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Tatsächlich wurde das Wetter schon etwas beschwerlich. Mittags konnte es geradezu heiß werden. Es wehte ein stetiger und trockener Wind. Der Wald selbst trocknete allmählich aus, sie mussten sich mit dem Feuer vorsehen. Und bei einer ständig überm Horizont stehenden Sonne und wolkenlosem Himmel konnten sie von Spähern über viele Meilen hinweg gesehen werden. Besonders Scrupilo ärgerte sich. Er hatte nicht vorgehabt, seine Kanonen unterwegs abzufeuern, wohl aber, ›seine‹ Soldaten etwas öfter im Freien auszubilden.

Scrupilo war Ratsmitglied und der Chefingenieur der Königin. Seit seinem Experiment mit der Kanone hatte er auf dem Titel ›Befehlshaber der Kanoniere‹ bestanden. Johanna war der Ingenieur immer kurz angebunden und ungeduldig erschienen. Seine Glieder waren fast ständig in Bewegung, und das sprunghaft und abgehackt. Er verbrachte fast ebenso viel Zeit mit dem Datio, wie die Königin oder Wanderer Wickwracknarb, interessierte sich jedoch sehr wenig für menschliche Angelegenheiten. »Er ist für alles blind, außer für Maschinen«, sagte Holzschnitzerin einmal über ihn, »aber so habe ich ihn geschaffen. Er hat viel erfunden, auch schon vor deiner Ankunft.«

Scrupilo hatte sich in seine Kanonen verliebt. Für die meisten Rudel war das Abfeuern der Dinger eine schmerzhafte Erfahrung. Seit der ersten Erprobung hatte Scrupilo sie immer wieder abgefeuert, während er die Rohre, das Pulver und die Explosivgranaten zu verbessern versuchte. In seinem Fell hatte das Pulver Dutzende von Brandstellen hinterlassen. Er behauptete, dass Kanonendonner in der Nähe den Verstand klarer machte — aber fast alle anderen stimmten darin überein, dass man davon verblödete.

Während der Rastpausen war Scrup ein vertrauter Anblick, wie er die Reihe auf und ab ging und auf seine Kanoniere einredete. Er behauptete, selbst der kürzeste Halt sei eine Gelegenheit zum Üben, denn im wirklichen Gefecht würde alles vom Tempo abhängen. Er hatte besondere Epauletten entworfen, die den Ohrenklappen nyjoranischer Kanoniere nachgestaltet waren. Sie bedeckten die Tieftonohren überhaupt nicht, dafür aber die Stirn- und Schultertrommelfelle des Glieds, welches die Ladung zündete. Die Klappen herabzuziehen, war eigentlich ziemlich betäubend für den Verstand, doch für die Augenblicke unmittelbar um das Abfeuern lohnte es sich. Scrupilo trug seine eigenen Klappen ständig, allerdings hochgeklappt. Sie sahen aus wie dumme kleine Flügel, die aus seinem Kopf und seinen Schultern ragten. Er glaubte offensichtlich, das mache einen verwegenen Eindruck — und tatsächlich taten sich auch seine Mannschaften damit wichtig, die Ausrüstung ständig zu tragen. Nach einer Weile sah sogar Johanna, dass das Üben Früchte trug. Zumindest konnten sie die Kanonenrohre augenblicklich herumschwenken, sie mit Pulver- und Kugelattrappen laden und in der Klauensprache das Gegenstück zu ›BUMM!‹ rufen.

Die Armee führte viel mehr Schießpulver als Nahrung mit sich. Die Rudel sollten vom Walde leben. Johanna hatte wenig Erfahrung, wie man in einer Atmosphäre kampierte. Waren Wälder für gewöhnlich derart reich? Gewiss hatten sie kaum etwas mit den Stadtwäldern auf Straum gemein, wo man eine Sondergenehmigung brauchte, um die gekennzeichneten Wege zu verlassen, und die meisten Wildtiere mechanische Imitationen der nyjoranischen Originale waren. Dieser Ort hier war wilder als selbst die Geschichten von der Nyjora. Schließlich war jene Welt eine wohlgeordnete Siedlung gewesen, ehe sie ins Mittelalter zurückfiel. Die Klauenwesen waren niemals zivilisiert gewesen, hatten niemals Großstädte über Kontinente wachsen lassen. Pilger schätzte, dass es weniger als dreißig Millionen Rudel auf der Welt gab. Der Nordwesten stand noch am Anfang der Besiedlung. Wild gab es überall. Bei der Jagd waren die Klauenwesen wie Tiere. Soldaten rannten durch das Unterholz. Die beliebteste Jagdmethode beruhte auf reiner Ausdauer, wo die Beute gehetzt wurde, bis sie niederfiel. Das war hier in den seltensten Fällen möglich, doch es machte ihnen fast ebensolchen Spaß, ein ahnungsloses Tier in einen Hinterhalt zu treiben.

Johanna gefiel das nicht. War das eine mittelalterliche Perversion oder speziell eine der Klauenwesen? Wenn sie genug Zeit hatten, benutzten die Soldaten ihre Armbrüste und Messer nicht. Das Jagdvergnügen schloss auch das Aufreißen von Kehlen und Bäuchen mit Zähnen und Krallen ein. Nicht, dass die Waldgeschöpfe wehrlos gewesen wären: seit Jahrmillionen hatten sich hier Drohung und Gegendrohung entwickelt. Fast jedes Tier konnte ein Ultraschallkreischen ausstoßen, das das Denken jedes Rudels in der Nähe total untergehen ließ. Es gab Teile des Waldes, die Johanna still erschienen, durch die die Armee aber in wachsamem Galopp hindurchstürmte, während sich Fahrer und Soldaten von unsichtbaren Angriffen unter Schmerzen wanden.

Manche Waldtiere waren raffinierter.

Am fünfundzwanzigsten Tag tat sich die Armee schwer beim Versuch, das bisher größte Tal zu durchqueren. In der Mitte — größtenteils im Wald verborgen — strömte ein Fluss hinab zum westlichen Meer. Die Wände dieser Täler ähnelten nichts, was Johanna in den Parks auf Straum gesehen hatte: Wenn man einen Querschnitt senkrecht zum Fluss hindurchlegte, dann ergaben die Wände die Form eines U. An den oberen Rändern waren sie steil wie Klippen, wurden dann zu Hängen und schließlich zu einer sanften Ebene, wo der Fluss strömte. »So schürft sie das Eis aus«, erklärte Holzschnitzerin. »Es gibt Stellen weiter oben, wo ich wirklich gesehen habe, wie es geschieht«, und sie zeigte Johanna Erklärungen im Datio. Das geschah immer öfter; Pilger und Holzschnitzerin und manchmal sogar Scrupilo schienen mehr von der modernen Bildung eines Kindes zu kennen als Johanna.

Sie hatten bereits eine Anzahl kleinerer Täler überquert. Die steilen Stellen hinabzusteigen, war immer heikel, doch bisher waren die Wege gut gewesen. Feilonius führte sie an den Rand dieses letzten Tals.

Holzschnitzerin und ihr Gefolge standen im Schutze des Waldes knapp vor dem Steilhang. Ein paar Meter weiter hinten saß Johanna, von Wanderer Wickwracknarb umringt. Die Bäume auf dieser Anhöhe erinnerten Johanna ein wenig an Kiefern. Die Blätter waren schmal und scharf und blieben das ganze Jahr über. Doch die Borke war weiß gesprenkelt und das Holz selbst fahlblond. Am seltsamsten waren die Blumen. Sie sprossen purpurfarben und violett aus den freiliegenden Baumwurzeln. Die Klauenwelt hatte kein Gegenstück zu Honigbienen, doch es war ständige Bewegung zwischen den Blumen, da daumengroße Säugetiere von Pflanze zu Pflanze kletterten. Es gab Tausende von ihnen, doch sie schienen sich für nichts zu interessieren als für die Blumen und die Süße, die jene verströmten. Johanna lehnte sich zwischen die Blumen zurück und bewunderte den Anblick, während die Königin mit Feilonius kollerte. Wie viele Kilometer weit konnte man von hier aus sehen? Die Luft war so klar, wie sie es auf der Klauenwelt nur je erlebt hatte. Nach Osten und Westen hin schien sich das Tal endlos zu erstrecken. Der Fluss war ein Silberfaden, wo er zufällig durch den Wald am Grunde des Tals hindurchschimmerte.

Pilger stieß sie mit einer Nase an und nickte zur Königin hin. Holzschnitzerin zeigte hierhin und dahin über den Abhang. »Es liegt Streit in der Luft. Soll ich übersetzen?«

»Hm.«

»Holzschnitzerin gefällt der Weg nicht.« Pilgers Stimme nahm den Tonfall der Königin an, wenn sie Samnorsk sprach: »Der Weg liegt völlig offen. Jeder auf der anderen Seite kann dasitzen und jeden einzelnen Wagen zählen. Sogar meilenweit. (Eine Meile ist ein fetter Kilometer.)«

Feilonius ließ die Köpfe in seiner entrüsteten Art hin und her schnellen. Er kollerte etwas, worin Johanna Ärger erkannte. Pilger kicherte und änderte die Stimme, sodass sie der des Sicherheitschefs glich: »Euer Majestät! Meine Kundschafter haben das Tal und den gegenüberliegenden Hang durchkämmt. Es besteht keine Gefahr.«