Sie starrte auf die Straße hinaus, und ihr Gesichtsausdruck ließ sich nur schwer entziffern. »Mehr als das, Tenny. Wir sind nicht die ersten Invasoren, die sie gesehen haben. Sie hatten die Manchus und die Mongolen und die Hans und haben sie alle überlebt.«
Ich hustete - es war nicht Staub in meiner Kehle. »Invasoren ist nicht gerade das Wort, das ich gewählt hätte, Gert. Wir sind Zivilisatoren, weißt du. Was wir hier tun, ist eine wichtige Mission.«
»Wichtig stimmt«, schnappte sie, und es war eine Schärfe in ihrer Stimme, die mich überraschte. »Die letzte vor der großen Offensive, was? Hast du jemals daran gedacht, daß es eine logische Progression dabei gibt - Neuguinea, der Sudan, die Gobi. Und dann...« Plötzlich stockte sie und sah sich im Raum um, als fragte sie sich, wer mitgehört haben mochte.
Das konnte ich verstehen, denn sie sagte Sachen, die sie teuer zu stehen kommen würden, wenn die falschen Leute zuhörten. Ich war sicher, daß sie es nicht so meinte. Nicht tief in ihrem Inneren, heißt das. Den Kampftruppen an der Angriffsspitze der Zivilisation konnte man es nicht zum Vorwurf machen, wenn ihnen hin und wieder seltsame Dinge in den Sinn kamen. Daheim in der Zivilisation konnte einem derartiges Gerede eine Menge Schwierigkeiten einbringen, Hier... »Hier«, sagte ich nachsichtig, »stehts du unter Streß, Gert. Trink noch ein Coffiest, das wird dich beruhigen.«
Sie blickte mich einen Augenblick lang stumm an, dann lachte sie. »Na gut, Tenny«, sagte sie, die Winzlingskellnerin heranwinkend. »Weiß du was? Du wirst einen großartigen Feldgeistlichen abgeben.«
Es kostete mich einen Augenblick, darauf zu antworten - irgendwie hatte es nicht wie ein Kompliment geklungen. »Danke«, sagte ich schließlich.
»Und um einen aus dir zu machen«, meinte sie, »sollte ich dich wohl besser über deine Pflichten in Kenntnis setzen. Also, es werden zwei Sorten von Leuten zu dir kommen und dich um Hilfe bitten. Die erste Sorte sind die, die sich wegen etwas Sorgen machen - sie haben einen »Liebe Jane, leider muß ich Dir mitteilen, daß«-Brief von Ihrem Verlobten bekommen, oder sie glauben, ihre Mutter sei krank, oder sie sind überzeugt, daß sie verrückt werden. Mit denen wirst du am besten fertig, indem du ihnen rätst, sich keine Sorgen zu machen, und ihnen einen Vierundzwanzig-Stunden-Passierschein ausstellst. Die zweite Sorte sind Leute, die Mist gebaut haben. Sie haben ihren Verband verpaßt oder den Anwesenheitsappell verschlafen oder sind unangenehm beim Waffenappell aufgefallen. In diesen Fällen schickst du eine Benachrichtigung an den Hauptfeldwebel, damit der ihre Passierscheine für eine Woche streicht, und rätst ihnen, daß sie besser anfangen, sich Sorgen zu machen. Manchmal kommt auch jemand mit einem wirklichen Problem, und in diesem Falle... «
Also hörte ich zu und nickte und amüsierte mich wirklich recht gut. Da wußte ich auch noch nicht, daß sich zwei jener Leute mir wirklichen Problemen in meiner Gesellschaft befanden.
Oder daß sie beide an meinem Tisch aßen.
Das Amt eines Feldgeistlichen war nicht schwierig. Es ließ mir reichlich Zeit für lange, späte Mittagessen in der Stabsoffiziersmesse und abendliche Passierscheine nach Urumqi. Es ließ mir auch Zeit, mich zu fragen - und das zuerst ziemlich häufig -, was ich eigentlich hier machte, denn die Operation, die durchzuführen wir alle von einer Hemisphäre in die andere gescheucht worden waren, schien nicht stattzufinden... was immer es auch war, das stattfinden sollte. Als ich Gert Martels fragte, zuckte sie die Achseln und meinte, das sei einfach nur die gute alte Tradition des erst eilig Habens und dann Wartens, also hörte ich auf, mir deswegen den Kopf zu zerbrechen. Ich nahm, was jeder Tag mir bot. Das alte Urumqi-Hotel, das für das Divisions-Erholungszentrum requiriert worden war, wurde mir so vertraut wie mein offizieller Schlafiglu - tatsächlich verbrachte ich sogar meine Nächte im Hotel, wenn ich konnte, nicht nur wegen der Klimaanlage, sondern auch, weil jedes der heruntergekommenen alten Gästezimmer seine eigene Toilette mit Wasserspülung und Badewanne und Dusche hatte. Oft funktionierten alle drei von ihnen. Und im Offizierkasino war das Omni-V.
Das war nicht die reinste Freude. Zum einen, was ich wirklich wollte, waren Nachrichten. Um diese zu bekommen, mußte ich die nach Zivilisation ausgehungerten Offiziere, die meisten davon mit höherem Rang als ich, abwehren, die verzweifelt Sportsendungen, Shows, Unterhaltungsserien und Werbespots nötig hatten - vor allem Werbespots. Die Art von Nachrichten, die ich wollte, waren nicht die üblichen - das die Augen verdrehende Paar, das in Detroit den »Verbraucher des Monats« gewonnen hatte, oder die Ansprache des Präsidenten oder die Geschichte von den sechs zerstörten Pedicabs mit den elf Toten, als die Spitze des alten Chrysler-Gebäudes herunterfiel und einen halben Straßenzug der Zweiundvierzigsten plattdrückte. Ich meine die richtigen Nachrichten, den »Welt der Werbung«-Report und die täglichen Zeilenzahlen und Werbespot-Zeit-Hitparaden. Diese Nachrichten kamen um sechs Uhr morgens aufgrund der Tatsache, daß wir uns halb um die Erde herum befanden, und so hatte ich keine Hoffnung, sie zu sehen, wenn ich mein Glück nicht herausforderte und noch wieder eine Nacht im Divisions-Erholungszentrum verbrachte - und es natürlich schaffte, mich rechtzeitig wach zu bekommen, um mich hinunter ins Kasino zu begeben. Das war nicht leicht. Mit jedem Morgen wurde das Aufwachen schwerer und schwerer. Das einzige, was mich schließlich noch aus dem Bett kriegen konnte, war, keine Mokes im Zimmer zu haben, so daß ich aufstehen und losgehen mußte, um mir eine zu besorgen, sobald meine Augen sich öffneten.
Und dann war auch das, was ich sah, nicht eben die reinste Freude. Eines Morgens wurde ein ganzer Zehn-Minuten-Spot meinem ConsumAnon-Plan gewidmet. Er war mit einem Werbebudget von sechzehn Millionen Dollar gestartet worden. Er war ein großer Erfolg. Aber es war nicht meiner.
Darauf war ich vorbereitet. Worauf ich nicht vorbereitet war, war, daß der Kommentator mit jenem lüsternen Lächeln, das Leute bekommen, wenn jemand einen Coup gelandet hat, schloß, indem er das Verdienst jener dynamischen neuen Agentur anrechnete, die aus dem Nichts aufgetaucht war, um die Giganten herauszufordern... Haseldyne und Ku.
Der Hauptmann, der genau in diesen Augenblick das Kasino betrat, seine Gewichte schwingend und frischfrommfröhlichfrei dazu bereit, sein allmorgendliches Krafttraining zu absolvieren, wußte nicht, was für ein Glück er hatte. Ich ließ ihn am Leben. Wenn ich ihn nicht so mit meinem Wutausbruch erschreckt hätte, als er versuchte, den Kanal zu wechseln, hätte er mich bestimmt wegen ungebührlichen Verhaltens gemeldet, aber ich glaube nicht, daß er je zuvor so viel Gewaltbereitschaft auf einem Gesicht gesehen hat. Ich klammerte mich an den Kanalwahlschalter. Ich sah mich nicht einmal um, als er mit senkrecht herunterhängenden Gewichten davonschlich. Ich drehte an der Wählscheibe, auf der Jagd nach Nachrichtensendungen, ausgehungert nach Informationsbröckchen, Angesichts der zweihundertfünfzig Kanäle, die von den Satelliten herunterkamen, war es, als suche man den Schachteldeckel mit der Gewinnzahl im Abfalleimer. Ich scherte mich nicht darum, wie die Chancen standen. Klick, und ich bekam einen koreanischen Wetterbericht herein; klick, eine Kiddypomo-Showe mit Publikumsbeteiligung - ich drehte weiter. Ich erwischte den Rest der letzten Spätnachrichten zum Tagesschluß der BBC und RussCorps frühe Morgennachrichten aus Wladiwostok. Ich bekam nicht die ganze Geschichte. Ich war nicht sicher, daß alle Teile zusammenpaßten. Aber Haseldyne und Ku waren weltweit in den Nachrichten, und der große Umriß war erkennbar. Dambois hatte mir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Mitzi und Desmond Haseldyne hatten ihre Erlöse genommen und ihre eigene Agentur gestartet, das stimmte wohl. Aber sie hatten nicht nur Geld mitgenommen. Sie hatten die ganze Abteilung Immaterielle Aktiva von T., G. & S. mitgenommen - den Stab abgeworben - die Geschäftsunterlagen an sich gerissen... Meine Idee gestohlen.