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I

Es war einmal ein Mann namens Mitchell Courtenay, der, nach dem die Hälfte aller Straßen auf der Venus benannt zu sein scheint. Sie glauben, er sei ein Held, aber als meine Grundschullehrerin uns im Geschichtsunterricht von ihm erzählte, spie sie seinen Namen voller Verachtung aus. Wie ich war er ein Werbetexter der Starklasse. Wie ich geriet er in eine Gewissenskrise, die er nie gewollt hatte und mit der er nicht fertigzuwerden wußte.

Wie ich war er ein Verräter.

Das ist die Art von Wort, das man nicht hören will, wenn man selbst es ist, auf den es angewandt wird. »Tennison Tarb«, schrie ich, so laut ich konnte - hinein in den Donner des U-Bahn-Tunnels, als ich den Spätnahverkehrszug zu meiner Herberge in Bensonhurst nahm, wo niemand das Wort hören konnte, nicht einmal ich selbst - »Tennison Tarb, du bist ein Verräter am Handel!«

Nicht einmal ein Echo antwortete. Oder wenn doch, dann ging es im Brausen der U-Bahn unter. Ich verspürte keinen Schmerz bei dem Wort, obwohl ich wußte, daß es gerecht und vernichtend war.

Ich nehme an, es waren die langen grünen Pillen, die jenen Schmerz betäubten, zusammen mit all den anderen Schmerzen, die ich nicht länger spürte. Das war mein Glück; aber wenn man die Münze umdrehte, war die andere Seite, daß ich auch keine Freude darüber empfand, wieder ein Werbefachmann zu sein. Hinauf, hinab. Hinauf, hinab. Wie lange ich dieses Mal oben bleiben würde, konnte ich nicht einmal vermuten, aber da war ich nun. Ich hätte triumphiert - wenn die Welt nicht so grau gewesen wäre.

Und wenn die Welt nicht so grau gewesen wäre, hätte ich vielleicht immer noch vor Angst gezittert, denn es war sehr knapp gewesen, dort auf dem Dachboden über der Ösenfabrik.

Ich hatte sehen können, wie Desmond Haseldynes Kartensortierer-Verstand einen Plan nach dem anderen auswarf: Schlag ihm den Schädel ein und steck ihn in eine Ösenpresse, um die Beweise verschwinden zu lassen. Betäube ihn mit Drogen und wirf ihn aus einem hohen Fenster. Besorge etwas Moke-Extrakt und verpaß ihm eine Überdosis - das wäre das einfachste und sicherste überhaupt gewesen. Aber er tat es nicht. Mitzi würgte hervor, daß sie mir eine Chance geben wollte, und Haseldyne setzte sich nicht darüber hinweg.

Er gab mir aber auch nicht die »Selbstmordankündigung« zurück.

Wenn ich das Leben vor mir betrachtete, konnte ich zwei gähnende Abgründe sehen. Auf der einen Seite, daß Haseldyne die Selbstmordankündigung schließlich doch noch benutzen würde, und das wäre für immer das Ende Tennison Tarbs. Auf der anderen Entdeckung, Festnahme, Gerhirnausbrennen. Zwischen den beiden verlief eine schmale Messerschneide, auf der entlangzuspazieren ich hoffen konnte - doch sie führte in eine Zukunft, in der mein Name für immer von Generationen zukünfiger Schulkinder geschmäht werden würde.

Es war ein Segen, daß ich die langen grünen Pillen hatte.

Da ich nun einmal auf die Messerschneide festgelegt war, machte ich auch weiter damit. Ich rasierte mich und bügelte meine Klamotten und machte mich so schick, wie es mir mit dem Geld, das ich noch übrig hatte, und den in meiner Bensonhurster Behausung verfügbaren Einrichtungen nur eben gelingen wollte - wenn ich an schlafwandelnden Eltern und knütterigen Kindern vorbeikommen konnte, um sie zu erreichen. Die lange, dampfige U-Bahn-Fahrt weichte die neuen Bügelfalten wieder aus meinen Shorts heraus und blies Ruß in meine gewaschenen Haare, aber nichtsdestotrotz war ich hinreichend präsentabel, als ich mich in der Lobby des Haseldyne & Ku-Gebäudes meldete. Dort überprüfte ein Wackerhut-Bulle meine Handflächenabdrücke, steckte eine Magnetplakette, die mich als vorübergehenden Besucher auswies, an meinen Kragen und brachte mich schnellstens hinauf zu Mitzis Büro. Zur Tür von Mitzis Büro jedenfalls, wo ihr neuer Sek² mich aufhielt. Er war ein Fremder für mich. Ich aber nicht für ihn, denn er begrüßte mich mit Namen. Ich mußte gewisse Formalitäten über mich ergehen lassen. Der Sek² hatte die Personalabteilung schon vorbereitet; ein Mitarbeitervertrags-Fax lag für meinen Daumenabdruck bereit, und sobald ich offiziell unterschrieben hatte, überreichte er mit eine permanente Agentur-ID und einen Zwei-Wochen-Gehaltsvorschuß.

So kam es, daß ich Geld in meinem Kreditspeicher hatte, als ich endlich durch die Tür in Mitzis Büro gelangte. Es war eine Kommandozentrale erster Klasse, so opulent und gewaltig wie die des Alten bei T., G. & S. Eingerichtet war sie mit Schreibtisch und Konferenzcouch, einer Getränkebar und einem Vid-schirm, dazu drei Fenstern und zwei Besuchersesseln. Das einzige, was fehlte, war Mitzi Ku. An ihrer Stelle saß finster blickend Des Haseldyne hinter dem Schreibtisch, und er hatte noch nie größer ausgesehen. »Mitzi ist beschäftigt; ich erledige das für sie«, verkündete er.

Ich nickte, obwohl es nicht zu meinen liebsten Träumen zählte, von Des Haseldyne erledigt zu werden. »Können wir hier sprechen?« fragte ich.

Er seufzte geduldig und winkte mit der Hand in Richtung der Fenster. Und tatsächlich, Fenster und Tür glitzerten alle im schwachen Schimmer eines Abschirmvorhangs; keine elektronischen Schweinereien würden aus diesem Raum hinausgelangen, solange er an war. »Fein«, sagte ich. »Setzen Sie mich an die Arbeit.«

Er war seltsam unschlüssig. »Eigentlich haben wir gar keinen Platz für Sie«, grollte er schließlich.

Das war deutlich genug. Ich war kein Teil ihrer Pläne gewesen, bis ich mich ihnen aufgedrängt hatte. Ich glaubte nicht, daß irgend etwas, was ich anbieten konnte, ihm wie eine gute Idee erscheinen würde; er mochte auf Mitzi hören, aber niemals auf mich. Trotzdem versuchte ich, die Pille leichter zu schlucken zu machen. »Mitzi erwähnte die Politik - Sie wissen, daß ich da praktisch alles verkaufen kann«, meinte ich.

»Nein!« Das Bellen war laut, wütend und endgültig. Wieso brachte ihn das so aus der Fassung? Ich zuckte die Achseln und versuchte es noch einmal.

»Es gibt andere immaterielle Aktiva - Religion zum Beispiel. Oder jede Art von Produkt...«

»Nicht unser Tätigkeitsfeld«, brummte er und schüttelte dabei den gewaltigen Kopf. Er hob die Hand, um weitere nutzlose Vorschläge meinerseits abzuschneiden. »Es wird etwas erheblich Bedeutsameres sein müssen«, meinte er bestimmt.

Erleuchtung! »Ach so«, sagte ich, »verstehe. Sie wollen einen offenkundigen Akt. Sie wollen, daß ich meinen Hals riskiere, um meine Loyalität zu beweisen. Ein richtiges Verbrechen begehen, stimmt's? So daß ich nicht mehr kehrtmachen kann? Was soll ich denn tun, jemanden ermorden?«

Ich sagte das so leichthin! Vielleicht lag es an dem graugetrübten Taubwerden von allem, was die Pillen mir geschenkt hatten, aber nachdem ich einmal verstanden hatte, was er wollte, kamen die Worte ohne jegliche Skrupel heraus. Haseldyne jedoch hatte keine Pillen genommen. Das riesige Gesicht versammelte sich zu einem granitenen Ausdruck heftiger Gemütsbewegung. »Für was zum Teufel halten Sie uns eigentlich?« frage er voller Abscheu vor mir. »Wir tun nichts dergleichen!« Ich wartete darauf, daß sein Unwille wieder nachließ. Es dauerte eine Weile, weil er Schwierigkeiten zu haben schien, seine Gedanken zusammenzunehmen.

»Es gibt eine Möglichkeit«, sagte er endlich. »Sie waren Angehöriger der limbischen Einheiten bei der Gobi-Aktion.«

»Feldgeistlicher, richtig«, pflichtete ich bei. »Man hat mich mit einer unehrenhaften Entlassung hinausgeworfen.«

»Das ließe sich leicht genug rückgängig machen«, sagte er ungeduldig. Sicher stimmte das - für jemanden mit dem Einfluß eines Agentur-Mitbesitzers. »Angenommen, wir würden Sie wieder hineinbekommen. Angenommen, wir setzten Sie an einen Platz, wo Sie Campbellsches Gerät unter Ihrem Kommando hätten - Sie wissen doch bestimmt, wie man dieses Zeug bedient, nehme ich an.«

»Nicht ein Stück, Des«, erklärte ich ihm vergnügt. »Das ist Sache der Techniker. So etwas lernt man nicht, dafür hat man seine Leute.«