»Gar nicht so übel«, gestand sie widerwillig ein.
»Ich kann sie selber besser mixen«, erbot ich mich. Und dachte dabei: Verdammt noch mal, ich ziehe besser so schnell wie möglich aus diesem Teilzeit-Condo aus, kann ja nicht erwarten, daß Mitzi jedesmal ihre Wohnung zur Verfügung stellt. Es war, als hätte ich laut gesprochen. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, während sie mich nachdenklich betrachtete. Die meisten der Falten waren von ihrer Stirn verschwunden, außer den beiden, die jetzt semipermanent zu sein schienen, aber ihr Blick war analytischer, als ich mir gewünscht hätte.
»Tenny«, sagte sie, »an dir ist etwas, das mich sehr stark anspricht...« »Danke, Mitz.«
»Deine Doofheit, denke ich«, fuhr sie fort, ohne auf das zu achten, was ich gesagt hatte. »Ja. Das ist es. Doof und hilflos. Du erinnerst mich an eine zahme Maus, die sich verlaufen hat.«
Ich versuchte es mit: »Nur eine Maus? Nicht wenigstens ein Katerchen zum Knuddeln?«
»Aus Kätzchen werden Katzen. Katzen sind Raubtiere. Ich glaube, was ich eigentlich am meisten an dir mag, ist, daß du irgendwo unterwegs deine Fangzähne verloren hast.« Sie blickte mich jetzt nicht an, sondern starrte an nur vorbei aus dem Fenster auf die smogigen Lichter der Stadt. Ich hätte eine Menge darum gegeben, zu wissen, welche Sätze sich in diesem Augenblick in ihrem Geist formten, gegen die sie ein Veto eingelegt hatte, bevor sie aus ihrem Mund kamen. Sie machte ein Zeichen. »Ich hätte gerne noch einen davon«, fügte sie hinzu, in die Welt zurückkehrend, in der ich mich befand.
Ich winkte dem Kellner und flüsterte ihm ins Ohr, während sie Lächeln und Nicken mit einem Dutzend anderer aus den Chefetagen austauschte. »Tut mir leid, daß ich meine Nase in die Sache mit deiner Mutter gesteckt habe«, meinte ich.
Sie zuckte zerstreut die Achseln. »Ich sagte ja, ich werde sie anrufen. Vergessen wir's.« Sie wurde lebhafter. »Wie läuft der Job? Ich höre, dein neues Projekt läßt sich gut an.«
Ich zuckte bescheiden die Achseln. »Es wird noch eine Weile dauern, bevor wir wissen, ob etwas daraus wird.«
»Es wird, Tenn. Bis dahin wirst du also bei der Religion bleiben?«
Ich sagte: »Nun, sicher, aber das habe ich ziemlich gut im Griff, Ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar Extrakurse belegen, mich darum kümmern, diesen Magisterabschluß zu beschleunigen.«
Sie nickte, als wäre sie mit mir gleicher Meinung, sagte aber: »Hast du jemals darüber nachgedacht, dich der Politik zuzuwenden?«
Das verblüffte mich: »Der Politik!«
Sie sagte nachdenklich: »Ich kann dir jetzt noch nicht viel sagen, aber es könnte nützlich sein, wenn du dir da auch mal den Wind um die Nase wehen ließest.«
Ein leichtes Prickeln lief meinen Rücken hinunter. Sie sprach von nachher! »Warum nicht, Mitz? Ich übergebe Religion morgen an meine Nummer Zwei! Und jetzt - wir haben den ganzen Abend vor uns...«
Sie schüttelte den Kopf. »Du vielleicht, Tenny. Ich muß noch etwas anderes erledigen.« Sie sah, wie ich ein langes Gesicht machte. Es schien sie ebenfalls zu deprimieren. Sie sah zu, wie der Kellner die zweite Runde Drinks brachte, bevor sie sagte; »Tenny, du weißt, daß ich im Augenblick eine Menge im Kopf habe...«
»Ich verstehe vollkommen, Mitz!«
»Tust du das?« Wieder der nachdenkliche Blick, »Jedenfalls verstehst du, daß ich beschäftigt bin. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich für dich empfinde.«
»Gut, hoffe ich.«
»Gut und schlecht, Tenny«, sagte sie melancholisch, »gut und schlecht. Wenn ich nur ein kleines bißchen vernünftig wäre...«
Aber sie sagte nicht, was sie tun würde, wenn sie nur ein kleines bißchen vernünftig wäre, und da ich einen betäubenden Verdacht hatte, daß ich wußte, was es gewesen wäre, ließ ich den Satz in der Luft hängen. »Auf dich«, sagte sie, wobei sie den neuen Mimosa musterte, als wäre es Medizin, bevor sie ihn schlürfte.
»Auf uns«, sagte ich und hob meinen eigenen Drink. Es war kein Mimosa. Es war auch kein Irish Coffee, obwohl es wie einer aussah. Obendrauf war das vorschriftsmäßige Häubchen geschlagener FastSahne, aber was darunter war, war das, das zu holen ich den Kellner hinunter in mein Büro gescheucht hatte: ein Deziliter purer Mokie-Koke.
V
Am nächsten Morgen schnippte ich als erstes mit den Fingern. Sofort materialisierte Dixmeister unter der Tür, entweder auf Befehle oder auf eine Einladung wartend, hereinzukommen und sich zu setzen. Ich sprach keines von beidem aus. »Dixmeister«, sagte ich, »ich habe die Religion jetzt so ziemlich auf der Reihe, also übergebe ich sie an - wie heißt er doch gleich...«
»Wrocjek, Mr. Tarb?«
»Richtig. Ich habe ein paar Tage frei, darum will ich die Politik mal aufs richtige Gleis bringen.«
Dixmeister wechselte unbehaglich seine Haihing in der Tür. »Nun, Sie müssen wissen, Mr. Tarb«, sagte er, »seit der alte Mr. Saims aufgehört hat, habe ich Politik so ziemlich selbst geleitet.«
»Genau das ist es, was wir in Ordnung bringen werden, Dixmeister. Ich möchte, daß alle aktuellen Lageberichte und Pläne zur Absegnung und Ausführung auf meinen Monitor überspielt werden, und ich will sie noch heute nachmittag. Nein, in einer Stunde... nein, wenn ich es recht bedenke, machen wir's jetzt gleich.«
Er stotterte: »Aber... aber...« Ich kannte das Problem; es gab wenigstens fünfzig verschiedene Datenspeicher anzuzapfen und in ein System zu bringen, und die Erstellung einer anständigen Übersicht war eine halbe Tagesarbeit. Darum scherte ich mich wenig oder überhaupt nicht.
»Tun Sie's Dixmeister«, sagte ich freundlich, lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und schloß die Augen. Ach, was für ein angenehmes Gefühl!
Ich hatte fast vergessen, daß ich ein Mokie war.
Es heißt, daß Mokie-Koke einen so aufgedreht macht, daß die Entscheidungen darunter leiden. Es ist nicht, daß sie keine Entscheidungen fällen können. Es ist nicht einmal, daß sie falsch sind, wenn Sie sie fällen. Vielmehr sind sie so hyper, so unter Strom, daß Ihnen eine Entscheidung nicht reicht. Sie treffen eine, und dann noch eine und dann wieder eine, piff-paff-puff, und wenn ein normales menschliches Wesen nicht mit Ihnen Schritt halten kann, was stets der Fall ist, verlieren Sie Ihre Ruhe. Dixmeister mochte vielleicht gedacht haben, daß das mit mir passierte, denn ich gab ihm vermutlich ziemlich oft meine spitze Zunge zu kosten. Aber ich war keineswegs beunruhigt. Ich wußte, was passieren sollte, aber ich hatte keine Angst, daß es mir passierte. Oh, sicher, vielleicht nach einer langen Zeit - zehn Jahre, fünf Jahre - weit genug in der Zukunft jedenfalls, daß ich mir darum keine Sorgen zu machen brauchte, weil ich ja jeden Tag mit dem Zeug aufhören würde. Bei der ersten sich mir bietenden Gelegenheit. Und inzwischen rührte ich kräftig das alte Schlagholz, schnappte mir den Ball und rannte mit einem Lauf um sämtliche Male. Sogar Dixmeister mußte das zugeben. Ich verwandte zwei Tage auf aktuelle Projekte und Pläne, und Mann, was brachte ich den alten Laden zum Summen!
Das erste, womit ich mich beschäftigte, war die PAK-Abteilung. Sie wissen, was ein Politisches Aktions-Komitee ist. Es handelt sich um eine Gruppe von Leuten mit einem besonderen Anliegen, die bereit sind, Geld aufzubringen, um Amtsträger zu bestechen - na ja, streichen Sie das, zu beeinflussen -, damit sie Gesetze und Verordnungen erlassen, die das begünstigen, womit auch immer das PAK sich befaßt. Einstmals gehörten die PAKs vor allem Geschäftsleuten und den sogenannten Gewerkschaften. Ich erinnerte mich, wie ich diese großen alten historischen Epen mit der Amerikanischen Ärztevereinigung und den Gebrauchtwagenhändlern gesehen hatte - eifrige junge Ärzte, die Steuerbefreiung für Tagungen auf Tahiti errangen; Gebrauchtwagenhändler, die für das unveräußerliche Recht kämpften, Sägemehl in ein Getriebe zu hin. Solche Sendungen sind amüsant, wenn man jung ist, aber wenn man älter und zynischer wird, hört man auf, daran zu glauben, daß Menschen so tugendhaft sind... Wie dem auch sei, diese Schlachten sind natürlich längst gewonnen, aber PAKs gibt es immer noch. Sie sind fast so gut wie die Religion. Man gründet sie und sammelt ihr Geld ein, und wofür geben sie es aus? Auf lange Sicht Werbung! Entweder ihre eigene, oder für die Wahlkampfreklame der Kandidaten, die sie mögen. Binnen eines Tages gründete ich also ein Dutzend neuer PAKs. Es gab ein Kunstgegenstände-PAK (die Idee hatte ich von Nelson Rockwell), ein Schweizer Armeemesser-PAK (»Wir brauchen sie, um uns die Nägel sauberzumachen - ist es unsere Schuld, daß Kriminelle sie zu anderen Zwecken benutzen?«), ein Pedicab-Pedaletreter-PAK, ein Mieter-PAK, um durch Gesetzgebung längere Schlafstunden zu bewirken, bevor die Über-Tag-Nutzer des Raumes einzogen - oh, ich machte wirklich Dampf! Es war fast zu leicht. Am Ende eines harten Tages hatte ich noch so viel Energie übrig, daß ich nicht wußte, wohin damit. Ich hätte mit der Uni weitermachen können, aber was hatte das für einen Sinn? Wieviel höher in der Welt würde mich ein Graduiertenabschluß bringen? Ich hätte in eine bessere Wohnung ziehen können, aber der Gedanke, eine aufzuspüren und in sie umzuziehen, deprimierte mich... und da war noch etwas. Ich fühlte mich sicher. So, wie die Dinge Hefen, hatte ich auch jeden Grund, sicher zu sein. Aber ich war schon einmal absolut sicher gewesen, und aus einer Wolke nicht größer als eine Menschenhand hatte das Schicksal nach mir gegriffen, um mich zu zerschmettern... Ich blieb in dem Teilzeit-Condo. Und unterhielt mich mit Nelson Rockwell, wenn wir zufällig zur gleichen Zeit wach waren, und wenn nicht, sah ich bis in die Puppen Omni-V. Ich sah mir Sportveranstaltungen und Seifenopern und Zeichentrickfilme an und den Großteil aller Nachrichtensendungen. Der Sudan war gerade wieder für die Zivilisation zurückgewonnen worden, indem man die gleichen Campbellschen Techniken anwandte, die auch bei mir benutzt worden waren - leidenschaftlicher Stolz angesichts einer Welt, die von Tag zu Tag besser wurde; ein kleines nagendes Jucken des Grolls, weil die Campbellschen Techniken schließlich meine eigene Welt nicht eben mordsmäßig viel besser gemacht hatten. Ein Wal war vor Lahaina gesichtet worden, aber weitere Nachforschungen ergaben, daß es nur ein verlorener Tank mit Jojoba-Öl war. In Tucson fand die Frühlingsolympiade statt, und es hatte einen großen Favoritensturz bei den Einradwettkämpfen gegeben. Miß Mitzi Ku, am Eingang zum T., G. & S.-Turm interviewt, bestritt Berichte, denen zufolge sie die Agentur verlassen würde...