Nichtsdestotrotz kam ich mit ein paar Prachtexemplaren daher. Ich rief Dixmeister herein, um sie sich anzusehen, alle von der Kunstabteilung wunderschön kalligraphiert und ornamentiert, mit Kennmeldoie und multisensuellem Hintergrund aus der Produktion. Verblüfft starrte er den Monitor an.
»"Hände weg von Hyperion"? Das ist wirklich hervorragend, Mr. Tarb«, sagte er reflexartig, und dann zögernd, »aber ist es nicht eigentlich irgendwie anders herum? Ich meine, wir wollen doch Hyperion nicht als Markt aufgeben, oder?«
»Nicht unsere Hände weg, Dixmeister«, sagte ich freundlich. »Die Hände der Veenies. Wir wollen, daß sie von den Veenies in Ruhe gelassen werden.«
Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Ein Meisterwerk, Mr. Tarb«, sagte er hingerissen. »Und dieser hier. "Freiheit der Information." Das bedeutet die Versuche, die Werbung zu zensieren, richtig? Und "Wir brauchen weniger Staat"?«
»Bedeutet, die Vorschrift abzuschaffen, Warntafeln vor Campbell-Zonen aufzustellen«, erklärte ich.
»Ein Geniestreich!« Und ich schickte ihn los, die Slogans bei der Kandidatenschar des heutigen Tages auszuprobieren, um festzustellen, welcher von ihnen sie aufsagen konnte, ohne sich zu verhaspeln oder verwirrt dreinzuschauen, während ich mich an die Arbeit machte, ein Spionagesystem einzurichten, um die Kandidaten der anderen Agenturen auszukundschaften. Es gab so viel zu tun! Ich arbeitete zwölf, vierzehn Stunden am Tag. Langsam, aber gleichmäßig verlor ich an Gewicht, und manchmal schlief ich auf den langen U-Bahn-Fahrten nach Bensonhurst fast ein und ließ meinen Haltegriff los. Es war mir gleichgültig. Ich war eine Verpflichtung eingegangen, und ich würde durchhalten, koste es was es wolle. Wenigstens wirkten die Pillen immer noch; schon lange hatte ich nicht einmal mehr das Verlangen nach einer Moke gehabt.
Ich hatte auch kein großes Verlangen nach nichts anderem mehr gehabt - nach fast nichts anderem - nach nichts als dem einen jedenfalls, und dieses eine war nicht von der Art der ausgehungerten körperlichen Begierden, die die grünen Pillen so gut anästhesierten. Es war eine Kopfsehnsucht. Es war ein Erinnerungsverlangen, eine Sehnen danach, wieder die süße Berührung von Körpern zu spüren, während wir schliefen, und das Geräusch des Atmens, das von einem warmen, weichen, in meine Arme gekuschelten Körper kam. Es war Mitzi, die ich wollte.
Ich bekam nicht viel von ihr. Einmal am Tag pflegte ich in ihrer Kommandozentrale Bericht zu erstatten. Manchmal war sie nicht da, und es war Des Haseldyne, der seinen riesigen Körper gereizt auf dem Stuhl verlagerte und während meines Lageberichts finster dreinblickte, der nie vollständig war oder schnell genug voranging, um ihn zufriedenzustellen, weil Mitzi fort zu irgendeinem anderen Treffen war. Manchmal fanden die Treffen weit weg statt. Ich wußte, daß eine Menge vor sich ging, in das ich nicht eingeweiht war, während sie versuchten, den rachitischen Plan auszubessern und abzustützen, dem ich mich verpflichtet hatte. Es war schon gut so, daß ich anästhesiert war. Die Pillen hielten zwar nicht vollständig die schweißnassen Alpträume über Einsatztruppen der Kommission für faire Handelspraktiken fern, die mein Büro und meine Schlafstelle in Bensonhurst stürmten, aber sie ließen mich sie überstehen.
Selbst wenn Mitzi da war, berührten wir einander nicht. Der einzige Unterschied dazwischen, Mitzi Bericht zu erstatten und Des Bericht zu erstatten, war, daß sie mich dann und wann »Liebster« nannte. Die Tage verstrichen...
Und dann, eines späten Abends, studierte ich gerade mit einem unserer Kanditaten die traditionellen Schachzüge für Diskussionen ein: die hochgezogene Augenbraue humorvoller Skepsis; die zusammengepreßte Kinnlade der Entschlossenheit; das indignierte Gewitterwolkenstirnrunzeln des Unglaubens - den plötzlichen Blick des Erstaunens und das langsame Wegrücken, als hätte der Gegenspieler gerade anstößig und unverzeihlich einen Wind abgehen lassen. Während ich die Marionette in den verschiedenen herabwürdigenden möglichen Fehlaussprachen des Namens seines Gegenspielers unterwies, kam Mitzi herein. »Laß dich durch mich nicht unterbrechen, Tenny«, rief sie beim Eintreten. Und dann, nachdem sie nähergekommen war, flüsterte sie mir leise ins Ohr, so daß die Marionette es nicht hören konnte: »Aber wenn du fertig bist... Jedenfalls, du arbeitest zu hart, um jede Nacht diese lange Fahrt nach Bensonhurst zu machen. Bei mir ist reichlich Platz.«
Es war, worum ich gebetet haben würde, wenn ich gebetet hätte.
Unglücklicherweise war es nicht sehr befriedigend. Die Pillen hatten nicht nur meine Umwelt eingegraut, sie hatten mich eingegraut. Ich hatte nicht die Leidenschaft, die Begeisterung, den überwältigenden Hunger; ich freute mich, daß wir taten, was wir taten, aber es schien nicht gar so viel zu bedeuten, und Mitzi war nervös und angespannt.
Ich schätze, alte verheiratete Paare machen Zeiten durch, in denen beide müde und gereizt sind - oder, wie ich, völlig ausgepowert -, und das, was sie tun, tun sie, weil sie im Augenblick nichts Besseres zu tun haben.
Tatsachlich schien es, als hätten wir etwas Besseres zu tun. Wir redeten. Wir redeten jede Menge, Kopfkissengeflüster, aber nicht die Art von Kopfkissengeflüster. Wir redeten, weil keiner von uns beiden besonders gut schlief und weil es nach ein bißchen selten sehr befriedigendem Sex besser war, zu reden, als vorzugeben zu schlafen, und auf die Person neben einem zu lauschen, die vorgab, dasselbe zu tun.
Natürlich gab es Dinge, die wir nicht ansprachen. Mitzi erwähnte nie die geheime Hauptmasse des Eisbergs, die mysteriösen Treffen, an denen ich nicht teilnehmen und über die ich nichts wissen durfte. Ich für meinen Teil erwähnte nie wieder meine Zweifel. Daß die Veenie-Verschwörer in einem windigen Plan nicht weiterwußten, war klar. Ich hatte das von dem Augenblick an gewußt, als Des Haseldyne Fragen über limbischen Zwang zu stellen begann. Ich sagte nichts dazu.
Allerdings dachte ich hin und wieder über Gehirnausbrennen nach. Wenn Mitzi aufschrie und im Schlaf zuckte, wußte ich, daß auch sie darüber nachdachte.
Worüber ich in der Hauptsache redete, waren Geheimnisse, die ich verraten konnte. Ich erzählte Mitzi alles, was mir einfiel, das den Veenies helfen konnte, jedes Agenturgeheimnis, das ich je gehört hatte, jede heimliche Botschaftsoperation, jede Einzelheit über den Schlag in der Wüste Gobi. Jedesmal rümpfte sie dann die Nase und sagte etwas wie: »Typische gnadenlose Werbefritzen-Tyrannei«, und dann mußte ich mir irgendwelche andere hochgeheime Information ausdenken, die ich verraten konnte. Sie kennen Scheherazade? Genau das war ich: ich erzählte eine Geschichte jede Nacht, um am nächsten Morgen am Leben zu bleiben, denn ich hatte nicht vergessen, wie entbehrlich ich war.
Natürlich handicapte mich das in auf intimere Weise wichtigen Gebieten.
Aber eigentlich war es nicht alles so. Ich erzählte ihr von meiner Kindheit und wie Mom mit ihren eigenen Händen meine Uniform anfertigte, als ich zu den Junior-Werbetextern kam, und von meiner Schulzeit und meinen ersten Lieben. Und sie erzählte mir - na ja, sie erzählte mir alles. Na ja, wenigstens alles über sich selbst, Nicht so viel darüber, was meine Mitverschwörer vorhatten, aber das erwartete ich auch nicht. »Mein Daddy-San kam mit dem ersten Schiff zur Venus«, pflegte sie zu sagen, und ich pflegte zu wissen, daß sie mir diese Dinge erzählte, um das Risiko zu vermeiden, mir irgend etwas Gefährliches zu erzählen.