Ohne ein Wort darüber zu verlieren, richteten sie es sogar so ein, einen Moke-Automaten in meinem Büro aufzustellen. Es gab keine offizielle Entscheidung. Er tauchte an diesem Nachmittag einfach auf.
Und das veranlaßte mich zu einigem intensiven Nachdenken. Mokes zu saufen, war sicher harmlos genug - zum Teufel, ich harte das bewiesen! -, aber paßte es wirklich zu dem Starklassen-Image, das ich der Welt gegenüber zeigen sollte? Es war mehr etwas für Verbraucher - und überdies Verbraucher auf dem Jahresabschluß einer konkurrierenden Agentur. Ich grübelte auf dem ganzen Nachhauseweg in meinem Dienstwagen darüber nach. Als ich dem Strampler sein Trinkgeld gab, nahm der Gedanke feste Formen an, weil ich einen Blick düsteren Unmuts in seinen Augen auffing, bevor er ihn verbarg und dankend an die Mütze tippte. Vor gerade drei Tagen hatten wir uns die gleiche Pedicab-Tour geteilt. Ich konnte seinen Unmut verstehen. Was dieser Unmut besagte, war, daß, wenn ich wieder in die unteren Abgründe geworfen werden würde, er und die anderen Haie warten würden.
Also marschierte ich nach drinnen und klopfte gegen den Schlaftank. »Rockwell«, rief ich. »Wach auf! Ich möchte dich etwas fragen.«
Er war kein übler Bursche, der alte Nelson Rockwell. Er hatte noch beinahe sechs Stunden im Tank vor sich, bevor ich an der Reihe war, und alles Recht der Welt, mir den Kopf abzubeißen, als ich ihn aus ihm herausholte. Aber als er hörte, was ich wollte, war er die Freundlichkeit selbst. Ein bißchen verblüfft vielleicht. »Du willst trocken werden, Tenny?« wiederholte er, immer noch im Halbschlaf. »Na ja, klar, das ist das Schlaueste, was du machen kannst, du willst dir ja nicht deine große Chance versauen. Aber ich versteh' echt nicht, was das mit mir zu tun hat.«
»Was es mit dir zu tun hat, Nels, ist, hast du mir nicht mal erzählt, du wärst bei ConsumAnon?«
»Ja, sicher. Vor Jahren. Hab's aber aufgegeben, weil ich es nicht mehr brauchte, nachdem ich mich erst mal zusammengerissen und aufs Sammeln verlegt hatte - ach so!« sagte er, und seine Augen leuchteten auf. »Jetzt kapier ich! Du möchtest, daß ich dir von ConsumAnon erzähle, damit du dich entscheiden kannst, ob du's ausprobieren willst.«
»Was ich möchte, Nels, ist zu ConsumAnon gehen. Und ich möchte, daß du mich hinbringst.«
Er warf der warmen, einladenden Schlafbox einen sehnsüchtigen Blick zu. »Gott, Tenny. Es steht alles offen. Du mußt nicht eingeführt werden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde mich wohler fühlen, wenn ich mit jemandem hinginge«, gestand ich. »Bitte? Und bald? Schon morgen abend, wenn dann eine Versammlung ist...«
Das brachte ihm zum Lachen. Als er zu Ende gelacht hatte, klopfte er mir auf den Arm. »Du mußt noch eine Menge lernen, Tenny. Es findet jeden Abend eine Versammlung statt. So funktioniert das nämlich. Tja, wenn du mir mal meine Socken reichen würdest...«
So war Nels Rockwell. Die ganze Zeit, während er sich anzog, dachte ich darüber nach, wie ich ihm diese Gefälligkeit vergelten sollte. Natürlich würde ich bald aus dieser Teilzeitabsteige ausziehen müssen. Was konnte mich davon abhalten, sagen wir, meinen Anteil zwei oder drei Monate im voraus zu bezahlen und ihn ihm zu überlassen, so daß er sich seine Schlafenszeit selbst aussuchen konnte? Ich wußte, daß er wegen seines Schlafplans in der Ösenfabrik den Hummertrick abziehen mußte; womöglich konnte er eine andere Schicht kriegen, vielleicht sogar mehr Geld verdienen...
Aber ich riß mich zusammen. Man tat einem Verbraucher keinen Gefallen, wenn man ihm Flausen in den Kopf setzte, die über seinen Rang hinausgingen. Er kam auch so prima klar. Ich hätte ihn vielleicht nur bös durcheinandergebracht, wenn ich mich einmischte.
Also hielt ich den Mund hinsichtlich der Mietvorauszahlung, aber im Herzen war ich aufrichtig dankbar.
ConsumAnon erwies sich als schlechte Idee. Das erkannte ich innerhalb der ersten zwei Minuten. Der Ort, wohin Rockwell mich gebracht hatte, war eine Kirche.
Nun ist das ja an sich nicht so schlimm. Tatsächlich war es sogar irgendwie interessant - ich hatte noch nie eine von innen gesehen. Außerdem konnte man es als eine Art Feldforschung für meine Arbeit bei Immaterielle Aktiva betrachten, was zugleich bedeutete, daß ich einen Erstattungsantrag für mein und Rockwells Pedicab-Fahrgeld einreichen konnte (auch wenn er darauf bestanden hatte, daß wir den Bus nahmen).
Aber - diese Leute! Ich meine nicht nur, daß sie Verbraucher waren. Sie waren der Abschaum der Verbraucherklasse, vertrocknete kleine alte Männer mit nervösen Gesichtszuckungen; fette, finster dreinblickende Mädchen mit der Art von Teint, den man von Festsoja und nicht allzuviel davon bekam. Da war ein aufgekratzt miteinander flüsterndes junges Paar mit einem kleinen Kind, das unbeachtet auf dem Sitz zwischen ihnen rasend schrie. Da war ein wieselgesichtiger Mann, der an der Tür herumschlich, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er bleiben oder weglaufen sollte - na ja, das konnte ich eigentlich auch nicht. Diese Menschen waren Verlierer. Ein wohlerzogener Konsument ist eine Sache. Sie waren das alles. Sie waren aufgezogen und abgerichtet worden, zu tun, was die Welt von ihnen brauchte: nämlich kaufen, was wir Agenturleute zu verkaufen hatten. Aber ach, was für stumpfe und stupide Gesichter! Was einen guten Verbraucher ausmachte, war Langeweile. Lesen wurde entmutigt, Wohnungen waren nicht so, daß es Freude gemacht hätte, sich in ihnen aufzuhalten - was sonst sollten sie mit ihrem Leben anfangen als zu konsumieren? Aber diese Menschen hatten ein Zerrbild aus dieser edlen - na ja, ziemlich edlen - Berufung gemacht. Sie waren besessen. Ich hätte mich beinahe verdrückt und mir eine Moke besorgt, um die häßlichen Schauer abzumildern, die sie bei mir bewirkten, aber da ich nun einmal so weit gekommen war, beschloß ich, zur Versammlung zu bleiben.
Das war mein zweiter schlimmer Fehler, denn das Treiben wurde rasch widerlich. Zuerst einmal begannen sie mit einem Gebet. Dann fingen sie an, Kirchenlieder zu singen, Rockwell stupste mich an, mitzusingen, während er grinste und aus voller Kehle krächzte, aber ich konnte ihm nicht einmal ins Gesicht sehen.
Dann wurde es noch schlimmer. Einer nach dem anderen standen diese Milieugeschädigten auf und schluchzten ihre billigen Geschichten heraus. Zum Kotzen, sage ich Ihnen! Die da hatte ihr Leben ruiniert, indem sie sich NicoChews reinpfiff, vierzig Päckchen pro Tag, bis ihr die Zähne ausfielen und ihre Bosse sie feuerten, weil sie ihre Arbeit nicht mehr geregelt bekam - sie war Telefonistin. Der andere da fuhr auf Deodorants und Atemfrischmacher ab und hatte so gründlich jede Spur natürlicher Körperabsonderungen verrieben, daß seine Haut aufgesprungen war und seine Schleimhäute ausgetrocknet waren. Das aufgekratzte junge Pärchen - nanu, das waren Moke-Köpfe wie ich selbst! Ich starrte sie verblüfft an. Wie konnten sie sich nur so tief sinken lassen? Sicher, ich hatte ein Moke-Problem. Aber allein mein Hiersein bedeutete, daß ich etwas gegen das Problem unternahm. Auf keinen Fall würde ich zulassen, daß ich mich in solche rot angemalten Wracks wie sie verwandelte! »Los doch, Tenny«, flüsterte Rockwell, indem er mich anstieß. »Willst du denn nicht Zeugnis ablegen?«
Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagte, außer daß es die Worte »Auf Wiedersehen« einschloß. Ich zwängte mich an ihm vorbei und zur Tür hinaus, weil ich mich nach frischer Luft sehnte. Als ich im Eingang stand, schnaufend und meine Lunge reinigend, schlich sich der wieselgesichtige Mann hinter mir nach draußen. »Mann!« sagte er verschlagen grinsend, »ich habe gehört, was ihr Freund sagte. Na, ich wünschte, ich hätte ihren Affen statt meines eigenen.«