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»Weil ich nie berührt worden bin… Aber woher wollen Sie das wissen?« Sein Zorn war immer noch da, tief in Scham eingebettet, doch nun war es eine hoffnungslose Wut, die sich gegen etwas sehr Fernes richtete.

»Nein, Liebster, du bist nicht berührt worden. Ich wüsste es.«

»Ja, aber warum sollte Ravna dir glauben?«

Alles könnte Lüge sein, dachte Ravna,… aber ich glaube Grünmuschel. Ich glaube, dass wir vier die Einzigen im ganzen Jenseits sind, die der PEST schaden können. Wenn nur Pham das einsehen würde. Und das brachte sie auf das Thema zurück: »Du sagst, wir werden allmählich unseren Vorsprung einbüßen?«

Blaustiel winkte bestätigend. »Sobald wir noch ein wenig tiefer sind. In ein paar Wochen müssten sie uns eingeholt haben.«

Und dann würde es egal sein, wer pervertiert worden war und wer nicht. »Ich glaube, wir sollten ein bisschen mit Pham Nuwen plaudern.« Mit seinen Gottsplittern und überhaupt.

Vorher konnte sich Ravna nicht ausmalen, wie die Gegenüberstellung verlaufen würde. Es mochte durchaus sein — wenn er vollends den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hatte —, dass Pham versuchte, sie zu töten, wenn sie auf dem Steuerdeck erschienen. Wahrscheinlicher war, dass es zu Wutausbrüchen und Streit und Drohungen käme und alle wieder da wären, wo sie begonnen hatten.

Statt dessen… Es war beinahe der alte Pham, aus der Zeit vor Harmonische Ruhe. Er ließ sie das Steuerdeck betreten, er sagte nichts, als Ravna sich sorgsam zwischen ihn und die Skrodfahrer setzte. Er hörte ohne Unterbrechung aufmerksam zu, als Ravna darlegte, was Grünmuschel gesagt hatte. »Diese beiden sind ungefährlich, Pham. Und ohne ihre Hilfe schaffen wir es nie bis zum Grund.«

Er nickte und schaute beiseite auf die Bildschirme. Manche zeigten den natürlichen Sternenhimmel; die meisten gaben Ultraspuren wieder, die immer noch am besten geeignet waren, sich ein Bild von den auf die ADR zukommenden Feinden zu machen. Sein ruhiger Gesichtsausdruck wich für einen Moment, und der Pham, der sie liebte, schien verzweifelt dahinter hervorzustarren: »Und du glaubst das alles wirklich, Rav? Wie?« Dann war die Klappe wieder zu, sein Ausdruck distanziert und neutral. »Macht nichts. Eins stimmt sicherlich: Wenn wir nicht alle zusammenarbeiten, schaffen wir es nie bis zur Klauenwelt. Blaustiel, ich nehme dein Angebot an. Unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen arbeiten wir zusammen.« Bis ich euch gefahrlos beseitigen kann — Ravna spürte die ungesagten Worte hinter seinem nüchternen Ton. Die Konfrontation war aufgeschoben.

DREIUNDDREISSIG

Sie waren keine acht Wochen mehr von der Klauenwelt entfernt, sagten sowohl Pham als auch Blaustiel. Wenn die Zonenbedingungen stabil blieben. Wenn sie nicht in der Zwischenzeit überwältigt wurden.

Weniger als zwei Monate nach den sechs, die die Reise schon dauerte. Doch die Tage waren nicht wie vorher. Jeder einzelne war eine Herausforderung, eine Auseinandersetzung, die manchmal unter Höflichkeit verborgen blieb, manchmal in plötzlichen Todesdrohungen aufflammte — etwa, als Pham Blaustiels Werkstattausrüstung einzog.

Pham wohnte jetzt auf dem Steuerdeck; wenn er es verließ, war das Lukenschloss auf seine Person codiert. Er hatte alle anderen bevorrechtigten Zugänge zur Schiffsautomatik vernichtet — oder glaubte sie vernichtet zu haben. Er und Blaustiel arbeiteten fast ständig zusammen — aber nicht wie früher. Jeder Schritt war langsam, Blaustiel musste alles erklären und durfte nichts vorführen. Das waren die Momente, wo der Streit tödlicher Gewaltanwendung am nächsten kam, wenn Pham zwischen zwei Gefahren wählen musste. Denn jeden Tag waren die verfolgenden Flotten ein wenig näher: zwei Mörderbanden und die Reste von Sjandra Kei. Offensichtlich konnte die Flotte der Sicherheitsgesellschaft von Sjandra Kei zum Teil noch kämpfen und wollte Rache an der Allianz nehmen. Einmal schlug Ravna Pham vor, sie sollten Verbindung zur Sicherheitsgesellschaft aufnehmen und versuchen, sie zu einem Angriff auf die Pestflotte zu überreden. Pham schaute sie mit leerem Blick an. »Noch nicht, vielleicht überhaupt nicht«, sagte er und wandte sich ab. In gewisser Hinsicht war sie über seine Antwort erleichtert: Solch eine Schlacht würde auf Selbstmord hinauslaufen. Ravna wollte nicht, dass die letzten von ihren Leuten für sie starben.

Die ADR würde also vielleicht vor dem Feind bei der Klauenwelt eintreffen, doch mit welch geringer Zeitreserve! An manchen Tagen zog sich Ravna mit Tränen und voller Verzweiflung zurück. Was sie wieder aufrichtete, waren Jefri und Grünmuschel. Die beiden brauchten sie, und ein paar Wochen lang konnte sie ihnen noch helfen.

Herrn Stahls Verteidigungspläne kamen voran. Die Klauenwesen hatten sogar einigen Erfolg mit ihrem Breitbandradio. Stahl meldete, dass Holzschnitzerins Hauptkräfte nach Norden unterwegs waren; es gab mehr als einen Wettlauf mit der Zeit. Sie verbrachte viele Stunden in der Bibliothek der ADR und entwarf weitere Geschenke für Jefris Freunde. Manche — zum Beispiel Fernrohre — waren einfach, andere jedoch… Es war keine vergebliche Mühe. Selbst wenn die PEST gewann, ignorierte ihre Flotte vielleicht die Planetenbewohner und beschränkte sich darauf, die ADR zu vernichten und das GEGENMITTEL zurückzugewinnen.

Grünmuschels Zustand verbesserte sich langsam. Zuerst hatte Ravna Angst, sie könnte sich die Verbesserungen nur einbilden. Sie verbrachte einen Gutteil des Tages bei der Skrodfahrerin und versuchte, Fortschritte in ihren Reaktionen auszumachen. Grünmuschel war sehr ›weit weg‹ , fast wie ein Mensch mit Prothesen nach einem Schlaganfall. Das bei ihrem ersten Gespräch hervorgebrochene Entsetzen schien sie sogar zurückgeworfen zu haben. Vielleicht spiegelte sich in ihren neuerlichen Fortschritten nur Ravnas gewachsenes Einfühlungsvermögen, weil sie so oft bei ihr war. Blaustiel behauptete, es gäbe Fortschritte, doch er sagte es mit seiner üblichen starrsinnigen Beharrlichkeit. Zwei, drei Wochen, und es bestand kein Zweifel mehr: Etwas heilte an der Schnittstelle zwischen Fahrerin und Ersatzskrod. Grünmuschels Worte ergaben zusammenhängenden Sinn, vermittelten zusammenhängend wichtige Erinnerungen… Nun war ebenso oft sie es, die Ravna half. Grünmuschel sah Dinge, die Ravna entgangen waren: »Herr Pham ist nicht der Einzige, der vor uns Skrodfahrern Angst hat. Blaustiel fürchtet sich ebenfalls, und es zerreißt ihn. Er kann es nicht einmal mir eingestehen, doch er glaubt, dass wir möglicherweise unabhängig von unseren Skrods infiziert sind. Er wünscht sich verzweifelt, Pham vom Gegenteil zu überzeugen — und damit auch sich selbst.« Sie schwieg einen Moment lang, und einer ihrer Wedel strich über Ravnas Arm. Meeresgeräusche umgaben sie in der Kabine, doch die Schiffsautomatik konnte keine Wasserbrandung mehr erzeugen. »Tja. Wir müssen so tun, als ob hier eine Brandung wäre, liebe Ravna. Irgendwo wird es immer eine geben, egal, was mit Sjandra Kei geschehen ist, egal, was hier geschieht.«

Bei seiner Partnerin war Blaustiel sanft und herzlich, doch wenn er mit Ravna allein war, schimmerte sein Zorn durch: »Nein, nein, ich habe nichts gegen Herrn Phams Schiffsführung einzuwenden, zumindest jetzt nicht. Vielleicht könnten wir etwas weiter vorn liegen, wenn ich direkt das Steuer führen würde, aber die schnellsten Schiffe hinter uns würden trotzdem aufholen. Es sind die anderen Dinge, meine Dame. Sie wissen, wie unzuverlässig unsere Automatik hier unten ist. Pham fügt ihr noch mehr Schaden zu. Er hat die Sicherheitsroutinen mit seinen eigenen Programmen überschrieben. Er verwandelt die Lebenserhaltungs-Automatik des Schiffes in ein System von Fallen.«

Ravna hatte Anzeichen dafür bemerkt. Die Bereiche rings um das Steuerdeck der ADR und die Schiffswerkstatt ähnelten militärischen Kontrollpunkten. »Du kennst seine Ängste. Wenn das dazu beiträgt, dass er sich sicherer fühlt…«