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Mrs. Ross seufzte.

»Ja, ja, ich freue mich, daß Sie das sagen, aber ich habe nicht mehr so gute Hilfen wie früher. Es fehlt an gelernten Hausgehilfinnen. Die Mädchen von heute ...«, sie senkte die Stimme ein wenig, »... geben ja ihr Bestes. Sie haben viel guten Willen, aber keine Erfahrung, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Die Zeiten ändern sich«, sagte Poirot. »Es stimmt mich selber manchmal traurig.«

»Wissen Sie, dieses Haus ist für die Herrin und den Oberst zu groß. Die Herrin weiß das genau. Wenn beide nur in einem Flügel des Hauses leben, so ist das nicht das Richtige. Das Haus wird erst lebendig, wenn die ganze Familie zu Weihnachten versammelt ist.«

»Ich glaube, Mr. Lee-Wortley und seine Schwester sind zum erstenmal hier?«

»Ja.« Die Stimme von Mrs. Ross klang plötzlich reservierter. »Er ist nett, wirklich, aber - nun ja, er paßt nicht zu Miss Sarah; nach unserer Meinung. Aber dort, in London, denkt man anders. Leider geht es seiner Schwester so schlecht. Sie wurde operiert. Einen Tag nach ihrer Ankunft hier ging es ihr ganz gut, so schien es wenigstens. Nachdem sie aber den Pudding umgerührt hatte, ging es ihr wieder schlechter. Seit diesem Tag hat sie das Bett nicht mehr verlassen. Ich glaube, sie ist zu früh nach der Operation aufgestanden. Ach, die heutigen Ärzte! Sie entlassen einen aus dem Krankenhaus, wenn man sich noch gar nicht auf den Beinen halten kann. Die Frau meines Neffen...«

Mrs. Ross begann langatmig und voller Begeisterung von den Krankenhausbehandlungen zu erzählen, denen sich ihre Verwandten einmal unterzogen hatten. Da die Pflege in den früheren Zeiten besser als heute gewesen sei, fiel ihr Vergleich negativ aus. Poirot sprach ihr gebührend sein Mitempfinden aus.

»Ich muß Ihnen zuletzt noch einmal für das ausgezeichnete und üppige Mahl danken. Sie erlauben doch, daß ich mich ein wenig erkenntlich zeige?«

Eine neue Fünfpfundnote wanderte in Mrs. Ross' Hand. Mechanisch antwortete sie: »Das ist aber wirklich nicht nötig.«

»Ich bestehe darauf, ich bestehe aber darauf.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, besten Dank.« Mrs. Ross nahm die Anerkennung als selbstverständlich hin. »Ich wünsche Ihnen ein fröhliches Weihnachtsfest und ein erfolgreiches neues Jahr.«

5.

Der erste Weihnachtstag endete, wie die meisten Weihnachtstage zu enden pflegen. Am Baum wurden die Kerzen angezündet. Ein herrlicher Weihnachtskuchen wurde zum Tee hereingetragen. Man bewunderte den Kuchen, aber es wurde nur wenig gegessen. Am Abend gab es kalte Platte.

Sowohl Poirot als auch die Gastgeberin und der Gastgeber gingen zeitig zu Bett.

»Gute Nacht, Monsieur Poirot«, sagte Mrs. Lacey. »Ich hoffe, der Tag hat Ihnen gefallen.«

»Es war ein wundervoller Tag, Madame, einfach wundervoll.«

»Sie sehen so nachdenklich aus.«

»Ich denke über den englischen Pudding nach.«

»War er Ihnen zu schwer?« fragte sie besorgt.

»Nein, nein. Davon kann keine Rede sein. Ich denke über seine Bedeutung nach.«

»Die Bedeutung liegt allein in der Tradition«, bemerkte Mrs. Lacey. »Nun gute Nacht, Monsieur Poirot, träumen Sie nicht zuviel von Rumpasteten und Weihnachtsplum-pudding.«

»Ja«, murmelte Poirot vor sich hin, als er sich auszog. »Dieser Weihnachtsplumpudding ist ein Problem. Irgend etwas verstehe ich daran nicht.« Er schüttelte verdrießlich den Kopf. »Wir werden ja sehen.«

Nachdem Poirot einige Vorbereitungen getroffen hatte, legte er sich ins Bett, allerdings nicht, um zu schlafen. Nach ungefähr zwei Stunden wurde seine Geduld belohnt.

Die Tür seines Schlafzimmers öffnete sich vorsichtig. Er lächelte vor sich hin. Genau das hatte er erwartet. Er stellte sich noch einmal vor, wie Desmond Lee-Wortley ihm höflich eine Tasse Kaffee gereicht hatte. Ein wenig später, als Desmond mit dem Rücken zu ihm stand, hatte er für ein paar Sekunden die Tasse auf dem Tisch abgesetzt. Dann hatte er sie offensichtlich wieder aufgenommen. Zu Desmonds Befriedigung - wenn man das so nennen kann -hatte er den Kaffee bis zum letzten Tropfen getrunken. Ein Lächeln hob Poirots Schnurrbart, als er sich vorstellte, daß jetzt nicht er, sondern ein anderer in einem besonders tiefen Schlaf lag.

»Dieser nette, junge David«, sprach Poirot zu sich selbst. »Ihn bedrückte etwas, er ist unglücklich. Es wird ihm nichts schaden, wenn er einmal eine Nacht lang tief schläft. Aber jetzt wollen wir mal sehen, was passiert.«

Poirot lag ganz still, atmete tief und regelmäßig, nur gelegentlich hörte man ihn ein wenig schnarchen. Jemand trat an sein Bett und beugte sich über ihn. Dann wandte sich dieser Jemand zufrieden ab und ging zum Ankleidetisch hinüber. Beim Licht einer winzigen Taschenlampe durchsuchte er Poirots Habseligkeiten, die säuberlich auf dem Ankleidetisch abgelegt waren. Finger durchwühlten die Brieftasche, zogen die Schubladen des Ankleidetisches auf, suchten in Poirots Anzugtaschen. Schließlich näherte sich der Besucher wieder dem Bett und fuhr mit größter Behutsamkeit unter das Kopf-kissen. Nachdem er die Hand wieder zurückgezogen hatte, blieb er einen Moment lang stehen - unschlüssig, was er als nächstes tun sollte. Er schlich im Zimmer umher und durchsuchte alles, was zur Zierde dastand. Er ging in das angrenzende Badezimmer, aus dem er aber gleich wieder zurückkam. Dann verließ er das Zimmer mit einem halblaut ausgestoßenen Fluch.

»Ha«, flüsterte Poirot. »Jetzt bist du aber enttäuscht, was? Ja, ja, schwer enttäuscht. Wie konntest du nur annehmen, daß Hercule Poirot etwas dort versteckt, wo du es finden könntest.«

Dann drehte er sich auf die andere Seite und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen wurde er durch beharrliches Klopfen an der Tür geweckt. » Qui est la? Herein, herein.«

Die Tür öffnete sich. Atemlos, mit gerötetem Gesicht, stand Colin auf der Schwelle - hinter ihm Michael.

»Monsieur Poirot, Monsieur Poirot!«

»Aber ja, was ist denn?« Poirot setzte sich im Bett auf. »Gibt es schon den Morgentee? Ach nein, du bist es, Colin. Was ist los?«

Colin war einen Augenblick lang sprachlos. Er schien sehr erregt zu sein. In Wirklichkeit war es aber die Schlafmütze, die Hercule Poirot trug und die Colin einen Moment lang die Sprache verschlug. Als er sich wieder gefangen hatte, stotterte er: »Ich glaube - Monsieur Poirot, können Sie uns helfen? Es ist etwas Schreckliches passiert.«

»Was denn?«

»Es ist - es ist Bridget. Sie liegt draußen im Schnee. Ich glaube - sie regt sich nicht mehr und spricht auch nicht. Sie müssen sie sich sofort ansehen. Ich habe furchtbare Angst. Vielleicht ist sie - tot.«

»Was?« Poirot warf die Bettdecke zur Seite. »Mademoi-selle Bridget - tot?«

»Ich glaube, jemand hat sie getötet. Sie blutet und - oh, kommen Sie doch!«

Poirot schlüpfte in seine Schuhe und zog seinen pelzgefütterten Mantel über den Schlafanzug.

»Hast du schon alle im Haus alarmiert?«

»Nein, nein, ich habe es bis jetzt nur Ihnen gesagt. Ich dachte, es wäre besser so. Großvater und Großmutter sind noch nicht auf. Unten wird erst der Frühstückstisch gedeckt, aber ich habe Peverell nichts gesagt. Sie liegt hinter dem Haus nahe beim Fenster der Bibliothek - an der Terrasse.«

»Führt mich hin!«

Colin wandte sich schnell ab, damit ihn sein freudiges Grinsen nicht verriet. Er führte Poirot die Treppen hinunter. Sie traten durch eine Nebentür ins Freie. Es war ein klarer Morgen. Die Sonne war gerade aufgegangen. Es schneite nicht mehr, aber es hatte während der Nacht stark geschneit, und ein makelloser, dichter Schneeteppich deckte alles zu. Die Welt sah sehr rein, weiß und schön aus.

»Dort!« sagte Colin atemlos. Er zeigte aufgeregt die Stelle.

Das Bild, das sich ihnen bot, wirkte tatsächlich dramatisch. Wenige Meter entfernt lag Bridget im Schnee. Sie trug einen scharlachroten Schlafanzug. Um ihre Schultern schlang sich ein weißer Schal, den ein blutroter Fleck verunzierte. Ihr Kopf lag auf der Seite. Ihr üppiges schwarzes Haar verdeckte das Gesicht. Ein Arm lag unter dem Körper, der andere war weit weggestreckt, die Hand zur Faust geballt. Mitten in dem hochroten Fleck stak aufrecht der Griff eines großen, geschwungenen kurdischen Dolches, den Oberst Lacey gestern abend den Gästen gezeigt hatte.