»Das ist möglich. Indessen«, erläuterte ich, »habe ich diesen Ort ausgesucht, weil er unmittelbar neben dem Fernmelderaum liegt. Der gesamte Nachrichtenverkehr der Agentur geht hier durch, also ist das Gebäude abgeschnitten, und die Wackerhuts haben Anweisung, Mitarbeiter nur hereinzulassen, nicht hinaus.«
»Nein, Tenny«, schluchzte sie, »ich meine nicht jetzt sofort, ich meine später. Weißt du, was sie mit dir machen werden?«
Das Fleisch in meinem Nacken kribbelte, weil ich das sehr genau wußte. »Gehirnausbrennen vielleicht. Oder mich einfach umbringen«, gab ich zu. »Aber das nur, wenn ich scheitere, Mitz. Es werden zweiundzwanzig verschiedene Werbespots ausgestrahlt. Möchtest du dir ein paar ansehen?« Ich wandte mich zum Monitor, aber sie hielt mich auf.
»Ich habe sie gesehen! Dieser fette Krüppel, den du da draußen hast, die darüber jammert, wie man sie dazu verleitet hat, Junk-Food zu essen - der Ureinwohner, der sagt, daß die Lebensweise seines Volkes zerstört worden sei...«
»Marie, ja. Und der Sudanese.« Ihn zu finden, war ein bißchen Glück gewesen - Gert Martels hatte das getan, nachdem ich sie aus dem Militärgefängnis freibekommen und ihr erklärt hatte, was ich suchte. »Das sind nur zwei von ihnen, meine Liebe. Es gibt noch einen wirklich guten mit Jimmy Paleologue darüber, wie Campbellsche Techniken wirken - auf Leute wie mich ebenso wie die Eingeborenen. Nels Rockwell ist auch gut...«
»Ich habe sie gesehen, ich sage es dir doch. O Tenny, ich dachte, du wärest auf unserer Seite.«
»Weder für noch gegen euch, Mitz.«
Sie höhnte: »Eine treffende Beschreibung für Untätigkeit.« Aber darauf mußte ich nichts entgegnen; es war nicht Untätigkeit, dessen ich schuldig war, und sie wußte es, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. »Du wirst scheitern, Tenny. Du kannst das Böse nicht mit sentimentaler Frömmigkeit besiegen!«
»Vielleicht nicht. Vielleicht kann man das Böse überhaupt nicht besiegen. Vielleicht sind die gesellschaftlichen Übel schon zu weit fortgeschritten, und das Böse wird siegen. Aber man muß nicht sein Komplize sein, Mitzi. Und man muß nicht aufgeben, wie euer Held Mitch Courtenay.«
»Tenny!« Jetzt war sie nicht wütend, nur erschüttert wegen der Blasphemie.
»Aber das war es, was er getan hat, Mitzi. Er hat das Problem nicht gelöst. Er ist vor ihm weggelaufen.«
»Wir laufen nicht weg!«
Ich nickte. »Richtig, ihr kämpft. Und benutzt die gleichen Waffen. Und erzielt die gleichen Endresultate! Die Werbefritzen haben den Planeten in zehn Milliarden hirnloser Münder verwandelt - was ihr vorhabt, ist, die Münder hungern zu lassen, nur damit ihr eure Ruhe habt! Also bin ich nicht auf der Werbefritzen-Seite, und ich bleib nicht auf der Veenie-Seite. Ich spiele nicht mehr mit! Ich probiere etwas völlig anderes aus.«
»Die Wahrheit.«
»Die Wahrheit, Mitzi«, erklärte ich, »ist die einzige Waffe, die nicht beide Seiten verwundet.«
Und dann verstummte ich. Ich steigerte mich da in eine grandiose Ansprache hinein, und der Himmel allein wußte, welche Höhen der Redekunst ich für mein Ein-Frau-Publikum noch erreicht hätte. Aber die besten Teile davon hatte ich bereits gesagt, und ich hatte sie auf Band. Ungeschickt tastete ich auf meine Eingabetastatur herum, um meinen eigenen Werbespot abzurufen, und hielt mit dem Finger auf dem Ausführungsknopf inne. »Schau, Mitz«, sagte ich, »es gibt insgesamt zweiundzwanzig Werbesports, jeweils drei für die sieben Leute, die ich verwende...«
»Welche sieben?« fragte sie argwöhnisch. »Ich habe da draußen nur vier gesehen.«
»Zwei von ihnen waren Kinder, und ich habe den Sudanesen mit ihnen fortgeschickt, um sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Gib acht, Mitz! Diese ersten einundzwanzig sind nur dazu da, das Publikum auf den zweiundzwanzigsten vorzubereiten. Das ist meiner. Wenigstens bin ich es, der ihn vorträgt - aber eigentlich ist er für dich.«
Ich hieb auf den Knopf. Per Schirm erwachte abrupt zum Leben. Da war ich, ernst und von Sorgen zermürbt, mit einem im Hintergrund eingeblendeten Archivfoto von Port Kathy. »Mein Name«, verkündete uns die aufgezeichnete Stimme, und der professionelle Teil meines Gehirns dachte, nicht schlecht, nicht zu schwülstig, wenn auch vielleicht bei bißchen zu schnell, »mein Name ist Tennison Tarb. Ich bin Werbetexter der Starklasse, und was Sie hinter mir sehen, ist eine der Städte auf der Venus. Sehen Sie die Menschen? Sie sehen genauso aus wie wir, nicht wahr? Aber in einer Hinsicht sind sie anders als wir. Sie mögen es nicht, wenn ihr Denken von der Werbung beeinflußt wird. Unglücklicherweise hat das die Dinge aber nur verschlimmert, weil ihr Denken nun auf gegenteilige Art negativ beeinflußt ist. Sie haben begonnen, uns zu hassen. Sie nennen uns "Werbefritzen". Sie glauben, daß wir vorhaben, sie zu erobern und ihnen unsere Reklame in den Hals zu stopfen. Das hat sie so schlecht wie jeden Agenturmann werden lassen, und das Schreckliche dabei ist, daß ihre Befürchtungen gerechtfertigt sind. Wir schleusen Spione in ihre Regierung ein. Wir entsenden Terrortrupps, um ihre Wirtschaft lahmzulegen. Und gerade in diesem Augenblick planen wir, sie mit Campbellschen limbischen Waffen anzugreifen, genauso, wie ich es uns kürzlich in der Wüste Gobi habe tun sehen...«
»O Tenny«, flüsterte Mitzi. »Sie werden dir das Gehirn ausbrennen.«
Ich nickte, »Ja, das werden sie wohl, wenn wir scheitern.«
»Aber ihr müßt einfach scheitern!«
Alte Gewohnheiten sterben langsam; so sehr ich mir auch wünschte, mit Mitzi ins Reine zu kommen, konnte ich mir doch nicht verkneifen, einen bedauernden Blick auf den Schirm zu werfen - gerade kam ich zu den besten Passagen. Aber ich sagte: »Das werden wir sehr bald herausfinden, Mitz. Mal schauen, was sie sagen.« Und indem ich auf dem Schirm den Rest meines Spots unbeachtet durchlaufen ließ, holte ich die Schlagzeilen auf meinen Tischschirm. Das erste halbe Dutzend waren nichts als gräßliche Drohungen und unheilvolle Omen, genau wie vorher - aber dann kam eine, die mir das Herz im Leibe hüpfen ließ:
Stadt gelähmt, Massen sammeln sich
Und unmittelbar darunter:
Brinks-Chef: Demonstration »außer Kontrolle«
Ich hielt mich nicht mit dem Text auf. Ich riß die Tür zum äußeren Büro auf, wo meine getreuen Vier um ihre Schreibtische versammelt waren. »Was bedeutet das?« rief ich. »Kriegen wir ein Bild? Überprüft die neuen Kanäle, ja?«
»Ein Bild! Was glaubst du, was wir uns gerade ansehen?« rief Gert Martels grinsend. Als die neuen Wandschirme flackernd zum Leben erwachten, sah ich, weswegen sie grinste. Die örtlichen Stationen hatten sich mit Außenreportagen überschlagen, um Aufnahmen von der Reaktion zu bekommen - und die Reaktion war gewaltig.
»Mein Gott, Tenny«, schrie Rockwell, »der Verkehr steht still!« Und so war es in etwa. Die Kameras der Nachrichtenstationen schweiften von Kreuzung zu Kreuzung - Times Square, Wall Street, Central Park Mall, Riverspace -, und bei jeder sah es gleich aus. Es war die morgendliche Hauptlaufzeit, aber der Verkehr war beinahe zum Erliegen gekommen, während die wimmelnden Millionen der Stadt an tragbaren Radios lauschten oder die Großbildschirme an den Häuserwänden betrachteten, und jeder einzelne von ihnen verfolgte einen unserer Werbespots.
Ich konnte vor Aufregung kaum atmen. »Die Sendernetze!« rief ich. »Was geht im Rest des Landes vor?«
»Das gleiche, Tenny«, sagte Gert Martels und fügte hinzu: »Siehst du, was da passiert, in der Ecke?«
Wir blickten gerade auf den Union Square, und ja, in der hinteren rechten Ecke gab es eine Gruppe von Leuten, die nicht bloß mit herunterhängenden Unterkiefern stillstanden. Sie waren sogar sehr beschäftigt. Sie waren dabei, methodisch und brutal einen Großbildschirm herunterzuzerren.
»Sie reißen unsere Werbungen runter«, keuchte ich.