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Sie kam nahe an Sreck und den am Ende des Feldes postierten Wachen vorbei. »He, he, Sreck? Was sagst denn du?«, sagte eins von ihr zu seinen verblüfften Gesichtern. Weiter hinten, bei Amdi und dem Rest von ihr, rief Stahl Sreck zu, er solle ihr folgen.

Ihr Traben wurde zu einem lockeren Lauf. Sie teilte sich, eins nördlich, das andere südlich am Innenhof vorbei. Sreck und seine Gefährten folgten ihr, vom Schock wie benommen. Die Kuppel des inneren Mauerrings lag zwischen ihr, eine gekrümmte Schale von Stein. Ihre Radio-Gedanken schwanden in dem Sirren dahin.

»Kann nicht denken«, sagte sie murmelnd zu Amdi.

»Zieht an den Mundriemen. Macht Eure Gedanken lauter.«

Tyrathect zog, und das Sirren wurde schwächer. Sie gewann das Gleichgewicht wieder und rannte um das Sternenschiff. Eins von ihr befand sich jetzt in einem Baugebiet. Handwerker schauten schockiert auf. Ein einzelnes Glied bedeutete für gewöhnlich einen Unfall, oder dass ein Rudel Amok lief. In jedem Falle musste das Solo festgehalten werden. Doch Tyrathects Glied trug einen Umhang, auf dem hier und da Gold glitzerte. Und hinter ihr riefen Sreck und seine Wachen jedem zu, sich zurückzuhalten.

Sie wandte Stahl einen Kopf zu, und ihre Stimme war voller Freude. »Ich gehe hoch!« Sie rannte durch die sich duckenden Arbeiter hindurch, auf die Mauern zu. Sie war überall, breitete sich immer weiter aus. Diese Sekunden würden Erinnerungen schaffen, die ihre Seele überdauern würden, die Legenden im Verstand ihrer Nachkommen in tausend Jahren sein würden.

Stahl hockte sich hin. Die Dinge waren jetzt völlig seiner Kontrolle entglitten; Srecks Leute waren alle auf der anderen Seite des inneren Mauerrings. Alles, was er und Amdi erfahren konnten, kam von Tyrathect — und vom Lärm der Alarmrufe.

Amdi sprang um sie herum. »Wo seid Ihr jetzt? Wo?«

»Fast an der Außenmauer.«

»Geh nicht weiter«, sagte Stahl leise.

Tyrathect hörte ihn kaum. Ein paar Sekunden noch würde sie von dieser grandiosen Macht trinken. Sie lief die Stufen auf der Innenseite hinauf. Wachposten wichen aus, manche Glieder sprangen zurück in den Hof. Sreck folgte ihr noch immer und rief, damit man sie in Ruhe ließ.

Eins von ihr erreichte den Wehrgang, dann das andere.

Sie schnappte nach Luft.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Amdi.

»Ich…« Tyrathect schaute sich um. Von ihrer Stelle auf der Südmauer konnte sie sich selbst im Burghof sehen: ein winziges Klümpchen Schwarz und Gold, das ihre drei und Amdi waren. Jenseits der Nordostmauern erstreckten sich Wald und Täler, die Routen hinauf in die Eisfang-Berge. Im Westen lagen die Verborgene Insel und die nebligen inneren Buchten. Es waren Dinge, die sie als Flenser Tausende Male gesehen hatte. Wie er sie geliebt hatte — sein Reich. Nun aber… sah sie wie im Traum. Ihre Augen waren so weit auseinander. Ihr Rudel war fast so groß wie die Burg selbst. Die Parallaxe des Blicks ließ die Verborgene Insel ganz nahe erscheinen, nur ein paar Schritte entfernt. Neuburg glich einem rings um sie ausgebreiteten Modell. Allmächtiges Rudel aller Rudel — dies war der Blick Gottes.

Srecks Soldaten schoben sich näher heran. Er hatte ein paar Rudel zurückbeordert, um Anweisungen zu holen. »Ein paar Minuten. Ich werde in ein paar Minuten herunterkommen.« Sie sprach die Worte zu den Soldaten auf der Palisade und zu Stahl unten im Hof. Dann wandte sie sich um und ließ den Blick über ihr Reich schweifen.

Sie hatte nur zwei von sich über weniger als eine Viertelmeile ausgebreitet. Doch es gab keine spürbare Verzögerung; die Koordination fühlte sich ebenso abrupt an, als sei sie noch ganz beisammen. Und man konnte die Laschen aus Flechtenbein noch ein gutes Stück weiter ziehen. Wie, wenn alle fünf von ihr ausschwärmten, sich meilenweit ausbreiteten? Das ganze Nordland wäre ihr persönlicher Raum.

Und Flenser? Ah, Flenser. Wo war er? Die Erinnerungen waren noch da, aber… Tyrathect erinnerte sich an den Verlust des Bewusstseins, gerade als die Radios zu funktionieren begonnen hatten. Man musste in der Koordination besonders geübt sein, um angesichts so schrecklichen Tempos denken zu können. Vielleicht war Fürst Flenser nie zwischen engen Felswänden gegangen, als er neu war. Tyrathect lächelte. Vielleicht konnte nur ein Verstand wie der ihre beim Gebrauch der Radios bestehen. In diesem Fall… Tyrathect schaute abermals über die Landschaft. Flenser hatte ein großes Reich geschaffen. Wenn diese neuen Entwicklungen richtig gehandhabt wurden, würden die künftigen Siege es noch unendlich viel größer machen.

Er wandte sich Srecks Soldaten zu. »Sehr gut, ich bin bereit, zu Fürst Stahl zurückzukehren.«

EINUNDDREISSIG

Es war Hochsommer, als Holzschnitzerins Armee nach Norden aufbrach. Die Vorbereitungen waren fieberhaft gewesen, und Feilonius hatte sich selbst und alle anderen in die Erschöpfung getrieben. Man hatte dreißig Kanonen herstellen müssen — Scrupilo goss siebzig Rohre, ehe er die dreißig erhielt, die verlässlich feuern würden. Man hatte Kanoniere ausbilden und sichere Methoden des Feuerns herausfinden müssen. Man hatte Wagen bauen und Cherhogs kaufen müssen.

Sicherlich war die Kunde von den Vorbereitungen längst nach Norden durchgesickert. Holzschnitzerheim war eine Hafenstadt, man konnte den Handel nicht unterbinden, der hindurchging. In mehr als einer Sitzung des inneren Rates warnte Feilonius sie: Stahl wusste, dass sie kamen. Der Trick bestand darin, die Flenseristen über Stärke, Zeitplan und den genauen Zweck im Ungewissen zu lassen. »Wir haben einen großen Vorteil gegenüber dem Feind«, sagte er. »Wir haben Agenten in seinen höchsten Räten. Wir wissen, was er über uns weiß.« Das Offensichtliche konnten sie vor Spionen nicht verbergen, doch bei Einzelheiten lag der Fall anders.

Die Armee brach über Wege im Landesinneren auf, ein Dutzend Wagen hier, ein paar Schwadronen da. Alles in allem beteiligten sich eintausend Rudel an dem Feldzug, doch sie würden niemals zusammentreffen, ehe sie die Tiefen des Waldes erreichten. Es wäre leichter gewesen, den ersten Teil der Reise zur See zurückzulegen, doch die Flenseristen verfügten hoch in den Fjordländern verborgen über Beobachter. Jede Schiffsbewegung — sogar tief im Holzschnitzergebiet — würde dem Norden bekannt werden. So reisten sie über Waldwege, durch Gebiete, die Feilonius von feindlichen Agenten gesäubert hatte.

Anfangs war die Reise sehr leicht, zumindest für die mit den Wagen. Johanna fuhr in einem Wagen bei der Nachhut zusammen mit Holzschnitzerin und dem Datio. Sogar ich fange an, das Ding wie ein Orakel zu behandeln, dachte Johanna. Wie schade, dass es nicht wirklich die Zukunft voraussagen konnte.

Das Wetter war so schön, wie Johanna es nur je auf der Klauenwelt erlebt hatte, ein endloser Nachmittag. Es war seltsam, dass so anhaltend schönes Wetter sie derart nervös machte, doch sie konnte nichts dagegen tun. Es ähnelte alles so sehr ihrer ersten Begegnung mit dieser Welt, als alles… schiefgegangen war.

Während der ersten Tage der Reise, als sie sich noch auf heimischem Gebiet befanden, zeigte Holzschnitzerin auf jeden Gipfel, der in Sicht kam, und versuchte, seinen Namen für sie in Samnorsk zu übersetzen. Nach sechshundert Jahren kannte die Königin ihr Land gut. Sogar die Fleckchen Schnee — diejenigen, die den ganzen Sommer über liegen blieben — waren ihr vertraut. Sie zeigte Johanna ein Skizzenbuch, das sie mitgenommen hatte. Jede Seite stammte aus einem anderen Jahr und stellte ihre speziellen Schneeflecken dar, wie sie an dem gleichen Tag im Sommer ausgesehen hatten. Wenn man die Seiten durch die Finger laufen ließ, war es fast eine Art grobes bewegtes Bild. Johanna konnte sehen, wie die Flecken sich bewegten, wie sie mehrere Jahrzehnte lang wuchsen und sich dann zurückzogen. »Die meisten Rudel leben nicht lange genug, um es zu empfinden«, sagte Holzschnitzerin, »aber für mich sind die Flecken, die den ganzen Sommer über bleiben, wie Lebewesen. Siehst du, wie sie sich bewegen? Sie sind wie Wölfe, von unseren Ländern durch das Feuer ferngehalten, das die Sonne ist. Sie streifen herum, wachsen. Manchmal vereinigen sie sich, und ein neuer Gletscher beginnt seinen Weg zum Meer.«