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Am letzten Tag ihrer Rast berief die Königin eine Versammlung aller Rudel ein, die nicht auf Wache oder Spähposten waren. Es war die größte Ansammlung von Klauenwesen an einem Ort, die Johanna sah, seit ihre Familie umgebracht worden war. Doch diese Rudel kämpften nicht. So weit Johanna über das bläuliche Moos sehen konnte, standen Rudel, jedes mindestens acht Meter vom nächsten entfernt. Einen absurden Moment lang erinnerte es sie an den Siedlerpark in Overby: Familien beim Picknick auf dem Gras, jede mit ihrer eigenen traditionellen Decke und den eigenen Essenbehältern. Doch diese ›Familien‹ waren jede ein Rudel, und es war eine militärische Formation. Die Reihen bildeten sanft geschwungene Bögen, alle der Königin zugewandt. Wanderer Wickwracknarb befand sich zehn Meter hinter ihr im Schatten; als Gemahl der Königin hatte er keinerlei offizielle Position inne. Zur Linken Holzschnitzerins lagen die lebenden Opfer des Hinterhalts, Glieder mit Verbänden und Schienen. In mancherlei Hinsicht waren solche sichtbaren Verletzungen nicht das Schlimmste. Es gab auch noch das, was Pilger die ›wandelnden Verwundeten‹ nannte. Das waren Solos und Duos und Trios, die als einzige von ganzen Rudeln übrig geblieben waren. Manche von ihnen versuchten eine Hab-Acht-Stellung zu bewahren, doch andere strichen ziellos umher und fielen der Königin gelegentlich mit sinnlosem Geplapper ins Wort. Es war alles wieder wie bei Schreiber Yaqueramaphan, doch die meisten von diesen würden am Leben bleiben. Manche verschmolzen schon wieder und versuchten, neue Individuen zu bilden. Einige davon konnten sogar Bestand haben, wie Wanderer Wickwracknarb. Für die meisten würde es lange dauern, bis sie wieder komplette Persönlichkeiten waren.

Johanna saß mit Scrupilo in der ersten Reihe der Soldaten vor der Königin, der Befehlshaber der Kanoniere in der Rührt-euch-Haltung der Klauenwesen: Hinterbacken am Boden, Brust hoch, die meisten Gesichter nach vorn gerichtet. Scrup hatte es ohne ernsthafte Schäden überstanden. Sein Weißkopf hatte ein paar Rußspuren mehr, und eins von den anderen Gliedern hatte sich beim Fall den Hang hinab eine Schulter verstaucht. Seine Kanoniersklappen trug er mit großer Geste wie immer, doch etwas an ihm ließ ihn niedergeschlagen wirken — vielleicht lag es nur an der militärischen Formation und daran, dass er eine Medaille für Heldentum erhalten würde.

Die Königin trug ihre Spezialjacken. Jeder Kopf schaute auf eine andere Abteilung ihrer Zuhörer. Johanna konnte die Klauensprache noch nicht verstehen und würde sie sicherlich niemals ohne mechanische Hilfe sprechen können. Doch die Laute lagen größtenteils in ihrem Hörbereich — tiefe Frequenzen tragen wesentlich weiter als hohe. Selbst ohne Gedächtnishilfen und Grammatikgeneratoren lernte sie allmählich ein wenig. Sie konnte die gefühlsmäßigen Töne leicht erkennen, und auch Dinge wie das heisere Ark-ark-ark, das hier für Beifall galt. Was einzelne Wörter anging — nun, das waren eher Akkorde, einzelne Silben mit Bedeutung. Wenn sie jetzt aufmerksam zuhörte (und Pilger nicht in der Nähe war, um gleichzeitig zu übersetzen), konnte sie manche davon sogar verstehen.

… Jetzt gerade zum Beispiel sagte Holzschnitzerin Gutes über ihre Zuhörer. Zustimmendes Ark-ark kam aus allen Richtungen. Die Rudel klangen wie eine Gruppe Seesäuger. Einer von den Köpfen der Königin tauchte in eine Schüssel und kam mit einem kleinen geschnitzten Dings im Mund wieder hoch. Sie sagte den Namen eines Rudels, ein Tamptititam aus mehreren Akkorden, das Johanna, wenn sie es oft genug hörte, wiederholen könnte, so wie ›Yaqueramaphan‹ , oder in dem sie sogar eine Bedeutung erkennen könnte, wie in ›Wickwracknarb‹ .

Aus der vordersten Reihe der Zuhörer trottete ein einzelnes Glied auf die Königin zu. Es blieb praktisch Nase an Nase mit dem nächsten Glied der Königin stehen. Holzschnitzerin sagte etwas von Tapferkeit, und dann befestigten zwei von ihr die hölzerne — Brosche? — an der Jacke des Gliedes. Es machte geschickt kehrt und ging zu seinem Rudel zurück.

Holzschnitzerin holte eine weitere Auszeichnung hervor und rief ein weiteres Rudel auf. Johanna beugte sich zu Scrupilo hinüber. »Was geht hier vor?«, fragte sie erstaunt. »Warum bekommen einzelne Glieder Medaillen?« Und wie bringen sie es fertig, einem anderen Rudel derart nahe zu kommen?

Scrupilo hatte eine steifere Hab-Acht-Stellung eingenommen als die meisten anderen Rudel und sich kaum um sie gekümmert. Nun wandte er ihr einen Kopf zu. »Psst!« Er wollte sich wieder abwenden, doch sie fasste ihn an einer seiner Jacken. »Närrin«, antwortete er schließlich. »Die Auszeichnung ist für das ganze Rudel. Ein Glied wird ausgestreckt, um sie entgegenzunehmen. Mehr wären Wahnsinn.«

Hmm. Eins nach dem anderen waren drei weitere Rudel an der Reihe, ein Glied ›auszustrecken‹ , um ihre Medaillen in Empfang zu nehmen. Manche waren ganz exakt, wie menschliche Soldaten in den Geschichten. Andere gingen forsch los und wurden dann schüchtern und verwirrt, als sie sich Holzschnitzerin näherten.

Schließlich sagte Johanna: »Psst. Scrupilo! Wann kriegen wir unsere?«

Diesmal schaute er sie nicht einmal an, alle Köpfe starr der Königin zugewandt. »Zuletzt natürlich. Du und ich haben das Nest getötet und Holzschnitzerin selbst gerettet.« Seine Körper zitterten fast vor Erwartung. Er hat wahnsinnige Angst. Und plötzlich erriet Johanna den Grund. Anscheinend machte es Holzschnitzerin keine Schwierigkeiten, mit einem fremden Glied in der Nähe ihren Verstand zu bewahren. Aber umgekehrt galt das nicht. Eins von sich selbst unter ein fremdes Rudel zu schicken, hieß, einen Teil des Bewusstseins zu verlieren und sich diesem anderen Rudel anzuvertrauen. Wenn man es so sah… ja, es erinnerte Johanna an die historischen Romane, die sie abzuspielen pflegte. Während des Dunklen Zeitalters auf der Nyjora war es Brauch, dass Damen, denen eine Audienz bei der Königin gewährt wurde, ihr ihr Schwert überreichten und dann niederknieten. Es war eine Art Treueschwur. Ebenso hier, nur dass Johanna, wenn sie Scrupilo ansah, begriff, dass die Zeremonie sogar als reine Formsache verdammt beängstigend sein konnte.

Drei weitere Medaillen wurden verliehen, und dann kollerte Holzschnitzerin die Akkorde, die Scrupilos Namen bildeten. Der Befehlshaber der Kanoniere wurde völlig steif und stieß schwache Pfeiftöne aus seinen Mündern. »Johanna Olsndot«, sagte Holzschnitzerin, dann wieder etwas in der Klauensprache, das mit Vortreten zu tun hatte.

Johanna stand auf, doch keins von Scrupilo regte sich.

Die Königin ließ ein menschliches Lachen ertönen. Sie hielt zwei polierte Broschen. »Ich werde später alles in Samnorsk erklären, Johanna. Komm jetzt einfach mit einem von Scrupilo nach vorn. Scrupilo?«

Auf einmal waren sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, von Tausenden von Augen beobachtet. Es gab keine Arks oder Geschwätz im Hintergrund mehr. Johanna hatte sich noch nie so bloß gefühlt, seit sie die Erste Kolonistin im Landungsspiel ihrer Schule gespielt hatte. Sie beugte sich herab, sodass ihr Kopf nahe an einem von Scrupilo war. »Komm schon, Junge. Wir sind die großen Helden.«

Er blickte sie mit aufgerissenen Augen an. »Ich kann nicht.« Die Worte waren kaum zu hören. Bei all seinen feschen Kanonierklappen und forschen Manieren hatte Scrupilo entsetzliche Angst. Doch für ihn war es kein Lampenfieber. »Ich kann mich nicht so schnell wieder zerreißen. Ich kann nicht.«

Ein kollerndes Gemurmel in den Reihen hinter ihnen kam auf: Scrupilos eigene Kanoniere. Bei allen Mächten, würden sie ihm das verübeln? Willkommen im Mittelalter. Blödes Volk. Sogar in Stücke geschnitten, hat Scrupilo ihnen noch die Ärsche gerettet, und nun…