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Die Frage machte ihr Tag für Tag zu schaffen. Und jeden Tag versuchte sie, einen Ausweg zu finden. Sie wischte sich schweigend das Gesicht ab. Sie zweifelte nicht an dem, was Pham entdeckt hatte.

Es gab ein paar großkotzige Netzteilnehmer, die behaupteten, etwas derart Ausgedehntes wie die PEST sei einfach eine tragische Katastrophe und nicht etwas Böses. Böses, behaupteten sie, könnte nur in kleinerem Maßstab eine Bedeutung haben, wenn ein vernunftbegabtes Wesen einem anderen Schaden zufügte. Vor RIP war diese Ansicht wie ein frivoles Wortspiel erschienen. Nun sah sie, dass es eine Bedeutung hatte — und eine grundfalsche. Die PEST hatte die Skrodfahrer erschaffen, eine wunderbare und friedfertige Rasse. Ihre Anwesenheit auf einer Milliarde Welten war etwas Gutes gewesen. Und hinter alldem stand die Möglichkeit, den Geist eigenständiger Freunde in etwas Ungeheuerliches zu verwandeln. Wenn sie an Blaustiel und Grünmuschel dachte und die Furcht in ihr aufstieg, da sie wusste, dass das Gift dort verborgen lag — obwohl sie gute Leute waren —, dann wusste sie, dass sie einen Blick auf das Böse im transzendenten Maßstab geworfen hatte.

Sie hatte Blaustiel und Grünmuschel zu dieser Mission bewegt; sie hatten sich nicht darum gerissen. Sie waren Freunde und Verbündete, und sie würde ihnen kein Leid tun, weil sie zu etwas anderem werden konnten.

Vielleicht lag es an den jüngsten Nachrichten. Vielleicht lag es daran, dass sie sich zum x-ten Mal denselben Unmöglichkeiten gegenübersah: Ravna straffte sich, während sie die letzten Botschaften betrachtete. So. Sie glaubte, was Pham über die von den Skrodfahrern ausgehende Gefahr sagte. Sie glaubte auch, dass diese beiden nur potentiell Feinde wären. Sie hatte alles hingeworfen, um sie und ihresgleichen zu retten. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, aber mach das Beste daraus. Wenn sie gerettet werden sollen, weil du sie für Verbündete hältst, dann behandle sie wie Verbündete. Behandle sie als die Freunde, die sie sind. Wie sind alle nur Bauern im Spiel.

Ravna schob sich sacht auf die Tür ihrer Kabine zu.

Die Kabine der Skrodfahrer lag dicht hinter dem Steuerdeck. Seit dem Debakel bei RIP hatten die beiden sie nicht verlassen. Während sie den Gang entlang auf ihre Tür zu schwebte, erwartete Ravna halbwegs, Phams Apparaturen in den Schatten lauern zu sehen. Sie wusste, dass er sein Bestes tat, um ›sich zu schützen‹ . Doch sie bemerkte nichts Ungewöhnliches. Was wird er davon halten, dass ich sie besuche?

Sie machte sich bemerkbar. Nach einer Weile erschien Blaustiel. Sein Skrod war von den Zierstreifen gesäubert, und im Raum hinter ihm herrschte Durcheinander. Er winkte sie mit knappen Rucken seiner Wedel herein.

»Meine Dame.«

»Blaustiel.« Sie nickte ihm zu. Die Hälfte der Zeit verfluchte sie sich, dass sie den Skrodfahrern traute, und die andere Hälfte war sie zu Tode betrübt, dass sie sie allein gelassen hatte. »W-wie geht es Grünmuschel?«

Zu ihrer Überraschung deutete Blaustiel mit einer kurzen Bewegung seiner Wedel ein Lächeln an. »Sie haben es erraten? Es ist der erste Tag mit ihrem neuen Skrod… Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«

Er schlängelte sich um Vorrichtungen herum, die auf einem Haltegitter quer durch den Raum verstreut waren. Es ähnelte der Werkstattausrüstung, die Pham benutzt hatte, um seine Rüstung mit Antrieb zu bauen. Und wenn Pham es gesehen hätte, hätte er womöglich alle Selbstbeherrschung verloren.

»Ich habe jede Minute daran gearbeitet, seit… Pham uns hier eingesperrt hat.«

Grünmuschel befand sich im anderen Zimmer. Ihr Stiel und die Wedel ragten aus einem silbrigen Topf hervor. Er hatte keine Räder. Er sah überhaupt nicht wie ein herkömmlicher Skrod aus. Blaustiel rollte über die Decke und streckte einen Wedel zu seiner Partnerin hinab. Er raschelte ihr etwas zu, und nach einer Weile antwortete sie.

»Der Ersatzskrod ist sehr beschränkt, ohne Beweglichkeit, ohne zusätzliche Energiequellen. Ich habe ihn von einem Modell für Mindere Skrodfahrer kopiert, einer simplen Konstruktion, die die Dirokime entworfen haben. Er ist nur dafür gedacht, an ein und derselben Stelle zu sitzen, ein und derselben Richtung zugewandt. Aber er stellt ihr ein Kurzzeitgedächtnis und Aufmerksamkeitsbündler zur Verfügung… Sie ist wieder bei mir.« Er machte sich bei ihr zu schaffen, einige seiner Wedel streichelten sie, andere zeigten auf das Gerät, das er für sie gebaut hatte. »Sie selbst war nicht schlimm verletzt. Manchmal frage ich mich — was Pham auch sagt, vielleicht brachte er es in letzter Sekunde nicht fertig, sie zu töten.«

Er sprach nervös, als habe er Angst vor dem, was Ravna sagen könnte.

»Die ersten paar Tage habe ich mir große Sorgen gemacht. Aber der Chirurg ist gut. Es hat ihr eine Menge Zeit verschafft, in starker Brandung zu stehen. Langsam zu denken. Seit sie diesen Ersatzskrod hat, übt sie die Gedächtnis-Kalesthenik und wiederholt, was der Chirurg oder ich ihr sagen. Mit dem Ersatzskrod kann sie eine neue Erinnerung fast fünfhundert Sekunden lang behalten. Das genügt ihrem natürlichen Verstand für gewöhnlich, einen Gedanken an das Langzeitgedächtnis zu übergeben.«

Ravna schwebte näher heran. Es gab ein paar neue Furchen in Grünmuschels Wedeln. Das waren wohl Narben, die allmählich verheilten. Ihre Sehflächen verfolgten Ravnas Annäherung. Die Skrodfahrerin wusste, dass sie da war; ihre ganze Haltung war freundlich.

»Kann sie Trisk sprechen, Blaustiel? Hast du einen Voder angeschlossen?«

»Was?« Surren. Er war vergesslich oder nervös, Ravna konnte nicht sagen, was von beidem. »Ja, ja. Einen Moment bitte… Es war bisher nicht nötig. Niemand wollte mit uns reden.« Er machte sich an einem Teil des selbstgebauten Skrods zu schaffen.

Nach einer Weile: »Hallo Ravna. Ich… erkenne Sie.« Ihre Wedel raschelten im Rhythmus der Worte.

»Ich kenne dich auch. Wir… ich bin froh, dass du wieder bei uns bist.«

Die Voderstimme klang schwach — wehmütig? »Ja. Ich kann es schwer sagen. Ich will wirklich reden, aber ich bin nicht sicher… Ergibt es einen Sinn, was ich sage?«

Außerhalb von Grünmuschels Gesichtsfeld ließ Blaustiel eine lange Ranke vorzucken, eine Geste: Sag ja.

»Ja, ich verstehe dich, Grünmuschel.« Und Ravna beschloss, sich nie wieder über Grünmuschels Gedächtnislücken zu ärgern.

»Gut.« Ihre Wedel strafften sich, und sie sagte nichts weiter.

»Sehen Sie?«, ertönte Blaustiels Voderstimme. »Ich bin hoch erfreut. Sogar jetzt überträgt Grünmuschel dieses Gespräch ans Langzeitgedächtnis. Es geht vorläufig noch langsam, aber ich arbeite an der Verbesserung ihres Skrods. Ich bin sicher, dass ihre Langsamkeit größtenteils auf einen emotionalen Schock zurückzuführen ist.« Er strich weiter über Grünmuschels Wedel, doch sie sagte nichts mehr. Ravna fragte sich, wie hoch erfreut er wohl wirklich sein konnte.

Hinter den Skrodfahrern befand sich eine Anordnung von Bildschirmen, die jetzt auf die Sehgewohnheiten der Fahrer eingerichtet waren. »Ihr habt die Nachrichten verfolgt?«, fragte Ravna.

»Ja.«

»Ich… ich fühle mich so hilflos.« Ich fühle mich so dumm, euch das zu sagen.

Doch Blaustiel nahm es ihr nicht übel. Er schien für den Wechsel des Themas dankbar zu sein, wo die düsteren Aussichten in einiger Entfernung lagen. »Ja. Wir sind jetzt wahrlich berühmt. Drei Flotten machen Jagd auf uns. Ha ha.«