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»Ihr Kündigungsschutz, Tarb«, sagte er vergnüglich, »ist mit Ihrer unehrenhaften Entlassung erloschen. Aufgrund einer schwerwiegenden Verfehlung, wie es juristisch heißt. Verschwinden Sie. Oder noch besser, bringen Sie sich um.« Und als ich die dreiundvierzig Treppenfluchten zum Hinterausgang hinuntermarschierte - Dambois hatte es nicht für angebracht gehalten, mir einen Liftpaß auszustellen -, fragte ich mich, wie lange es dauern würde, bis das eine logische Möglichkeit war.

Es gab manches, was dafür sprach, daß es genau das war, was ich jetzt schon tat, denn bei meiner abschließenden Entlassungsuntersuchung aus der Armee hatte die Ärztin ihre Skalen und Meßgeräte mit zunehmend besorgtem Blick abgelesen, bis sie schließlich mit einem Knopfdruck meine Entlassungspapiere auf den Schirm holte und sah, daß ich ein UE war. »Na ja«, meinte sie daraufhin, »ich nehme an, es ist wohl egal. Aber ich würde sagen, Sie sind auf dem besten Wege zu einem vollständigen körperlichen und seelischen Zusammenbruch innerhalb der nächsten sechs Monate.« Und sie schrieb in großen roten Buchstaben über die lange Liste meiner verfallenden körperlichen Eigenschaften "Nicht dienstbedingt", so daß sich wahrscheinlich nicht einmal die Veteranenbehörde dafür interessieren würde, was aus Tennison Tarb wurde. Würde Mitzi das? Mein Stolz hielt mich davon ab, zu fragen - fünf Tage lang. Dann schickte ich ihr eine Nachricht, heiter und positiv, wie war's mit einem Drink um der alten Zeiten willen? Die beantwortete sie nicht. Sie beantwortete auch nicht die wenigen heiteren und alles andere als positiven Nachrichten des zehnten Tages, des zwölften, des fünfzehnten...

Tennison Tarb hatte keine Freunde mehr, schien es.

Tennison Tarb hatte auch nicht mehr gerade besonders viel Geld. Unehrenhafte Entlassung schloß den Verlust aller Bezüge und gewährten Zuwendungen ein, was unter anderem bedeutete, daß alle meine Barrechnungen aus dem Offizierskasino in Urumqi an ein Inkassobüro weitergeleitet wurden. Die übrige Welt hatte vergessen, daß ich am Leben war, aber die Kniebrecher hatten keine Schwierigkeiten, mich und das, was von meinem Bankkonto noch übriggeblieben war, aufzuspüren. Als sie mit dem Schuldenbetrag plus Zinsen plus Inkassogebühren plus Steuern - plus Trinkgeld! - denn sie erklärten, daß die Kunden den Eintreibern immer Trinkgeld gaben, und sie schwenkten ihre Hartgummiknüppel, während sie das erklärten -, wieder weggingen, war auch in finanzieller Hinsicht von Tennison Tarb nicht viel mehr übrig als sonst auch.

Und doch hatte ich immer noch meinen hellen, originellen, kreativen Verstand! (Oder war mein Verstand zusammen mit dem Rest von mir so heruntergekommen, daß triviale Einsichten und dumme Ideen brillant erschienen?) Ich las jedesmal die Werbezeit, wenn ich Gelegenheit hatte, einen Omni-V-Kanal zu wählen, während ich in Einstellungssälen auf Vorstellungsgespräche für Jobs wartete, die ich nie bekam. Angesichts mancher Werbefeldzüge nickte ich zustimmend, runzelte angewidert die Stirn bei anderen - ich hätte sie so viel besser machen können!

Aber niemand wollte mir die Chance geben. Es hatte sich herumgesprochen: ich stand auf der Schwarzen Liste.

Sogar die billigste Teilzeitmiete war mehr, als ich mir leisten konnte, also nahm ich eine Schlafstelle bei einer Verbraucherfamilie in Bensonhurst. Sie hatten annonciert, daß sie noch Platz hatten, und der Preis war richtig. Ich machte die lange U-Bahn-Fahrt, fand das Gebäude, stieg die Stufen zum dritten Untergeschoß hinunter und klopfte an die Tür. »Hallo«, sage ich zu der müden, sorgenvoll aussehenden Frau, die aufmachte, »ich bin Tennison Tarb«, und am Ende des Satzes holte ich erst einmal Luft. O Mann, ich hatte vergessen! Ich hatte vergessen, wie Verbraucher lebten, und vor allem hatte ich vergessen, in was sich Verbrauchemahrung im Verdauungstrakt verwandelte. Es ist wahr, strukturiertes pflanzliches Protein ähnelt wohl Fleisch - ist ein bißchen wie Fleisch - wie das ÄchtFlaisch aus den Zellkulturen jedenfalls-, aber selbst wenn sich die Geschmacksknospen täuschen lassen, die Darmflora nicht. Sie weiß, was sie mit dem Zeug machen muß. Es nur ja wieder loswerden - viel davon als Gas. Die beste Art, wie ich die Atmosphäre dieses vorstädtischen Verbraucherhaushalts beschreiben kann, ist, wie wenn Sie in einer Nachbarschaft der untersten Klasse hängengeblieben sind und den Gemeinschaftsabtritt benutzen müssen und es die letzte halbe Stunde vor der morgendlichen oder abendlichen Spülung ist. Nur mußte ich jetzt darin leben.

Sie waren auch gar nicht so recht glücklich darüber, mich zu sehen, denn meine kleine Schultertasche mit Mokebehältern fügte eine neue Sorge zu den Linien im Gesicht der Frau hinzu. Aber sie brauchten das Geld, und ich brauchte den Platz zum Schlafen. »Sie können auch die Mahlzeiten mit uns einnehmen«, sagte sie gastfreundlich, »essen Sie einfach nur mit der Familie, und es wird Sie nicht viel kosten.«

»Vielleicht später«, sagte ich. Sie hatten die Kinder bereits in ihren Krippen über dem Spülstein schlafen gelegt. Mit ihrer Hilfe schob ich die Möbel beiseite, um Platz für meine Schlafmatte zu machen, und als ich einschlief, fand mein heller, origineller, kreativer Verstand sogar noch im Unglück Inspiration. Ein neues Produkt! Antigas-Deodorant, dem Essen beizugeben. Die Chemiker konnten in Null Komma Nichts etwas zusammenbrauen - ob es tatsächlich funktionierte, war natürlich von untergeordneter Bedeutung, nur daß wir ein starkes Thema für eine Werbekampagne und einen guten Markennamen hatten...

Als ich am Morgen aufwachte, stand mir die Kampagne immer noch klar vor Augen, aber etwas war falsch. Wo war der Gestank? Ich roch ihn nicht mehr! Und ich begriff, daß Verbraucher ihren eigenen Duft nicht wahrnehmen.

Natürlich, sagte ich mir, bedeutete das nur, daß man es ihnen sagen mußte. Das ist die höchste Blüte der Werbung - Bedürfnisse nicht nur zu befriedigen, sondern sie zu schaffen.

An diesem Morgen auf dem Weg zur nächsten Stellenagentur lernte ich etwas. Ich lernte, daß brillante Ideen nicht mal einen Schlangenschneuzer wert sind, wenn die falschen Leute sie haben. Damals bei T., G. & S., als ich leichten Zugang zum Büro des Alten und zum Planungskomitee gehabt hatte, hätte sich mein Brainstorming binnen neunzig Tagen in einen Zehn-Millionen-Etat verwandelt. Aber weil ich im U-Bahn-Wagen auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch ausharrte, arbeitslos, fast pleite, ohne mein ganzes Netzwerk von Mitarbeitern und Verbindungen, war es kein Brainstorming. Es war ein Hirngespinst, und je eher ich mit dem Herumphantasieren aufhörte und mich mit meinem neuen Rang im Leben abfand, desto besser, oder jedenfalls desto weniger schlimm, würde es sein.

Aber ach! Stolz oder kein Stolz, wie vermißte ich meine Messinglady, Mitzi Ku.

An diesem Abend traf ich eine Entscheidung. Ich fuhr nicht zum Abendessen zu meiner Verbraucherfamilie zurück. Ich aß überhaupt nicht zu Abend. Ich setzte mich draußen vor Nelson Rockwells Teilzeit-Condo, trank Mokes und wartete darauf, daß er aufwachte. Ein müder alter Mann mit einem Bauchladen mit Kelpy Krisp-Proben tauschte mit mir einen Imbiß gegen eine Moke; ein ekliger Brinks-Streifenbulle scheuchte mich zweimal weiter; tausend hastende Verbraucher gingen mit finsterern Gesichtsausdruck an mir vorbei und ignorierten mich selbst dann, wenn sie über mich stolperten - ich hatte jede Menge Zeit zum Nachdenken und nicht viel Angenehmes, um darüber nachzudenken. Ich war weit von Mitzi Ku weg.

Als zu guter Letzt Rockwell herauskam und mich entdeckte, wie ich gegen den Müllschlucker lehnte, fiel ihm das Kinn herunter - nicht weit, weil es verdrahtet war. Und sein Kopf war mit Verbänden umwickelt; tatsächlich sah er schrecklich aus. »Tenny!« schrie er. »Mensch, gut dich zu sehen! Aber was hast du bloß mit dir gemacht; du siehst schrecklich aus!« Als ich das Kompliment zurückgab, zuckte er betreten die Achseln.

»Ach, nichts Ernstes, bin nur ein bißchen mit meinen Zahlungen in Verzug geraten. Aber was tust du hier draußen? Warum bist du nicht einfach reingekommen und hast mich geweckt?«