete irdische Raumschiffe die Venus, ohne ihren Auftrag anzugeben? Und warum hatten wir den Veenies die Erlaubnis verweigert, eine wissenschaftliche Expedition zum Mars zu entsenden? Und - und alles andere war so ziemlich das gleiche. Ich gab all die richtigen abwehrenden Antworten, aber sie hatte ziemlich laut gesprochen, und die Leute starrten uns schon an. Hay Lopez war einer davon; er stand bei der Missionschefin, und sie wechselten auf eine Art Blicke, die mir gar nicht gefiel. Als der Tanz endlich vorüber war, war ich froh, mich zur Bar absetzen zu können. Der einzige freie Platz befand sich direkt neben Pavel Borkmann, dem Leiter irgendeiner Abteilung des Veenie-Schwerindustrieministeriums. Ich kannte ihn schon von früher und hatte zehn Minuten nicht bedrohlichen Geplauders darüber im Sinn, wie ihre neue Hilsch-Sperre in der Anti-Oase funktionierte oder ob sie mit dem neuen Raketenwerk zufrieden waren. Leider klappte das auch nicht, weil er ebenfalls Fetzen meines kleinen Dialogs mit Fräulein Außenministerium mitgehört hatte. »Sie sollten sich nicht auf Kämpfe einlassen, wenn Sie so offensichtlich unterlegen sind«, grinste er, sowohl auf meine verflossene Tanzpartnerin als auch auf die deutlich erkennbaren Narben Bezug nehmend, die ich mir von der Tram eingehandelt hatte. Hätte ich auch nur ein bißchen Verstand gehabt, hätte ich die Bedeutung gewählt, die am wenigsten riskant war, und ihm alles über den Trambahnunfall erzählt. Aber ich war verstimmt; ich wählte den anderen Weg. »Sie ist ganz schön übers Ziel hinausgeschossen«, beklagte ich mich, während ich einen Drink bestellte, den ich bestimmt nicht brauchte.
Aber Borkmann hatte auch einen Drink mehr gehabt, als er brauchte, so schien es, denn auch er wählte den Weg mit den Bärenfallen. »Oh, ich weiß nicht«, sagte er. »Sie müssen verstehen, daß wir Freien Venusier moralische Bedenken haben, Menschen dazu zu zwingen, Sachen zu kaufen - besonders mit vorgehaltener Waffe.«
»Auf Hyperion sind keine Waffen gerichtet, Borkmann! Das wissen Sie.«
»Noch nicht«, gab er zu, »aber hat es solche Fälle nicht genau auf Ihrem Heimatplaneten gegeben?«
Ich lachte mitleidig. »Sie sprechen von den Abos, nehme ich an.«
»Ich spreche von den bedauerlich wenigen Winkeln der Erde, die noch nicht von der Werbung korrumpiert worden sind, ja.«
Langsam wurde ich gereizt. »Borkmann«, sagte ich, »Sie müßten es doch besser wissen. Natürlich unterhalten wir Einheiten zur Friedenssicherung. Ich nehme an, ein paar davon haben auch Waffen, aber die sind nur zum Schutz. Ich habe selbst auf dem College meine Reservistenausbildung absolviert; ich weiß, wovon ich spreche. Sie werden nie offensiv eingesetzt, nur, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie müssen begreifen, daß es sogar unter den schlimmsten Aborigines, den Ureinwohnern, eine Menge Leute gibt, die die Segnungen der freien Marktwirtschaft genießen wollen. Natürlich, die alten Knöpfe sträuben sich. Aber wenn die anständigeren Elemente in der Bevölkerung um Hilfe bitten, nun, dann gewähren wir sie natürlich.«
»Sie schicken Truppen«, nickte er.
»Wir schicken Reklameteams«, verbesserte ich ihn. »Es gibt keinen Zwang. Es gibt keine Gewalt.«
»Und«, ahmte er mich nach, »es gibt kein Entkommen - das haben sie in Neuguinea festgestellt.«
»Es stimmt, daß die Dinge in Neuguinea außer Kontrolle geraten sind«, gab ich zu. »Aber eigentlich...«