Niemand hört gern, daß der Kummer, der sein Leben zerstört, weniger schrecklich ist als der irgendeines Fremden. Ich war nicht eben freundlich. Ich sagte steif: »Mein, äh, Problem. ist schlimm genug, um mir zu reichen, danke.« Aus irgendeinem Grund befand sich mein Geist gerade in Aufruhr. Ein halbes Dutzend unterschiedlicher Sehnsüchte und Ekel erfüllten meinen Kopf zugleich - das verzweifelte Verlangen nach einer Moke, die Verachtung für diese ConsumAnon-Blödmänner da drinnen, die heftige Abneigung gegenüber Wieselgesicht selbst, die brennende Sehnsucht nach Mitzi Ku, die mich dann und wann überfiel... und, unter dem allen, etwas anderes, das ich nicht so recht benennen konnte. Eine Erinnerung? Eine Eingebung? Ein Entschluß? Ich konnte den Finger nicht so recht darauf legen. Es hatte etwas mit dem zu tun, was da drinnen vor sich ging - nein, mit etwas davor, etwas, das Rockwell gesagt hatte?
Wieselgesicht, bemerkte ich plötzlich, zischte mir jetzt etwas ins Ohr. »- Was?« bellte ich.
»Ich sagte«, wiederholte er hinter vorgehaltener Hand, während er sich umblickte, »ich weiß einen Typ, der hat, was Sie brauchen. Moke-Frei-Pillen. Nehmen Sie drei täglich, eine zu jeder Mahlzeit, und Sie brauchen nie wieder eine Moke.«
»Mein Gott, Mann!« brüllte ich. »Bieten Sie mir etwa Drogen an? Ich bin kein Verbraucher. Ich bin Agenturmitarbeiter! Wenn ich einen Polizisten finden könnte, würde ich Sie einsperren lassen...« Und ich sah mich tatsächlich nach einer vertrauten Brinks- oder Wackerhut-Uniform um; aber Sie wissen ja, wie das ist, nie ist ein Polizist da, wenn man einen braucht, und als ich wieder zurückschaute, war Wieselgesicht sowieso verschwunden.
Und meine Idee auch. Was immer es gewesen sein mochte.
Die menschliche Niere ist nicht dafür geschaffen, mit vierzig Mokie-Kokes am Tag fertigzuwerden. Während der nächsten vierundzwanzig Stunden gab es Gelegenheiten, da ich mich fragte, ob Wieselgesicht nicht vielleicht doch eine gute Idee gehabt hatte. Ein paar vorsichtige Erkundigungen bei der Agenturklinik (ach, wie nett sie zu mir waren!) verdichteten die vagen Ahnungen, die ich hatte. Die Pillen waren eine schlimme Geschichte. Sie wirkten, aber nach einiger Zeit - vielleicht sechs Monaten, vielleicht mehr oder weniger - versagte das überlastete Nervensystem und brach endgültig zusammen. Das wollte ich nicht. Sicher, ich verlor an Gewicht, und der Blick in den Spiegel, wenn ich mich enthaarte, zeigte jeden Morgen neue Streßfalten auf meinem Gesicht; aber ich funktionierte immer noch gut genug.
Nein, zum Teufel, sagen wir doch ruhig die Wahrheit: ich funktionierte prächtig. Jede neue Ausgabe der stündlichen Erfolgsmeldungen zeigte, daß Religion im Aufwärtstrend war. Räucherstäbchen 0,03 plus; Gebetskerzen 0,02; Umfragen beim Verlassen von dreihundertundfünfzig zufällig ausgewählten zoroastrischen Tempeln zeigten einen Anstieg von beinahe einem Prozent bei Erstanbetern. Der Alte rief mich persönlich an. »Sie haben einen erheblichen Vertrauensvorschuß beim Planungskomitee erreicht«, dröhnte er. »Tarb, ich ziehe meinen Hut vor Ihnen! Was kann ich tun, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern? Noch einen Assistenten?«
»Tolle Idee, Sir!« rief ich und fügte beiläufig hinzu: »Was macht Dixmeister im Augenblick?«
Also war mein alter Praktikant wieder im Team. Ängstlich, versöhnlich, verzweifelt darauf aus, mich zufriedenzustellen - und von Neugier verzehrt. Genauso, wie ich ihn haben wollte.
Er war nicht der einzige, der von Neugier verzehrt wurde, denn jeder in der Agentur wußte, daß etwas Großes vor sich ging, und keiner von ihnen wußte genau, was. Der besondere Clou war, daß auch keiner von ihnen wußte, wie wenig ich selber wußte. Sachbearbeiter für Kundenwerbung und Cheftexter auf dem Weg von Ebene neun nach Ebene fünfzehn entschlossen sich ein dutzendmal am Tag, die Abkürzung durch mein Büro zu nehmen. Alltägliche Höflichkeit veranlaßte sie, bei mir Halt zu machen, um mir auf den Rücken zu klopfen und mir zu erzählen, daß alle wüßten, was für großartige Arbeit ich leistete... und mir zu sagen, daß wir uns wirklich mal zum Essen oder auf einen Drink oder eine Runde Pufferbillard im Sport- und Gesellschaftsclub treffen sollten. Ich lächelte und nahm keine Einladung an. Ich lehnte auch keine ab, denn wenn sie mich zu hart bedrängten, würden sie herausfinden, wie ahnungslos ich in Wirklichkeit war. Also sagte ich »Klar doch« und »So bald wie möglich!« Und wenn sie dann noch länger dablieben, griff ich zum Phon und flüsterte so lange hinein, bis sie lächelnd, aber innerlich vor Neugier platzend weggingen. Derweil Dixmeister, in seinem Kabäuschen außerhalb meines Büros, mich sorgenvoll und finster anzustarren pflegte, bis er merkte, daß ich ihn ansah, und dann sein winseliges Armesünderlächeln aufsetzte.
Ha, wie ich das liebte!
Natürlich gemahnte mich der gesunde Menschenverstand, es nicht zu weit zu treiben. Ich war nur ein winziges Rädchen in der Maschinerie des Übernahmemanövers, die Haseldyne und Mitzi zusammensetzten. Ich wurde mehr geduldet als gebraucht. Nein, ich wurde überhaupt nicht gebraucht, nur daß es einfacher für sie war, mich zu beteiligen als mich zum Schweigen zu bringen.
Alles, was ich tun mußte, war, es auch weiterhin einfacher für sie zu machen, mich zu beteiligen als mir den Mund zu stopfen... und dann... und dann würde die Zeit kommen, da die Übernahme stattfand, und Mitzi und Haseldyne wären Eigentümer. Und mit ein wenig Glück würde auch Tenny Tarb zu ihrer Mannschaft gehören. Sachbearbeiter für Kundenwerbung - nein, dachte ich, während ich eine Moke süffelte, mehr als das. GF! Und das war ein Traum von Glanz und Herrlichkeit. Sie wissen, was ein König ist? Ich will Ihnen sagen, was ein König ist. Verglichen mit einem Geschäftsführer einer der großen Werbeagenturen ist ein König nichts.
Und was, dachte ich, während ich eine weitere Moke öffnete, was ist dann mit der Zukunft? Was, wenn Mitzi und ich wieder auf Vollzeitbasis zusammenkämen? Was, wenn wir sogar heirateten? Was, wenn ich nicht nur Geschäftsführer wäre, sondern aufgrund ehelicher Gütergemeinschaft sogar Miteigentümer der Agentur? Berauschende Träume! Sie ließen mein kleines Moke-Problem wie kleine Fische aussehen. Mit dieser Art von Geld konnte ich mir die beste Entgiftung der Welt leisten. Ich konnte sogar... Augenblick... was war das? Die Idee, die auf der ConsumAnon-Versammlung in meinem Unterbewußtsein herumgewühlt hatte?
Ich setzte mich kerzengerade auf und ließ beinahe die Moke fallen. Dixmeister kam erschrocken hereingestürzt. »Mr. Tarb? Geht es Ihnen nicht gut?«
»Mir geht es prächtig, Dixmeister«, verkündete ich ihm. »Hören Sie, haben Sie nicht auch gerade den Alten den Flur hinuntergehen sehen? Schauen Sie ma! nach, ob Sie ihn finden können - fragen Sie ihn, ob er nicht einen Augenblick hereinkommen möchte.«
Und ich lehnte mich zurück und wartete, während die Idee in meinem Geist ihre endgültige Gestalt annahm.
Man bekommt den Alten nicht ohne sein Geschnatter von Hofschranzen, drei oder vier von ihnen, die hinter ihm herlaufen und sich in den Türen drängen, während er seine Besuche abstattet. Sie hatten alle große Titel, und jeder von ihnen verdiente viermal so viel im Jahr wie ich, aber sie waren bloße Stichwortgeber. Ich ignorierte sie. »Danke, daß Sie hereingeschaut haben, Sir«, strahlte ich. »Aber setzen Sie sich doch. Hier. Nehmen Sie meinen Stuhl!«
Man bekommt den Alten auch nicht ohne fünf Minuten einleitenden Smalltalk. Er nahm Platz und fing an, mir von den alten Zeiten zu erzählen und wie er sein Vermögen gemacht hatte, wobei er die Augen von meinem Mokie-Koke-Automaten abwandte, als wären es falsche Zähne, die ich auf dem Ankleidetisch liegengelassen hatte. Ich hörte noch einmal die Saga, wie er mit seinen Glücksmillionen von der Venus zurückgekommen war und alles auf das aussichtslose Unternehmen gesetzt hatte, zwei tote Agenturen in einen maßlosen Erfolg zu verwandeln. »Es funktionierte, Tenn«, krächzte er, »wegen der Produkte! Darauf ist T., G. & S. aufgebaut, auf Produkte. Ich will damit nichts gegen Immaterielle Aktiva sagen, aber es sind Waren, die man den Leuten verkaufen muß, zu ihrem eigenen Besten und zum Besten der Menschheit selbst!«