Ich erwiderte: »Mitzi, du siehst auch gut aus«, und fügte um der Wahrheit willen hinzu: »Für mich.« Denn genaugenommen wäre Mitzis morgendlicher Spiegel nicht so freundlich gewesen wie meiner. In Wirklichkeit sah sie schrecklich abgespannt aus, aber die subjektive Wahrheit hinter diesen Tatsachen war, daß es mir egal war, wie sie aussah, so lange sie nur da war. Bei ihrem Teint waren die Ringe unter ihren Augen nicht deutlich. Aber sie waren vorhanden: sie hatte zu wenig geschlafen, vielleicht sogar ein paar Mahlzeiten ausgelassen... Und trotzdem sah sie für mich ganz wunderbar aus.
»War es schlimm, Tenny?«
»Leidlich schlimm.« Natürlich hatte es eine Menge Gekotze gegeben und eine Menge verzweifeltes Herumkrabbeln, um etwas zu finden, womit ich mir die Kehle durchschneiden konnte. Aber ich hatte keinen Erfolg gehabt, und außerdem hatte ich diese Anfälle nur zweimal mitgemacht. Ich überging es. »Mitzi«, sagte ich, »ich habe dir zwei wichtige Dinge zu sagen.«
»Natürlich, Tenny, aber im Augenblick liegt gerade so schrecklich viel Arbeit...«
Ich unterbrach sie. »Mitzi. Ich möchte, daß wir heiraten.«
Ihre Hände krampften sich zusammen. Ihr Körper erstarrte. Ihre Augen öffneten sich so weit, daß ich befürchtete, ihre Kontaktlinsen würden herausfliegen.
Ich sagte: »Ich hatte im Entgiftungszentrum reichlich Zeit, über alles nachzudenken. Es ist mir ernst damit.«
Von draußen kam Haseldynes gereiztes Foltern: »Mitzi! Wir müssen los!«
Schweigend, wie ein Automat, erwachte sie wieder zum Leben. Sie nahm ihre Handtasche und öffnete die Tür, starrte mich aber die ganze Zeit über an. »Nun komm schon«, bellte Haseldyne.
»Ich komm ja«, rief sie; und zu mir, während sie dem Aufzug zustrebte: »Lieber Tenny, ich kann jetzt nicht reden. Ich ruf dich an.«
Und dann, zwei Schritte entfernt, drehte sie sich um und kam zu mir zurück. Und dort, direkt vor Gottes und jedermanns Augen, küßte sie mich. Unmittelbar bevor sie in den Aufzug stieg, flüsterte sie: »Das würde mir gefallen.«
Aber sie rief nicht an. Sie rief mich an jenem Tag überhaupt nicht mehr an.
Da ich noch nie zuvor irgend jemandem einen Heiratsantrag gemacht hatte, verfügte ich über keine persönliche Erfahrung, die mir hätte verraten können, ob das eine annehmbare Reaktion war. Mir kam es nicht so vor. Ich fühlte mich so, wie Mitzi selbst sich gefühlt hatte - na ja, nicht Mitzi selbst; nicht diese Mitzi, sondern die andere, die rücksichtslose damals auf der Venus - so, wie jene Mitzi mir erklärt hatte, daß sie sich fühlte, als wir es zum erstenmal miteinander trieben und ich vor ihr fertig wurde, und sie mich wissen ließ, daß ich beim nächstenmal viel besser würde sein müssen, oder... jedenfalls war es nicht angenehm. Ich fühlte mich hängengelassen.
Und ich hatte ihr die andere wichtige Sache noch nicht gesagt.
Zum Glück gab es genug, was mich beschäftigt hielt. Dixmeister hatte die Dinge in Gang gehalten, so gut man es erwarten konnte, aber Dixmeister war nicht ich. An jenem Abend hielt ich ihn lange da, korrigierte seine Fehler und befahl Änderungen. Als ich ihn nach Hause gehen ließ, wirkte er arg ramponiert und mürrisch. Was mich anbetraf, so warf ich eine Münze, wo ich die Zeit verbringen würde, und verlor. Ich verkroch mich in einem Schließfachhotel ein paar Straßen vom Büro entfernt und begab mich am nächsten Morgen früh zur Arbeit. Als ich zu Mitzis Büro ging, sagte ihre Sek³, daß ihr Sek² ihr gesagt hätte, Mitzi Ku würde den ganzen Vormittag unterwegs sein, zusammen mit ihrem Sek¹. Ich brachte meine Mittagspause - die ganzen fünfundzwanzig Minuten meiner Mittagspause, weil ein Tag nicht ausreicht hatte, um den Dingen eine Kehrtwendung zu geben und sie wieder richtig in Bewegung zu setzen - damit zu, in Mitzis Vorzimmer zu sitzen und das Telefon ihres Sek¹ zu benutzen, um Dixmeister auf Trab zu halten. Mitzi erschien nicht. Die Den-ganzen-Vormittag-Termine hatten sich hinausgezogen.
An jenem Abend ging ich zu Mitzis Condo.
Das Türding ließ mich ein, aber Mitzi war nicht da. Sie war nicht da, als ich um zehn ankam, und auch nicht um Mitternacht und auch nicht, als ich um sechs aufwachte und eine Zeitlang wartete und mich anzog und zurück ins Büro ging. O ja, Mr. Tarb, berichtete mir ihre Sek³, Miß Ku hatte während der Nacht angerufen, um mitzuteilen, daß sie auf unbegrenzte Zeit aus der Stadt gerufen worden sei. Sie würde sich selbst mit mir in Verbindung setzen. Bald.
Aber sie tat es nicht.
Ein Teil meines Kopfes legte diese Tatsache ohne Kommentar zu den Akten und machte mit dem weiter, was er eben tat. Und das war, die mir erteilten Anordnungen auszuführen. Was Mitzi wollte, daß ich tat, war, Kandidaten auszuwählen. Es war schon September, und bis zur "Wahl" waren es nur noch wenige Wochen. Es gab viel, um mich beschäftigt zu halten, und jener Teil meines Kopfes nutzte jede Minute aus, die er hatte. Er nutzte auch jede Minute aus, die Dixmeister und jeder andere in der Abteilung Immaterielle Aktiva (Politik) hatte. Wenn ich durch die Korridore schlich, wandten Leute aus anderen Abteilungen die Augen ab und gingen mir aus dem Weg - aus Angst, ich könnte sie zu Zwölf-Stunden-Tagen heranziehen, nehme ich an.
Der andere Teil meines Kopfes, der neue, den ich anscheinend im Entgifrungszentrum entdeckt hatte - der befand sich nicht so wohl. Er schmerzte - nicht nur wegen Mitzi, sondern auch wegen dem Stachel jener anderen Sache, die er mit sich herumtrug und die ich ihr nicht erzählt hatte. Dann stürzte der hausinterne Briefbote in mein Büro, gerade lange genug, um einen selbstentflammenden Umschlag auf meinen Schreibtisch fallen zu lassen und wieder davonzuhuschen.
Die Nachricht war von Mitzi. Sie lautete:
Tenny - Liebling, mir gefällt Deine Idee. Wenn wir das hier lebend überstehen, hoffe ich, daß Du es immer noch willst. Ich jedenfalls werde es, sehr sogar. Aber jetzt ist nicht die Zeit, um über Liebe zu sprechen. Ich stehe unter revolutionärer Disziplin, Tenny, und Du auch. Bitte, bedenke das stets...
Mit all der Liebe, von der ich jetzt nur zu Dir sprechen kann –
Mitzi
Wieder flammte er auf und versengte mir die Finger, bevor ich ihn fallen ließ. Aber das war mir egal. Es war eine Antwort - und die richtige Antwort obendrein.
Blieb noch das Problem der anderen Sache, die ich sagen mußte.
Also fuhr ich fort, die Sek³ zu piesacken, und als sie mir schließlich mitteilte, ja, Miß Ku sei an diesem Morgen wieder in der Stadt, führe aber gleich zu einem dringenden Treffen anderswo weiter, konnte ich nicht mehr warten.
Außerdem glaubte ich zu wissen, wo ich sie finden konnte.
»Tarb«, rief Semmelweiss - »ich meine, Mr. Tarb, schön, Sie zu sehen! Sie schauen wirklich gut aus!«
»Danke«, sagte ich, während ich meine Blicke durch die Ösenfabrik schweifen ließ. Die Stanzen pufften und ratterten und warfen hämmernd ihre, Millionen von kleinen runden Dingern aus. Der Lärm war der gleiche, der Dreck war der gleiche, aber etwas fehlte. »Wo ist Rockwell?« fragte ich.
»Wer? Ach, Rockwell«, sagte er. »Ja, der hat mal hier gearbeitet. Er wurde in irgendeinen Unfall verwickelt. Wir mußten ihn gehen lassen.« Sein Grinsen wurde nervös, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Na ja, er war schließlich nicht mehr in der Lage zu arbeiten, oder? Beide Beine gebrochen, und dann wie sein Gesicht aussah... Wie dem auch sei, ich nehme an. Sie wollen raufgehen? Immer nur zu, Mr. Tarb! Ich nehme an, sie sind da oben. Das weiß man nie, bei diesen ganzen Eingängen und Ausgängen - trotzdem, ich sage immer, wenn sie ihre Miete pünktlich bezahlen, wer braucht da Fragen zu stellen?«
Ich ließ ihn stehen. Es gab nichts über Nelson Rockwell zu sagen, und nichts, das ich hätte sagen mögen, um seine Neugier hinsichtlich seiner Mieter zu befriedigen. Armer Rockweil! Also war das Inkassobüro am Ende nicht mehr bereit gewesen, noch länger zu warten. Ich schwor, daß ich etwas für Nelson Rockwell würde tun müssen, als ich die Tür aufstieß...