Выбрать главу

Ich war dicht davor. Ich kam bis zum Bürgersteig vor dem eher unauffälligen kleinen Gebäude in der Nähe des alten Lincoln Center, das die brandneue Agentur Haseldyne & Ku beherbergte...

Aber ich ging nicht hinein.

Ich weiß nicht, was mich weitermachen ließ, denn es war bestimmt nicht Ehrgeiz, und es war ganz bestimmt nicht die Tatsache, daß mein Leben so lebenswert war. Die graue Taubheit hielt Schmerz und Verlangen außen vor, aber sie wirkte ebenso gut gegen Vergnügen und Freunde. Ich schlief. Ich aß. Ich arbeitete an meinen Lebensläufen und Bänden mit Arbeitsproben. Ich riß meinen Job in der Ösenfabrik ab. Ein Tag folgte auf den anderen.

An der Ösenfabrik war bestimmt nichts Anregendes. Die Arbeit war öde, und die Branche schien in den letzten Zügen zu liegen. Wir sahen nie das fertige Produkt. Wir warfen die Ösen aus, und sie wurden nach Orten wie Kalkutta und Kampuchea verschifft, um dazu gebraucht zu werden, wozu auch immer sie gebraucht wurden - es war billiger für die Inder und Kampucheaner, von uns zu kaufen, als sie am Ort herzustellen, aber nicht viel billiger, also florierte das Geschäft nicht. In der ersten Woche, die ich da war, machten sie die Drahtplastik-Abteilung dicht, obwohl stranggepreßtes Aluminium und schmelzlackiertes Messing immer noch ganz gut liefen. In den oberen Etagen der Fabrik gab es jede Menge ungenutzten Raums, und wenn nicht viel zu tun war, stöberte ich dort herum. Man konnte in der Stratigraphie der alten Fabrik die Geschichte der Branche geschrieben sehen. Bolzenlöcher im Boden, wo einmal die Ein-Mann-Stanzpressen gestanden hatten... überlagert von den Narben der Hochgeschwindigkeits-Strangpressen-Straßen... begraben unter den Spuren der mikroprozessorgesteuerten Maßfertigungsmaschinen... und nun wieder überholt von der Ein-Mann-Stanzpresse. Und ganz mit Staub, Rost und Schimmel bedeckt. Es gab Lampen im oberen Stockwerk, aber als ich den Schalter betätigte, gingen nur eine Handvoll an, alte Leuchtstoffröhren, von denen die meisten wild flackerten. Ein Heer von Treppenschläfern hätte hier ein Zuhause finden können, aber Mr. Semmelweiss jagte dem Hirngespinst von »wünschenswerteren« Mietern nach... oder der noch phantastischeren Hoffnung, daß irgendwann Ösen wieder einen Boom erleben würden und die ganze Fabrik wieder emsig sein würde.

Hirngespinste, höhnte ich - neidisch, weil die kleinen grünen Pillen nicht nur meinen Mokehunger weggenommen, sondern auch ein Loch in meine eigenen Träume gepiekst hatten. Es ist schrecklich, am Morgen aufzuwachen und festzustellen, daß der gerade heraufgedämmerte Tag auch nicht besser als der vorige sein wird.

II

Was führte die Veränderung herbei? Ich weiß es nicht. Nichts wahrscheinlich. Ich traf keinen Entschluß, klärte keine unbeantwortbaren Fragen. Aber eines Morgens stand ich in aller Hergottsfrühe auf, stieg in einer anderen U-Bahn-Station um, stieg aus, wo ich sehr, sehr lange nicht mehr gewesen war, und fand mich bei Mitzis Apartmentgebäude ein.

Das Türding öffnete sein Maul, um meine Fingerspitzen zu beschnüffeln und meine Handflächenabdrücke zu lesen. Mittlerer Erfolg. Es ließ mich nicht ein, aber es schlug auch nicht zu, um mich festzuhalten, bis die Bullen kamen. Binnen einer Minute erschien Mitzis schläfriges Gesicht auf dem Schirm. »Du bist es wirklich«, sagte sie, dachte einen Augenblick nach und fügte dann hinzu: »Du kannst genausogut raufkommen.«

Die Tür öffnete sich lange genug, daß ich mich hindurchquetschen konnte, und den ganzen Weg nach oben auf dem Festhaltelift versuchte ich, herauszufinden, was an der Art, wie sie ausgesehen hatte, merkwürdig gewesen war. Haare verwuschelt? Sicher, aber offenbar hatte ich sie direkt aus dem Bett geholt. Gesichtsausdruck komisch? Vielleicht. Es war ganz eindeutig nicht das Aussehen von jemandem, der froh war, mich zu sehen.

Ich schob diese Frage in den Winkel meines Verstandes, wo der wachsende Berg unbeantworteter Fragen und unaufgelöster Zweifel weggeschlossen war. Bis sie mich in ihre eigene Wohnung einließ, hatte sie sich das Gesicht gewaschen und ein Tuch über die Haare geworfen. Der einzige Ausdruck, den sie zeigte, war höfliche Neugier. Höfliche distanzierte Neugier. »Ich weiß nicht, warum ich hier bin«, sagte ich, »außer, daß ich wirklich nicht wüßte, wo ich sonst hingehen sollte.« Ich hatte nicht geplant, das zu sagen. Ich hatte eigentlich überhaupt nichts geplant, aber als die Worte aus meinem Mund kamen und ich sie hörte, erkannte ich sie als wahr.

Sie schaute meine leeren Hände und meine nicht ausgebeulten Taschen an. »Ich habe keine Mokes hier, Tenny.«

Ich wischte das weg. »Ich trinke keine Mokes mehr. Nein, ich bin nicht davon losgekommen; ich bin bloß auf Ersatz.«

Sie wirkte schockiert. »Pillen, Tenny? Kein Wunder, daß du so schrecklich aussiehst.«

Ich sagte ruhig: »Mitzi, ich bin nicht wütend, und ich glaube nicht, daß du mir irgend etwas schuldest, aber ich dachte, du würdest mich anhören. Ich brauche einen Job. Einen Job, der meine Fähigkeiten verlangt, denn das, was ich jetzt mache, ist dem Totsein so ähnlich, daß ich eines Morgens ganz einfach nicht mehr aufwachen werde, weil ich nicht mehr in der Lage bin, den Unterschied zu erkennen. Ich stehe auf der Schwarzen Liste, das weißt du. Das ist nicht deine Schuld; das will ich damit nicht sagen. Aber du bist meine einzige Hoffnung.«

»Ach, Tenny«, sagte sie. Das Höfliche-Neugier-Gesicht ging entzwei, und einen Augenblick lang dachte ich, sie würde gleich weinen. »Ach, verdammt, Tenny«, sagte sie. »Komm in die Küche und frühstücke.«

Selbst wenn die Welt grau in grau ist, selbst wenn die Umstände auf so verrückte Art anders sind als alles, was du je zuvor getan hast, daß ein Teil deines Verstandes in verwirrten Kreisen seinen Schwanz jagt, helfen dir deine Gewohnheiten und deine Ausbildung weiter. Ich sah zu, wie Mitzi Orangen auspreßte (richtige Obst-Orangen! Sie auspreßte!) des Saftes wegen und Kaffeebohnen (richtige Kaffeebohnen!) mahlte, um Kaffee zu machen, und die ganze Zeit über redete ich so selbstsicher und nachdrücklich auf sie ein, wie ich es nur je beim Alten getan hatte, wenn ich ihm eine Idee verkaufen wollte. »Produktwerbung, Mitzi«, sagte ich. »Darin bin ich gut,

und ich habe große neue Produktkampagnen ausgearbeitet. Wie wär's zum Beispiel mit der: Ist dir je aufgefallen, daß es erhebliche Mühe macht, Einweg-Zellstofftücher, -Rasierapparate, -Kämme, -Zahnbürsten zu verwenden? Du mußt immer einen Vorrat davon zur Hand haben. Wenn du hingegen etwas Permanentes hättest...«

Sie runzelte die Stirn, so daß die Falten sehr tief und sehr auffällig wurden. »Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst, Tenny.«

»Einen permanenten Ersatz für, sagen wir, Einweg-Zellstofftücher. Ich habe Nachforschungen angestellt; früher nannte man das Taschentücher. Ein Luxusgegenstand, verstehst du das nicht? Teuer wegen des damit verbundenen Prestiges.«

Sie sagte zweifelnd: »Es gibt aber doch kein Wiederholungsgeschäft, oder? Ich meine, wenn sie permanent sind...«

Ich schüttelte den Kopf, "»Permanent" heißt doch nur so lange, wie der Verbraucher es behalten will. Der Schlüssel ist die Mode. Im ersten Jahr verkaufen wir viereckige. Im Jahr darauf vielleicht dreieckige - dann in verschiedenen Mustern, Drucken, Farben, vielleicht mit Spitzenbesatz; die Zahlen sagen aus, daß darin ein größerer Profit steckt als in Einwegwaren.«

»Nicht schlecht, Tenny«, gestand sie, während sie eine Tasse dieses eigenartigen Kaffees vor mich hinstellte. Tatsächlich schmeckte er gar nicht mal so übel.