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Lawine reißt Bäume und Felsen mit und . . .«

Sie konnte nicht weitersprechen, denn in ihren Satz hin-

ein begann Hanna neuerlich laut zu schluchzen.

»Was hast du denn?« Tante Beate sah sie erschrocken an.

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»Angst!« rief Hanna und weinte bitterlich. »Was ist,

wenn eine neue Lawine den Berg herunterkommt und ge-

rade hierher zu uns?«

»Es wird keine neue Lawine mehr kommen«, sagte Tante

Beate. (Aber sie sah dabei ein bißchen bedrückt zu dem

Berghang empor.)

»Und wenn sie doch kommt?«

»Sie wird nicht kommen!«

»Ja, das hast du schon einmal gesagt, Tante!« rief ein

Junge. »Wenn sie aber trotzdem kommt?«

Die Kinder wurden wieder unruhig. Jetzt hatten die mei-

sten von ihnen Angst.

»Rede keinen Unsinn!« sagte Thomas laut zu dem Jun-

gen, der zuletzt gesprochen hatte. »Wir werden ja nicht

hierbleiben, sondern weiterfahren!«

In diesem Augenblick sagte eine Stimme hinter ihm:

»Nein, das werden wir leider nicht.«

Alle drehten sich um. Herr Wiedmann war zurückgekom-

men. Er atmete schwer, er schien gelaufen zu sein.

»Warum nicht?« fragte Tante Beate.

»Weil die Straße versperrt ist«, sagte Herr Wiedmann.

»Die Lawine hat sie verschüttet, der Schnee liegt meter-

hoch. Es hat gar keinen Sinn, es erst zu versuchen, wir

kommen nie durch.«

»Dann müssen wir zurückfahren!« sagte Tante Beate.

Herr Wiedmann nickte.

»Jawohl«, sagte er, »das müssen wir. Und zwar schnell,

verehrte Herrschaften!«

Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. Sie rann-

ten zum Eingang des Autobusses und kletterten hinein.

Das Schaf Josef hatte sich hinten bei den Rucksäcken und

Koffern verkrochen und blinzelte ihnen nervös entgegen.

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Es war auch sehr mitgenommen. Außerdem hatte es

Durst. Das kam von dem vielen Salz. Thomas erwischte

noch eine Handvoll Schnee, bevor er einstieg, und brachte

sie Josef, der den Schnee gierig verschlang.

»Sind alle da?« rief Tante Beate und sah sich um.

Der dicke Martin machte eben den Mund auf, um »Ja!«

zu rufen, da bemerkte er, daß der Platz neben ihm leer

war.

»Nein!« rief er laut. »Karli fehlt!«

Tante Beate zuckte zusammen.

»Wo ist er?«

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»Ich weiß nicht!« sagte der dicke Martin und sah sich su-

chend um.

»Karli!« rief Tante Beate. »Karli, wo bist du?«

Und auch ein paar Kinder riefen Karlis Namen.

Er antwortete nicht.

Tante Beate sprang in den Schnee hinaus und lief um den

Autobus herum, um Karli zu suchen. Wo konnte er nur

sein? Was war mit ihm geschehen? Er war doch eben

noch da gewesen . . .

Als sie um den Wagen herumkam, sah sie ihn. Er lag am

anderen Ende des Autobusses im Schnee, mit dem Ge-

sicht nach unten.

»Karli!« schrie Tante Beate.

Er rührte sich nicht.

Sie rannte zu ihm, zu Tode erschrocken, und schüttelte

ihn. Die Kinder im Autobus drängten an die Fenster, ein

paar wollten wieder aussteigen.

»Sitzen bleiben!« rief Herr Wiedmann. Er rief es so dro-

hend, daß die Kinder sich tatsächlich wieder setzten.

Tante Beate schüttelte Karli. Er stöhnte ein bißchen, dann

schlug er die Augen auf und sah sie verständnislos an.

»Karli!« rief Tante Beate. »Was hast du denn? Was ist

mit dir?«

Karli machte den Mund auf, um zu sprechen. Dabei holte

er Atem. Es klang, als ob eine Lokomotive heulte, richtig

unheimlich.

»Fehlt dir etwas?«

»Durst«, sagte Karli heiser. »Ich habe Durst.«

Tante Beate richtete sich auf.

»Herr Wiedmann!« rief sie. »Ach bitte, kommen Sie doch

einmal her!« Der Chauffeur nahm eine Thermosflasche

aus einem Fach unter der Windschutzscheibe und sprang

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ins Freie. Er rannte zu Karli und Tante Beate. Im Laufen

schraubte er schon die Flasche auf, und als er ankam,

setzte er sie dem Jungen an die Lippen. Karli trank hastig

den süßen Tee, der sich in ihr befand. Tante Beate stützte

dabei seinen Kopf.

»Du bist ja ganz heiß«, sagte sie erschrocken und fuhr

ihm mit der Hand über die Stirn. »Ich glaube, der Junge

hat Fieber«, meinte sie zu Herrn Wiedmann.

»Wie ist denn das passiert?« fragte dieser.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Karli und räusperte sich. Er

räusperte sich ununterbrochen. Und jedesmal, wenn er

sich räusperte, tat ihm der Hals so weh, als hätte man ein

Messer in ihn gesteckt und drehte es dauernd hin und

her. »Ich habe die Lawine kommen sehen, und ich bin

furchtbar erschrocken. Das ist alles. Ich glaube, ich bin

dann umgefallen.«

»Hast du Schmerzen?« fragte Tante Beate besorgt.

»Halsweh«, sagte Karli weinerlich.

»Mach einmal den Mund auf«, sagte Herr Wiedmann.

Karli folgte gehorsam. Es war ihm alles gleichgültig. Er

fühlte sich müde und benommen. Richtig schwindlig. Auf

einmal sehnte er sich gar nicht mehr danach, mit den an-

deren nach Schruns zu fahren. Auf einmal hatte er Sehn-

sucht nach zu Hause, nach seiner Mutter, nach seinem

warmen, weichen Bett. Er wäre gerne in seinem Bett gele-

gen. Er machte den Mund auf. Tante Beate und Herr

Wiedmann sahen ihm in den Hals. Der Hals war weiß

belegt, ebenso die Zunge. Die beiden Erwachsenen blick-

ten einander stumm an. Sie machten sehr ernste Gesich-

ter.

»Tut's dir beim Schlucken weh?« fragte der Chauffeur.

»Ja«, sagte Karli mühsam.

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»Sehr?«

»Mhm!« Karli war dem Weinen nahe. Herr Wiedmann

sah Tante Beate an.

»Der Junge muß schnellstens zum Arzt!« sagte er.

»Sie glauben auch . . .?« fragte sie betreten.

Er nickte.

»Diphtherie«, sagte er dann.

Die Kinder im Autobus drängten nach vorne, als Herr

Wiedmann und Tante Beate mit Karli zurückkamen. Sie

stützten ihn von beiden Seiten, und der Chauffeur hob

ihn zuletzt in den Wagen hinein, so schwach war Karli

plötzlich. Sie setzten ihn hinter dem Chauffeur auf eine

freie Bank, und Tante Beate setzte sich neben ihn.

Die Kinder redeten durcheinander:

»Was hat der Karli, Tante?«

»Ist er krank?«

»Muß er ins Krankenhaus?«

Tante Beate rief: »Bleibt alle, wo ihr seid! Ja, der arme

Karli ist krank. Wir fahren jetzt zurück zur nächsten

Stadt und bringen ihn zum Onkel Doktor!«

Herr Wiedmann hatte unterdessen den Motor in Gang

gesetzt, er fuhr in den verschneiten Acker hinein, um den

Autobus zu wenden. Danach schaltete er um, und sie roll-

ten schnell.den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Tante Beate stützte Karlis Kopf in ihrem Schoß.

Herr Wiedmann hielt das Steuer umklammert und sah

geradeaus.

»Wir hätten den Jungen nie mitnehmen dürfen«, sagte er.

Tante Beate nickte schuldbewußt.

»Ich dachte, er hätte wirklich nur Halsweh«, sagte sie leise.

»Diphtherie ist eine scheußliche Sache«, sagte Herr Wied-

mann. »Da geht es um Stunden!«

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»Hoffentlich ist nicht auch die andere Lawine. . .«, be-

gann Tante Beate und brach dann ab. Sie wollte sagen:

». . . ist nicht auch die andere Lawine auf die Straße

niedergegangen!« Aber sie sagte es nicht, denn sie wollte

die Kinder, die hinter ihr saßen und zuhörten, nicht er-

schrecken.

Herr Wiedmann verstand sie trotzdem.

»Nur ruhig«, sagte er, »wir werden schon durchkom-

men!«

Sie fuhren jetzt durch ein tiefes Tal. Zu beiden Seiten der