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  Barnaby wiederholte seine Frage. »Wie ist es Ihnen gelungen, den Jungen aus seinem Zimmer zu locken}«

  »Er imitierte Arnos Stimme.«

  Felicity trug ihr Caroline-Charles-Kostüm und geborgte Pelzhandschuhe. Sie war leichenblaß, ihre Stimme hingegen deutlich und klar. Die Anspannung im Zimmer baute sich wieder auf.

  »Kommen Sie und setzen Sie sich, Mrs. Gamelin.« Wiederbelebt zog Barnaby einen Stuhl unter dem Tisch hervor. Zögerlich und ängstlich dreinblickend, trat sie näher. Nachdem sie Platz genommen hatte, setzte sich Barnaby mit einer Pobacke auf den Tischrand und versperrte ihr mit seinem breiten Rücken den Blick auf Andrew Carter.

  »Schildern Sie mir, was sich zugetragen hat.«

  »Ich wachte auf und mußte dringend zur Toilette. Ich zog einen Bademantel an und war gerade dabei, die Tür zu öffnen, als ich... ihn... sah.«

  »Andrew Carter?«

  »Christopher.«

  »Und wo?«

  »Er kniete vor dem Schlüsselloch von Tims Zimmertür. Seine Lippen waren ganz dicht am Schlüsselloch. Er sagte: >Hier ist Arno. Ich bringe dir dein Abendessen<. Seine Stimme klang ganz anders. Das war richtig unheimlich. Er hatte kein Tablett und auch sonst nichts dabei, nur dieses gräßliche Radkreuz, das er an die Wand gelehnt hatte. Als Tim die Tür öffnete, packte ihn Christopher und zerrte ihn auf den Flur hinaus und... und fing an, auf ihn einzudreschen. Ich hätte Hilfe holen sollen... ich weiß. Aber ich hatte Angst. So kehrte ich in mein Zimmer zurück. Ich habe nicht mal die Polizei angerufen. Es tut mir ja so leid... so leid...«

  »Wir sind zu jenem Zeitpunkt ohnehin schon unterwegs gewesen, Mrs. Gamelin.«

  »Ach - ist das wahr?«

  »Ja, das ist wahr.«

  »Dann fühle ich mich nicht mehr so... Ich hörte, wie Glas zersprang. Ist er in Ordnung? Geht es Tim gut?«

  Alle schwiegen betreten. Heather ging zu Felicity hinüber und sagte: »Soll ich Ihnen eine Tasse Malzkaffee bringen? Mit viel Honig?«

  Troy fragte sich, ob das dieses schreckliche Gebräu war, das ihm in der Mordnacht angeboten worden war. Falls ja, dann gab es Felicity eher den Rest, als daß es sie wiederbelebte. Und das kam ganz und gar nicht in Frage, weil sie bei der Gerichtsverhandlung auf ihre Aussage angewiesen waren. Was Glück! Daß sie die Wahrheit sprach, hatte ihm Carters verraten, auch wenn der Kerl versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen. Jetzt mußten sie nur vorsichtig weitermachen, ihn verhaften, und dann war die Sache endlich abgeschlossen. Der Chief war aufgestanden und gerade im Begriff, etwas zu sagen. May kam ihm zuvor.

  »Was Sie vorhin über den Tod des Meisters gesagt haben, gibt mir zu denken. Ich frage mich, ob ich mich bei meiner ersten Aussage nicht deutlich genug ausgedrückt habe.«

  »In welcher Hinsicht, Miss Cuttle?«

  »Nun, ich habe natürlich alles gesehen, wissen Sie?« Barnaby hatte das Gefühl, die Erde öffne sich unter seinen Füßen und verschlinge ihn. Das kann doch wohl nicht wahr sein, redete er sich ein, das muß doch irgendwann ein Ende haben.

  »Steht alles in meiner Aussage.« Das war die einzige Aussage, der er keine große Bedeutung beigemessen hatte. Er hatte May unterstellt, nur übernatürlichen Schwachsinn von sich zu geben. »Ein silberner Pfeil? Der über mich hinwegflog?«

  O Gott! Ach du heilige Scheiße! Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Weinen natürlich. Was sonst? Wo seine Ignoranz ein weiteres Leben gekostet hatte. Auf einmal schämte sich der Chief Inspector. Er mußte an Joyces hartnäckige Anschuldigung denken, daß er nie zuhörte, und daran, wie er versucht hatte, Troy davon abzuhalten, der Betrügertheorie nachzugehen. Anscheinend hielt er sich selbst für unfehlbar. Zum Glück hatte der Sergeant nicht auf ihn gehört und war der Sache nachgegangen. Hätte er nicht eigenmächtig gehandelt...

  Meine Arterien verkalken, dachte Barnaby. Und das gefällt mir nicht. Erst jetzt merkte er, daß May mit ihm sprach.

  »Zu jenem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck«, sagte May, »daß Sie einfach nicht in der Lage waren, noch mehr esoterisches Wissen zu verkraften. Mag durchaus sein, daß ich mich geirrt habe.«

  Ja, das hast du, du dumme alte Ziege, schoß es Troy durch den Kopf, als er sah, daß der Chief am Boden zerstört war. Was nichts daran änderte, daß der Sergeant nur zum Teil Verständnis für seinen Boß aufbrachte. Da Barnaby ihm immer wieder unter die Nase gerieben hatte, er solle Aufgeschlossenheit beweisen, empfand er so etwas wie Schadenfreude. Darüber hinaus schmälerte diese Entdeckung teilweise Troys Schuld. Würde Barnaby irgendwann die fünfzehnminütige Diskrepanz auffallen, die zwischen dem aus Blackpool eingegangenen Anruf und dem Anruf des Sergeants lag, hätte er sich nur mit einem »Woher hätte ich das denn wissen sollen?« herausreden können. Gewiß kein stichhaltiges Argument. Nun hatte auch der Boß einen Dämpfer verpaßt bekommen. Hätte er May Cuttles Aussage größere Aufmerksamkeit geschenkt, wäre der Junge verschont geblieben, und sie hätten sich eine Menge Zeit und Geld gespart.

  Der Fall war erledigt. Troy knöpfte sein Jackett zu und trat einen Schritt nach vorn, rechnete insgeheim aber mit Schwierigkeiten. Die gab es nicht. Fünf Minuten später saßen die drei Männer im Wagen und fuhren zum Revier.

  Troy saß am Steuer. Barnaby saß hinten neben einem verdrießlich dreinblickenden Andrew Carter. Vehement hatte er Felicitys Geschichte abgestritten, ihr Halluzinationen unterstellt. Konnte doch ein Blinder sehen, daß jahrelanger Alkohol- und Drogenkonsum ihr Gehirn zerfressen hatte.

  »Nun, wir werden das Radkreuz auf Fingerabdrücke untersuchen.«

  »Ja, tun Sie das nur. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich es in der Hand gehalten habe, als wir auf dem Dach gewesen sind. Und ein paar Tage davor habe ich es in mein Zimmer gebracht.«

  »Sollte das alles sein, was Sie sich zuschulden kommen ließen, werden sie es auch rausfinden.«

  Beim Sprechen studierte Barnaby Andrews Gesicht. Der junge Mann grinste selbstgefällig in sich hinein. Lehnte sich lässig nach hinten, legte ein Bein über das andere. Als er an seinem Turnschuh rumzupfte, rutschte sein Jackenärmel nach oben. Etwas an seinem Handgelenk funkelte.

  »Woher haben Sie das?«

  »Ein Geschenk. Von der jungen Dame, die beinahe meine Verlobte geworden wäre.«

  »Dann hat sie ja gerade noch mal Glück gehabt.«

  »Ich auch. Die ist tierisch neurotisch. Quatscht dauernd über ihr Seelenleben. Kann ich rauchen?«

  »Jetzt nicht. Sagen Sie mir - um meine Neugierde zu befriedigen - wußten Sie schon vor Ihrem Eintreffen auf Windhorse, daß sie dort lebte?«

  Carter antwortete nicht gleich, sondern überlegte erst, welche Konsequenzen eine wahrheitsgetreue Aussage haben könnte. Dann meinte er: »Ja. Mein Onkel hat es mir geschrieben. Er hat sie erkannt.«

  »Zweifellos mit Hilfe eines Eintrags in einer buddhistischen Schrift.«

  »Es ist kein Verbrechen, sich eine reiche Frau zu suchen. Wäre dem so, würde die Hälfte der männlichen Bevölkerung morgen in den Knast wandern.«

  »Waren Sie jemals im Gefängnis?«

  »Natürlich nicht.«

  »Sie haben mal was in dieser Richtung fallenlassen.«

  »Das muß ein Versprecher gewesen sein.«

In den Wochen vor der Gerichtsverhandlung kamen weitere Informationen über die beiden Carters ans Licht. Angesichts der Fakten waren Andrew Carters Proteste unhaltbar. Er beschloß, sich im Fall von Arthur Craigie schuldig zu bekennen, nachdem er seine Uhr verkauft und mit dem Geld einen Anwalt genommen hatte.

  Nach und nach rückte er mit der Wahrheit heraus. Er gab zu, daß sein Onkel (nachdem er im Fernsehen einen Dokumentarbericht über einen amerikanischen Guru gesehen hatte, der mit einer Karawane von Rolls-Royces geflohen war, die er mit dem Geld seiner Anhänger gekauft hatte) seinen alten Partner im Albany-Gefängnis aufgesucht und ihm folgende Idee verkauft hatte: Sie sollten sich zusammentun und auch so eine Nummer durchziehen. Genau das hatten sie dann auch getan. Während der Verhandlung wurde ausführlich auf den von Carter eingebrachten finanziellen Beitrag eingegangen und auf die Frage, was damit nach dessen Tod geschehen sollte. Andrew Carters Mittellosigkeit wurde ebenfalls thematisiert, denn das Geld, das aus dem Verkauf des Hauses stammte, hätte eigentlich ihm als nächstem Angehörigen als Erbe zugestanden.