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So. Das Rätsel würde bis zu Ende andauern, ein fortgesetztes Spiel von Lüge und List. Grimmig nahm er sich vor, dieses Spiel zu gewinnen. Flotten hinter ihm, Verräter um ihn. Bei der Dschöng Ho und seinen eigenen Gottsplittern, die PERVERSION würde verlieren. Die Skrodfahrer würden verlieren. Und bei all ihrem Mut und ihrer Güte würde Ravna Bergsndot verlieren.

DREISSIG

Tyrathect war im Begriff, den Kampf in ihrem Innern zu verlieren, den Kampf mit dem Flenser. Oh, es war noch längst nicht entschieden, man sollte wohl lieber sagen, dass sich das Blatt gewendet hatte. Zu Beginn hatte es kleine Triumphe gegeben, etwa, als sie Amdijefri allein mit dem Kom-Gerät hatte spielen lassen, ohne dass auch nur die Kinder selbst ahnten, dass sie dahinter steckte. Doch das alles lag viele Zehntage zurück, und nun… An manchen Tagen war sie völlig Herr über sich selbst. An anderen — und diese kamen ihr oft als die glücklichsten vor — schien es zunächst, als ob sie die Kontrolle hätte.

Es war noch nicht klar, was für eine Sorte Tag das heute sein würde.

Tyrathect schritt an den Bretterzäunen entlang, die die Burgmauern krönten. Das Bauwerk war gewiss neu, aber wohl noch kaum eine Burg. Stahl hatte in panischer Eile gebaut. Die Süd- und die Westmauern waren sehr dick, von Gängen durchzogen. Aber es gab Stellen an der Nordseite, die einfach nur Palisaden mit Geröll dahinter waren. Mehr war in der kurzen Frist, die Stahl zur Verfügung stand, nicht zu schaffen. Für einen Moment blieb sie stehen und atmete den Geruch frisch gesägten Bauholzes ein. Der Blick den Schiffsberg hinab war so schön wie eh und je. Die Tage wurden länger. Jetzt gab es nur Zwielicht zwischen Sonnenunter- und -aufgang. Der Schnee in der Gegend hatte sich auf die üblichen Sommerflecken zurückgezogen und Heidekraut zurückgelassen, das sich in der Wärme grün färben sollte. Von hier aus konnte sie meilenweit sehen, bis dahin, wo der bläuliche Dunst überm Meer auf ferne Inseln niedersank.

Nach der herkömmlichen Theorie wäre es Selbstmord gewesen, die neue Burg — selbst in ihrem gegenwärtigen klapprigen Zustand — mit weniger Leuten als einer Horde anzugreifen. Tyrathect lächelte bitter. Natürlich würde Holzschnitzerin diese Theorie ignorieren. Die alte Holzschnitzerin glaubte, eine Geheimwaffe zu haben, die aus Hunderten Fuß Entfernung Breschen in diese Mauern schlagen könnte. Schon jetzt meldeten Stahls Spione, dass die Holzschnitzer den Köder geschluckt hätten und ihre kleine Armee mit den rohen Geschützen auf den Landmarsch die Küste entlang aufgebrochen war.

Sie stieg die Holztreppe in den Hof hinab. Sie hörte schwachen Donnerhall. Irgendwo nördlich von Stromtal begannen Stahls eigene Kanoniere mit den morgendlichen Übungen. Wenn der Wind günstig stand, konnte man es hören. Es durfte keine Übungen in der Nähe von Ackerland geben, und niemand außer hochgestellten Dienern und isolierten Arbeitern wusste von den Waffen. Doch mittlerweile besaß Stahl dreißig von den Apparaten und genügend Schießpulver. Am meisten mangelte es an Kanonieren. Sich unmittelbar neben dem Feuerlärm zu befinden, war die Hölle. Länger anhaltendes Feuer konnte taub machen. Ja, aber die Waffen selbst: Sie hatten eine Reichweite von fast acht Meilen, dreimal so viel wie die von Holzschnitzerin. Sie konnten Schießpulver-›Bomben‹ verschießen, die beim Aufprall detonierten. Es gab Stellen jenseits der Berge im Norden, wo der Wald kahlgerissen war und Erdrutsche den nackten Felsen bloßgelegt hatten — alles die Folge von Dauerbeschuss mit Kanonen.

Und bald — vielleicht heute — würden die Flenseristen auch Radio haben.

Verdammt sollst du sein, Holzschnitzerin! Natürlich hatte Tyrathect den Holzschnitzer niemals kennen gelernt, doch Flenser hatte das Rudel gut gekannt: Er bestand größtenteils aus Holzschnitzers Nachkommen. Der ›sanfte Holzschnitzer‹ hatte ihn geboren und an die Macht gebracht. Holzschnitzer war es gewesen, der ihn die Freiheit des Denkens und Experimentierens gelehrt hatte. Holzschnitzer hätte den Stolz kennen sollen, der in Flenser steckte, hätte wissen sollen, dass er weiter gehen würde, als sein Elter es je gewagt hatte. Und als die monströse Natur des Neuen deutlich wurde, als seine ersten ›Experimente‹ entdeckt wurden, hätte ihn Holzschnitzer töten oder allerwenigstens in Fragmente aufspalten müssen. Statt dessen war es Flenser erlaubt worden, ins Exil zu gehen — damit er Wesen wie Stahl schuf und die ihrerseits ihre eigenen Ungeheuer hervorbrachten, bis letzten Endes diese Hierarchie des Wahnsinns entstand.

Und nun, ein Jahrhundert zu spät, kam Holzschnitzerin, um ihren Fehler zu korrigieren. Sie kam mit ihren Spielzeugkanonen, so übermäßig zuversichtlich und idealistisch wie eh und je. Sie kam in eine Falle von Feuer und Stahl, die keiner ihrer Leute überleben würde. Wenn es nur eine Möglichkeit gegeben hätte, die Holzschnitzerin zu warnen. Tyrathects einziger Grund für ihre Anwesenheit hier war der Eid, den sie sich geschworen hatte — Flensers Bewegung zu Fall zu bringen. Wenn Holzschnitzerin wüsste, was sie hier erwartete, wenn sie wenigstens von den Verrätern im eigenen Lager wüsste, dann könnte es eine Chance geben. In vorigen Herbst war Tyrathect drauf und dran gewesen, eine anonyme Botschaft nach Süden zu schicken. Es gab Händler, die beide Reiche besuchten. Ihre von Flenser her stammenden Erinnerungen sagten ihr, welche davon wahrscheinlich unabhängig waren. Beinahe hätte sie einem eine Mitteilung zugesteckt, ein einzelnes Blatt Seidenpapier, das von der Landung des Sternenschiffs und Jefris Überleben berichtete. Dabei war sie dem Tod um weniger als einen Tag entgangen: Stahl hatte ihr einen Bericht aus dem Süden über den anderen Menschen und Holzschnitzerins Fortschritte mit dem ›Datio‹ gezeigt. Der Bericht enthielt Dinge, die nur jemand an der Spitze in Holzschnitzerheim kennen konnte. Wer? Sie fragte nicht, vermutete aber, dass es Feilonius war; der Flenser in Tyrathect erinnerte sich gut an dieses Geschwisterrudel. Sie hatten… Geschäfte miteinander gemacht. Feilonius hatte nichts vom ursprünglichen Genie ihres gemeinsamen Elters in sich, wohl aber ein gut Teil Opportunismus.

Stahl hatte ihr den Bericht nur gezeigt, um sich wichtig zu machen, um ihr zu beweisen, dass er etwas zustande gebracht hatte, das Flenser niemals versucht hatte. Und es war in der Tat ein Meisterstück. Tyrathect hatte Stahl aufrichtiger als sonst beglückwünscht — und ihre Warnpläne still ad acta gelegt. Wenn an der Spitze in Holzschnitzerheim ein Spion saß, wäre jede Botschaft sinnloser Selbstmord gewesen.

Jetzt trottete Tyrathect über den äußeren Burghof. Es waren noch viele Bauarbeiten im Gange, aber die Teams waren kleiner. Stahl baute überall im Hof Holzhütten. Viele waren leere Hüllen. Stahl hoffte Ravna dazu bewegen zu können, an einer besonderen Stelle im inneren Mauerring zu landen.

Der innere Ring. Das war das einzige an der Burg, was nach den Maßstäben der Verborgenen Insel gebaut war. Es war schönes Mauerwerk. Es konnte wirklich sein, als was Stahl es Amdijefri darstellte: ein Schrein, um Jefris Schiff Ehre zu erweisen und es vor dem Angriff der Holzschnitzer zu schützen. Die Zentralkuppel war ein sanftes Rund von Auslegern und Maßwerk, so weit wie der Hauptversammlungssaal auf der Verborgenen Insel. Tyrathect beobachtete sie mit einem Augenpaar, während sie es umrundete. Stahl hatte vor, die Kuppel mit feinstem rosa Marmor zu verkleiden. Sie würde Dutzende von Meilen hoch vom Himmel her zu sehen sein. Die in das Mauerwerk eingebauten Todesfallen waren das Herzstück von Stahls Plan, selbst wenn die Retter nicht in seiner anderen Falle landeten.

Sreck und zwei weitere hochgestellte Diener standen auf den Stufen zum Versammlungsraum der Burg. Sie nahmen Haltung an, als sie sich näherte. Die drei wichen rasch zurück, mit den Bäuchen über den Steinboden schurrend…, aber nicht so schnell wie vorigen Herbst. Sie wussten, dass die anderen Flenser-Fragmente vernichtet worden waren. Als Tyrathect an ihnen vorüberging, lächelte sie beinahe. Bei all ihrer Schwäche und all ihren Problemen wusste sie, dass sie diesen drei überlegen war.