»Eigentlich«, sagte er, indem er sein Glas auf die Theke knallte, »muß ich jetzt gehen, Tarb. War nett, mit Ihnen zu plaudern.« Und er ließ mich stehen, innerlich kochend vor Wut. Wieso, in Neuguinea war doch alles in bester Ordnung! Alles in allem hatte es weniger als tausend Tote gegeben. Und jetzt war die Insel ein fester Bestandteil der modernen Welt - wir hatten sogar eine Zweigstelle der Agentur in Papua! Ich kippte meinen Drink auf einen Zug und wandte mich ab... und rannte beinahe in Hay Lopez hinein, der mich angrinste. Die Missionschefin war gerade im Begriff, sich zu entfernen, aber nicht, ohne einen Blick über die Schulter auf mich zu werfen. Ich sah, wie sie sich zum Botschafter gesellte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, während sie mich immer noch anschaute, und begriff, daß dies sich zu einem ziemlich schlimmen Tag für mich entwickeln würde. Da ich sowieso auf dem Weg nach Hause war, gab es wenig, was die Botschaftsleute mit mir machen konnten, aber ich- nahm mir trotzdem vor, mich für den Rest des Abends wie ein richtiger Diplomat zu benehmen.
Aber auch das klappte nicht. Wie es das Unglück wollte, war die zweite Partnerin, die ich erwischte, Dirty Berthie, die Überläuferin von der Erde. Ich hätte flinker auf den Füßen sein müssen; anscheinend war ich immer noch ein bißchen groggy. Ich drehte mich um, und da war sie, alkoholisierter Atem, Labberfett-Gesicht und hoch auf dem Kopf aufgetürmtes Haar, damit sie größer wirkte. »Mein Tanz, glaube ich, Tenny?« kicherte sie.
Also log ich höflich: »Ich habe mich schon den ganzen Abend darauf gefreut!« Was man Dirty Berthie zugute halten kann, ist, daß sie selbst mit diesen Stöckelabsätzen und dieser Heuschoberfrisur nicht so hoch über einem aufragt wie die Einheimischen. Aber das ist auch schon so ungefähr alles, was für sie spricht. Konvertiten sind immer die schlimmsten, und Bertha, die jetzt stellvertretende Kuratorin für das gesamte planetenweite Bibliothekssystem der Venus ist, war früher einmal Senior-Vizepräsidentin der Forschungsabteilung bei der Taunton, Gatchweiler und Schocken-Agentur gewesen! Sie hat all das aufgegeben, um zur Venus auszuwandern, und jetzt muß sie mit jedem Wort beweisen, daß sie mehr Veenie ist als Venusier. »Nun, Mr. Tennison Tarb«, sagte sie, während sie sich gegen meinen Arm zurücklehnte, um mein Veilchen zu betrachten, »sieht aus als wäre der Ehemann von irgendwem zurückgekommen, als er es nicht sollte.«
Nur ein harmloser Spaß, richtig? Falsch. Dirty Berthtes kleinen Scherze sind immer garstig. Ein »Was macht denn das organisierte Lügen heute?« zur Begrüßung und »Tja, ich darf dich wohl nicht länger davon abhalten, noch ein bißchen vergiftete Babynahrung zu vertreiben«, wenn sie sich verabschiedet.
Wir dürfen so etwas nicht. Um fair zu sein, die meisten der eingeborenen Veenies tun es auch nicht, aber Bertha ist das schlimmste beider Welten, Unsere offizielle Politik Bertha gegenüber heißt Lächeln und nichts sagen. So hatte ich es die ganzen langen Jahre über gehalten, aber genug war genug. Ich sagte...
Na ja, ich habe keine Entschuldigung für das, was ich sagte. Um es zu verstehen, müssen Sie wissen, daß Berthas Ehemann, der, für den sie ihren Starklasse-Job auf der Erde aufgegeben hatte, ein Pilot auf der Fluglinie zwischen Kathy und Discovery war, der einen Teil seines rechten Beines und eine nicht näher spezifizierte Partie angrenzender Teile bei einem Absturz im Jahr nach ihrer Hochzeit verloren hatte. Das ist das einzige, worin sie empfindlich ist. Also bedachte ich sie mit einem zuckersüßen Lächeln und sagte: »Hab' nur versucht, aus Gefälligkeit für ihn Carlos' Arbeit zu tun, aber ich hab' wohl das falsche Haus erwischt.«
Mein Witz war nicht sehr komisch. Bertha versuchte nicht einmal, einen anderen als Antwort drauf zusetzen. Sie schnappte nach Luft. Sie riß sich aus meinen Armen los, stand stocksteif mitten auf dem Tanzboden und schrie laut und deutlich: »Du Bastard!« Sie hatte sogar richtige Tränen in den Augen - vor Wut, nehme ich an.
Mir blieb keine Gelegenheit, ihre Reaktion zu studieren. Ein Bärenfallengriff schloß sich um meine Schulter, und die Missionschefin höchstpersönlich sagte höflich: »Wenn ich mir Tenny einen Moment ausborgen kann, Bertha, es gibt da noch ein paar Dinge in letzter Minute, die wir zu klären haben...« Draußen auf dem Flur ging sie in Boxer Stellung, Kopf an Kopf. »Sie Dummkopf«, zischte sie. Speichelspritzer wie Schlangengift fraßen Löcher in meine Wangen.
Ich versuchte, mich zu verteidigen. »Sie hat damit angefangen! Sie hat gesagt...«
»Ich habe gehört, was sie gesagt hat, und der ganze verdammte Saal hat gehört, was Sie gesagt haben! Jesus, Tarb!« Sie hatte meine Schulter losgelassen, und jetzt blickte sie drein, als wollte sie mich statt dessen am Hals packen.
Ich wich zurück. »Pam, ich weiß, ich hab' mich danebenbenommen, aber ich bin ein bißchen durcheinander. Vergessen Sie nicht, daß mich heute jemand beinahe ermordet hat!«
»Es war ein Unfall. Die Botschaft hat es offiziell als Unfall bezeichnet. Versuchen Sie sich das zu merken. Auf jede andere Weise ergibt es keinen Sinn. Warum würde irgendwer Sie ermorden wollen, wenn Sie auf dem Weg nach Hause sind?« »Nicht mich. Mitzi. Vielleicht befindet sich ein Doppelagent unter den Spionen, die sie angeworben hat, und sie wissen, was sie in Wirklichkeit macht.«
»Tarb.« Diesmal gab es kein Schlangengift und kein Zischen, nicht einmal Zorn. Das hier war nur eine eisige Warnung. Sie sah sich rasch um, um sicherzugehen, daß niemand in der Nähe war. Nun, natürlich hätte ich so etwas nicht sagen sollen, während Veenies im Gebäude waren - das war Regel Nummer Eins. Ich setzte an, etwas zu bemerken, und sie hob die Hand. »Mitsui Ku ist nicht tot«, sagte sie. »Sie wurde operiert. Ich habe sie selbst im Krankenhaus gesehen, vor anderhalb Stunden. Sie hatte das Bewußtsein nocht nicht wiedererlangt, aber die Prognose ist gut. Wenn sie wollten, daß sie stürbe, hätten sie das im Operationssaal bewerkstelligen können, und wir hätten es nie erfahren. Aber das haben sie nicht.« »Trotzdem...«
»Gehen Sie wieder ins Bett, Tarb. Ihre Verletzungen sind ernster, als wir dachten.« Sie ließ nicht zu, daß ich sie unterbrach, sondern wies in Richtung der Privatzimmer. »Sofort. Und ich muß wieder zu meinen Gästen zurück - danach schaue ich bei mir im Büro vorbei, um ein paar Anmerkungen unter einen Leistungsbericht zu setzen. Ihren.« Sie stand da und behielt mich im Auge, bis ich außer Sichtweite war.
Und das war das letzte, was ich von der Missionschefin sah, und beinahe das letzte, was ich für eine ganze Weile - zwei Jahre und ein bißchen - von überhaupt irgend etwas sah, denn am nächsten Morgen wurde ich von zwei Botschaftswachen aus dem Bett gescheucht, in einen Wagen gepackt, zum Raumhafen verfrachtet und in ein Shuttle verladen. Nach drei Stunden war ich in der Umlaufbahn. Nach dreieinhalb Stunden lag ich in einem Gefrierkokon und wartete darauf, daß die Schlafdroge mich das Bewußtsein verlieren ließ. Das Raumschiff würde seinen Hauptantrieb erst in neun weiteren Umkreisungen - mehr als einem halben Tag - zünden, aber der Botschafter hatte Order gegeben, dafür zu sorgen, daß ich aus dem Weg geschafft wurde. Und dafür sorgten sie.
Das nächste, was ich wußte, war, daß ich bei lebendigem Leibe von Feuerameisen aufgefressen wurde, jenes unerträgliche der-Arm-ist-eingeschlafen-Gefühl, das man kriegt, wenn man anfangs auftaut. Ich war immer noch in dem Kokon, aber ich trug einen elektrisch beheizten, hautengen Anzug, der nur meine Augen freiließ, und über mich beugte sich jemand, den ich kannte. »Hallo, Tenn«, sagte Mitzi Ku. »Überrascht, mich zu sehen?«
Und ob ich das war. Ich sagte es ihr auch, aber ich bezweifle, daß es mir gelang, auszudrücken, wie überrascht ich war, denn der letzte Gedanke, an den ich mich noch erinnerte, unmittelbar bevor der wirbelnde Mahlstrom der Schläfrigkeit mich umfangen hatte, war wehmütiges Bedauern darüber, daß ich meinen letzten Abschiedsauftritt in Mitzis Bett nicht gehabt hatte und höchstwahrscheinlich auch nie die Gelegenheit bekommen würde, ihn nachzuholen.