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Sie schenkte dem Mann ein höfliches, aber kühles Lächeln und griff nach dem nächsten Drink. »Als ich fünfzehn war, starb Daddy, Sie sagten, er hätte Bronchial-irgendwas. Er hustete sich zu Tode.« Sie hielt inne, um zu schlucken, und das gab dem rundlichen alten Zivilisten eine Chance.

»Ihl wissen, ich gehen zul Missionalsschule?« fragte er. »Da hatten auch Chlistfest. Oh, wil auch Missionalsjungs schulden viel gloße Menge!«

Es war nicht einfach für mich, einer Lebensgeschichte zu folgen, viel weniger zweien. Die Bar war inzwischen erheblich lauter und voller geworden, und obwohl der alte Ausflugsdampfer sicher an den Pfählen der Bund vertäut war, hätte ich schwören mögen, daß er in den Wellen schaukelte. »Nur zu«, sagte ich allgemein.

Gert reagierte schneller. »Wußtest du, Tenny«, fragte sie, »daß Fabriken früher einmal Rauchfilter in den Schornsteinen hatten? Sie filterten den Schwefel und die Flugasche aus. Die Luft war sauber, und die durchschnittliche Lebenserwartung betrug acht Jahre mehr als heute.«

»Hiel auch!« rief der Zivilist. »Als ich in Missionalsschule...«

Aber sie überging ihn einfach. »Weißt du, warum man damit aufhörte? Tod. Man wollte mehr Tod. Im Tod liegt das große Geld. Teilweise sind es die Bilanzen der Versicherungsgesellschaften - die Versicherungsmathematiker rechneten aus, daß es weniger kostet, Lebensversicherungspolicen auszuzahlen, als Leibrenten. Dann ist da das ganze Dollaraufkommen aus der Krankenhausversicherung, und ein Fünfzigjähriger, der sein ganzes Leben im Smog gelebt hat, weiß, daß er eine Menge Zeit damit verbringen wird, krank zu sein, also muß er eine abschließen - dann, wenn er schnell stirbt, ist das fast alles Profit. Natürlich sind da auch noch die Leichenbestatter. Du würdest nicht glauben, welche Profite beim Begraben der Toten gemacht werden. Aber vor allem -« Sie sah sich am Tisch um, mild lächelnd- »vor allem, na ja, zum Teufel. Sobald ein Verbraucher das Rentenalter erreicht, wieviel Geld hat er dann, um sich Sachen zu kaufen? Verdammt wenig. Wer also braucht ihn?«

Ich sagte nervös: »Gert, Schätzchen, vielleicht sollten wir ein bißchen frische Luft schnappen.« Der alte Zivilist grinste und nickte; er hatte selbst genug intus, daß es ihm egal war, was irgend jemand sagte. Aber einer der Whangpu-Matrosen runzelte die Stirn, als verstünde er doch ein wenig Englisch. Es schien Gert kalt zu lassen.

»Hätte es frische Luft gegeben«, erklärte sie, »wäre Daddy vielleicht nicht auf diese Art gestorben, oder?« Sie streckte mit einem süßen Klein-Mädchen-Lächeln ihr Glas aus. »Könnte ich wohl noch ein bißchen haben, bitte?« fragte sie.

Gott segne den alten Zivilisten. Binnen eines Augenblicks hatte er die Kellnerin mit einer neuen Runde da, und das Gesicht des Whangpu-Matrosen entspannte sich, als er seine Nachfüllung bekam.

Ich war weit davon entfernt, nüchtern zu sein, aber nicht so weit, um nicht zu bemerken, daß Gert in schlechterer Verfassung war als ich. Ich unternahm eine Anstrengung, das Thema zu wechseln. »Also mögen Sie die Missionare, ja?« meinte ich herzlich zu unserem Wohltäter.

»Oh, veldammt gute Jungs, ja! Schulden ihnen viel gloße Menge.«

»Weil sie das Christentum nach China gebracht haben, meinen Sie?«

Er wirkte verblüfft. »Wieso Chlistentum? Für Chlistfest -Weihnachten, Wißt ihl, was Weihnachten bedeuten? Ich Ihnen sagen. Mein Geschäft - Gloßhandel mit Kleidelwalen allel Alt - Weihnachsvelkäufe bedeuten finfzig Plozent von Velkaufsvolumen jählich, beinahe finfundachtzig Plozent von Netto. Das Weihnachten bedeuten! Buddha, Mao, sie uns nie so etwas gegeben!«

Unglücklicherweise hatte er Gert wieder in Gang gesetzt. »Weihnachten«, sagte sie verträumt, »war nicht mehr so wie früher, nachdem Daddy gestorben war. Zum Glück hatte er ein altes Gewehr. Also fuhr ich raus zu den Müllabladeplätzen - wir wohnten damals in Baltimor, unten am Hafen - und schoß Seemöven und schmuggelte sie nach Hause. Natürlich waren sie nicht wie TruThan, aber Mutti...«

Ich verschüttete beinahe meinen Drink. »Gert«, rief ich, »ich glaube, wir gehen jetzt besser?« Aber es war zu spät.

»...Mutti bereitete diese Seemöven so zu, daß man hätte glauben können, sie wären ÄchtFlaisch, und wir aßen, bis uns schlecht wurde und...«

Sie führte es nie zu Ende. Der Whangpu-Matrose sprang auf, das Gesicht vor Zorn und Ekel arbeitend. Ich verstand die Worte nicht, die er sagte, aber die Bedeutung war klar genug. Tierfresser. Und dann brach die Hölle los.

Ich erinnere mich nicht mehr sehr deutlich an den Kampf, nur daran, wie die MPs hereinströmten, als ich mich zum zweiten Mal unter dem Tisch hervorzog. Adrenalin und Panik hatten viel von dem Schnaps aus mir herausgekocht, aber ich dachte, ich sei immer noch betrunken, halluzinatorisch betrunken. Delirium tremens-betrunken, als ich sah, wer sie anführte. »Ach, Frau Oberst Heckscher!« murmelte ich. »Was für eine Überraschung, Sie hier zu sehen.«

Und dann verlor ich das Bewußtsein.

Nun ja, es war auch eine Art, nach Hause zu kommen. Beinahe nach Hause. Bis Arizona jedenfalls. Dorthin ging Oberst Heckscher, und da wir immer noch nominell Mitglieder ihres Stabes waren, hatte sie keine Mühe, uns mit ihr zusammen für die Kriegsgerichtsverhandlung überstellen zu lassen.

Also wechselte ich von einer staubigen Wüste in eine andere. Es schien, als seien die Hälfte der Sturmtruppen von Urumqi bereits vor mir dort angekommen. Von meinem einsamen Zimmer in den Stabsoffiziersquartieren aus - Gert war im Militärgefängnis, aber da ich Offizier war, stand ich nur unter Hausarrest - konnte ich ihre Schaumstoffiglus sehen, die sich in ordentlichen Reihen bis zum Horizont erstreckten, und ganz am Rande des Lagers eine lange Reihe von Shuttles. Ich verbrachte nicht viel Zeit damit, sie mir anzuschauen. Den Großteil meiner Zeit verbrachte ich mit der Wehranwältin, die das Gericht zu meiner Verteidigung bestellt hatte. Verteidigung! Sie war höchstens zwanzig, und ihre Hauptreferenz war, daß sie in der Copyright & Warenzeichen-Abteilung einer unbedeutenden Houstoner Agentur gearbeitet hatte, während sie darauf wartete, zur Rechtsakademie zugelassen zu werden.

Aber ich hatte einen mächtigen Freund. Der chinesische Zivilist vergaß seine alten Saufkumpane nicht. Er weigerte sich, gegen uns auszusagen, und es schien, als hätte er die gesamte Whangpu-Flotte bestochen, denn als sie via Satellitenvideo zur persönlichen Aussage aufgerufen wurden, bezeugten sie allesamt, daß sie kein Englisch sprächen, nicht wüßten, was -wenn überhaupt etwas - Gert und ich gesagt hatten, ja, sich nicht einmal sicher wären, ob es sich bei uns um die Leute aus dem Westen handelte, die an jenem Abend in der Bar gewesen waren. Alles, wofür sie mich drankriegen konnten, war also ungebührliches Verhalten für einen Offizier, und das bedeutete nicht mehr als eine unehrenhafte Entlassung.

Es bedeutete aber auch nicht weniger. Dafür sorgte Oberst Heckscher. Aber ich hatte Glück. Gert Martels bekam die gleiche UE, aber da sie aus den Mannschaftsdienstgraden kam und Berufsunteroffizier war, hatten sie eine lange Akte über sie; und nur, um in ihrer Erinnerung die unehrenhafte Entlassung ein bißchen unangenehmer zu machen, gaben sie ihr zuerst sechzig Tage verschärften Arrest.

Tarb im Fegefeuer 

I

Als ich zu Taunton, Gatchweiler & Schocken ging, um zu fragen, ob ich meinen alten Job zurückhaben könnte, befürchtete ich, daß Val Dambois mich nicht einmal empfangen würde. Darin lag ich falsch. Er empfing mich. Er freute sich sogar. Er lachte während des ganzen Gesprächs. »Sie armer Narr«, sagte er, »Sie ames, zitterndes, demoralisiertes Wrack. Was läßt Sie glauben, daß wir Pedicab-Strampler dringend genug brauchen, um Sie zu nehmen?«

Ich sagte: »Mein Kündigungsschutz...«