»Der Knopf ist sehr hübsch«, stellte er fest.
»Das bedeutet, daß Sie Junggeselle bleiben, Monsieur Poirot«, erklärte ihm Colin hilfsbereit.
»Ich habe auch nichts anderes vor«, antwortete Poirot ernst. »Seit vielen langen Jahren bin ich Junggeselle, und es ist unwahrscheinlich, daß sich dieser Zustand ändern wird.«
»Nur nicht verzweifeln«, erklärte Michael. »Ich habe in der Zeitung gelesen, daß neulich ein Fünfundneunzigjähriger ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen geheiratet hat.«
»Du machst mir Mut.«
Plötzlich schrie Oberst Lacey auf. Sein Gesicht lief dunkelrot an. Er griff sich an den Mund.
»Verdammt noch mal, Emmeline!« brüllte er. »Warum zum Donnerwetter erlaubst du der Köchin, Glas in meine Portion zu tun?«
»Glas?« rief Mrs. Lacey erstaunt aus. Oberst Lacey holte den Gegenstand seines Ärgers aus dem Mund.
»Hätte mir einen Zahn ausbrechen können«, schnauzte er. »Oder hätte das verdammte Ding verschlucken und eine Blinddarmentzündung bekommen können.« Er ließ das Glasstück in sein Wasserschälchen fallen, spülte es ab und hielt es hoch. »Es ist ein roter Stein aus einem Knallbonbon.«
»Erlauben Sie?«
Monsieur Poirot beugte sich sehr geschickt an seinem Nachbarn vorbei, nahm Oberst Lacey den Stein aus der Hand und untersuchte ihn aufmerksam. Es stimmte, was der Hausherr gesagt hatte. Der Stein war ziemlich groß und rot. Er hatte die Farbe eines Rubins. Während Poirot ihn herumdrehte, reflektierte der Stein funkelnd das Licht. Ein Stuhl wurde irgendwo am Tisch hart zurückgestoßen und dann wieder herangezogen.
»Puh!« rief Michael aus. »Wär das prima, wenn der Stein echt wäre.«
»Vielleicht ist er echt«, antwortete Bridget hoffnungsvoll.
»Sei kein Esel, Bridget. Ein Rubin in dieser Größe würde viele tausend Pfund kosten, nicht wahr, Monsieur Poirot?«
»Ja, das stimmt.«
»Aber ich kann wirklich nicht begreifen, wie der Stein in den Pudding gekommen ist«, erregte sich Mrs. Lacey.
»Ach«, rief Colin aus, den sein letztes Stück Pudding ablenkte. »Ich habe das Schwein bekommen. Das ist nicht fair.«
Bridget sang sofort los: »Colin hat das Schwein bekommen. Colin hat das Schwein bekommen. Colin ist ein gieriges, verfressenes Schwein!«
»Ich habe den Ring«, rief Diana. Ihre Stimme war hoch und hell.
»Du hast Glück, Diana. Du wirst also als erste von uns heiraten.«
»Und ich habe den Fingerhut«, jammerte Bridget.
»Bridget wird eine alte Jungfer«, sangen die beiden Jungen. »Hoho, Bridget wird eine alte Jungfer!«
»Wer hat das Geld bekommen?« fragte David. »Ein echtes Zehnshillinggoldstück ist im Pudding. Ich weiß es ganz genau, Mrs. Ross hat es mir erzählt.«
»Ich glaube, ich bin der Glückliche«, sagte Desmond Lee-Wortley.
Die beiden Tischnachbarn von Oberst Lacey hörten ihn murmeln: »Ja, das bist du.«
»Ich habe auch einen Ring«, erklärte David. Er schaute zu Diana hinüber. »Ist das nicht ein Zufall?«
Das Lachen hörte nicht auf. Niemand bemerkte, daß Monsieur Poirot unbekümmert und scheinbar gedankenlos den roten Stein in seine Tasche gleiten ließ. Nach dem Pudding gab es einen festlichen Nachtisch und mehrere süße Fleischpasteten. Danach zog sich die ältere Generation zurück, um ihr Ruhestündchen zu halten, bevor alle zum Tee gebeten und die Christbaumkerzen angezündet wurden. Hercule Poirot hielt keinen Mittagsschlaf, statt dessen stattete er der riesigen, altmodischen Küche einen Besuch ab.
»Ist es erlaubt«, fragte er, während er strahlend umherschaute, »der Köchin zu diesem ausgezeichneten Mahl, das ich soeben genossen habe, zu gratulieren?«
Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann kam Mrs. Ross und begrüßte ihn würdevoll. Sie war groß und stattlich.
»Ich freue mich, daß es Ihnen geschmeckt hat«, sagte sie wohlwollend.
»Und wie, ausgezeichnet!« rief Hercule Poirot aus. »Sie sind tatsächlich ein Genie, Mrs. Ross. Ein Genie! Ich habe noch niemals ein solch wunderbares Essen gegessen. Die Austernsuppe -«, seine Lippen formten einen Laut der Anerkennung, »- und die Füllung. Die Kastanienfüllung in dem Truthahn war einzigartig, geradezu ein Erlebnis.«
»Ich freue mich, daß gerade Sie das sagen«, erklärte Mrs. Ross freundlich. »Die Füllung ist nach einem besonderen Rezept gemacht. Ein österreichischer Chefkoch, mit dem ich viele Jahre zusammengearbeitet habe, hat mir dieses Rezept verraten. Aber alles andere«, fügte sie hinzu, »ist alte englische Küche.«
»Gibt es überhaupt etwas Besseres?«
»Nun ja, daß Sie das sagen, ist sehr nett von Ihnen. Sie sind Ausländer, vielleicht hätten Sie kontinentale Küche vorgezogen. Derartige Gerichte gelingen mir allerdings nicht recht.«
»Ich bin sicher, Mrs. Ross, daß Ihnen alles gelingt. Sie wissen doch, daß die gute englische Küche, wie man sie in erstklassigen Restaurants findet, von Feinschmeckern auf dem Kontinent sehr geschätzt wird. Und der Plumpudding, den ich heute gegessen habe, war wirklich einmalig. Sie haben ihn selbst gemacht, nicht wahr? Er ist doch nicht etwa gekauft worden?«
»Natürlich nicht. Ich habe ihn allein gemacht nach meinem eigenen Rezept. Ich mache ihn schon seit vielen Jahren so. Als ich kam, sagte Mrs. Lacey, daß sie in einem Londoner Geschäft einen Pudding bestellt hätte, um mir die Mühe zu ersparen. >Aber nein, Madame<, habe ich damals gesagt, >das ist zwar sehr freundlich von Ihnen gemeint, aber es geht nichts über einen hausgemachten Plumpudding. < Wohlgemerkt, der Pudding wurde zu spät vor dem Fest zubereitet«, erläuterte Mrs. Ross, die sich als wahre Künstlerin auf diesem Gebiet immer mehr über diese Frage verbreitete. »Ein guter Pudding sollte schon Wochen vor dem Fest fertig sein. Je älter er ist, um so besser. In diesem Jahr hätte es genauso sein sollen. Der Pudding wurde aber in Wirklichkeit erst drei Tage vor dem Fest gemacht - genau einen Tag bevor Sie zu uns kamen. Ich hielt mich jedoch an den alten Brauch. Jeder mußte in die Küche kommen, den Teig einmal umrühren und sich dabei etwas wünschen.«
»Sehr interessant«, sagte Poirot, »sehr interessant! Es kam also jeder in die Küche?«
»Ja, der junge Herr und Bridget und der junge Herr aus London, der jetzt hier wohnt, auch seine Schwester und Mr. David und Miss Diana - Mrs. Middleton, wollte ich sagen.
Und alle rührten.«
»Wie viele Puddings haben Sie zubereitet? Ist das der einzige?«
»Nein, ich habe vier gemacht: zwei große und zwei kleinere. Den anderen großen Pudding gibt es zu Neujahr und die zwei kleineren sind für Oberst Lacey und seine Frau, wenn sie wieder allein sind und die Familie wieder kleiner geworden ist.«
»Ich verstehe.«
»Sie haben übrigens heute beim Mittagessen den falschen Pudding bekommen.«
»Den falschen Pudding?« Poirot runzelte die Stirn. »Wieso das?«
»Ja - wir bewahren den Weihnachtspudding in einer großen Kuchenform aus Porzellan auf. Obendrauf ist ein Stechpalmen- und Mistelzweigmotiv. Der Weihnachtspudding wird immer in dieser Form gekocht, aber heute morgen passierte ein Unglück. Als Annie die Form vom Bord in der Vorratskammer holte, rutschte sie aus. Sie ließ die Form fallen, und die Schüssel zerbrach. Ich konnte natürlich den Pudding nicht servieren lassen, es hätten ja Splitter darin sein können. Also mußten wir den anderen Pudding nehmen - den für Neujahr, der in einer ganz normalen Schüssel lag. Die Schüssel gibt dem Pudding eine schöne runde Form, aber sie ist nicht so dekorativ wie die Weihnachtspuddingform. Ich weiß wirklich nicht, wo wir eine ähnliche Form wieder kaufen können. Diese großen werden heute nicht mehr hergestellt. Alles ist winzig klein. Man kann ja heute nicht einmal mehr eine Frühstücksschüssel bekommen, die acht bis zehn Eier mit Schinken faßt. Es ist leider alles nicht mehr so, wie es früher war.«
»Da haben Sie recht«, ergänzte Poirot. »Der heutige Tag bildet aber eine Ausnahme. Dieses Weihnachtsfest ist doch wie in alten Tagen, oder nicht?«