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… Und sie betrachtete sich selbst verwundert. Nach so vielen Tagen bin ich ich selbst. Und ich bestimme. Schluss mit dem Abschlachten Unschuldiger. Wenn jemand sterben muss, dann Stahl und Flenser. Ihr Kopf folgte Stahls hin und her gehenden Gestalten, suchte sich das sprachgewandteste Glied heraus. Sie zog die Beine unter sich und machte sich bereit, ihm an die Kehle zu springen. Komm nur noch ein bisschen näher… und stirb.

Tyrathects letzter bewusster Augenblick dauerte wohl nicht länger als fünf Sekunden. Ihr Angriff auf den Flenser in ihr war eine Verzweiflungstat, die alles auf eine Karte setzte und sie ohne Reserven oder innere Abwehrkräfte ließ. Schon als sie sich spannte, um auf Stahl zu springen, spürte sie, wie ihre Seele zurück und hinab gezogen wurde und Flenser sich aus dem Dunkel erhob. Sie fühlte, wie die Beine des Gliedes sich verkrampften und versagten, wie der Erdboden gegen ihr Gesicht schlug…

… Und Flenser hatte wieder die Kontrolle. Der Angriff des Schwächlings war erstaunlich gewesen. Sie hatte sich wirklich gesorgt um diejenigen, die vernichtet werden sollten, sich so sehr gesorgt, dass sie sich selbst opfern wollte, wenn Flenser dabei umkäme. Und das war ihr Verhängnis gewesen. Selbstmord ist nie etwas, woran man Rudeldominanz knüpfen kann. Ihr Entschluss selbst hatte ihre Kontrolle über die Person im Hintergrund geschwächt — und Dem Meister seine Chance gegeben. Er hatte wieder die Führung und eine hervorragende Gelegenheit dazu. Tyrathects Überfall hatte sie wehrlos gemacht. Die innersten geistigen Barrieren um ihre drei Glieder waren plötzlich so dünn wie die Schale einer überreifen Frucht. Flenser zerfetzte die Trennschicht, hieb mit den Krallen auf das Fleisch ihres Geistes und verspritzte es über sein eigenes. Die drei, die ihr Kern gewesen waren, würden weiterleben, doch niemals mehr würden sie eine Seele haben, die von seiner getrennt war.

Flenser bei Stahl ließ sich zusammensacken, als sei er bewusstlos, während seine Krämpfe abklangen. Mochte Stahl denken, er sei unzurechnungsfähig. Das würde ihm Zeit geben, sich die vorteilhafteste Erklärung auszudenken.

Flenser bei Rangolith kam langsam auf die Beine, obwohl die Haltung seiner beiden Glieder immer noch Verwirrung ausdrückte. Flenser riss sich zusammen. Er brauchte hier nichts zu erklären, doch es wäre am besten, wenn Fernspäher keinen Seelenstreit argwöhnte. »Die Umhänge sind mächtige Werkzeuge, lieber Rangolith; manchmal ein bisschen zu mächtig.«

»Ja, mein Fürst.«

Flenser ließ ein Lächeln auf seine Züge treten. Einen Augenblick lang schwieg er und kostete aus, was er als Nächstes sagen würde. Nein, nichts deutete auf die Anwesenheit der Willensschwachen hin. Es war ihr letzter, bester Versuch gewesen, die Herrschaft an sich zu reißen — ihr letzter und größter Fehler. Flensers Lächeln breitete sich aus, bis zu den beiden bei Amdijefri hin. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass seit seiner Rückkehr auf die Verborgene Insel Johanna Olsndot die erste Person sein würde, deren Tötung er befahl. Johanna Olsndot würde also das erste Blut an drei von seinen Schnauzen sein.

»Es gibt noch einen Auftrag für Tonkelkopfler, Fernspäher. Eine Hinrichtung…« Während er die Einzelheiten mitteilte, breitete sich die Wärme einer wohlgetroffenen Entscheidung durch seine Glieder aus.

FÜNFUNDDREISSIG

Das einzige Gute an all dem Warten war die Chance gewesen, die es den Verwundeten bot. Nun, da Feilonius einen Weg hinter die Verteidigungslinien der Flenseristen gefunden hatte, konnten es alle kaum erwarten aufzubrechen, aber…

Johanna verbrachte den letzten Nachmittag im Feldlazarett. Das Lazarett war in grobe Vierecke unterteilt, jedes etwa sechs Meter lang und breit. In manchen von den Abteilungen standen zerlumpte Zelte — sie gehörten Verwundeten, die noch klug genug waren, für sich selbst zu sorgen. Andere waren von Seilabsperrungen umgeben, in jedem befand sich ein einzelnes Glied, das Überlebende eines vormals vollständigen Rudels. Die Solos hätten leicht über die Absperrungen springen können, doch die meisten schienen deren Zweck zu erkennen und blieben drin.

Johanna zog den Essenwagen durch das Gebiet und hielt erst bei einem Patienten, dann beim nächsten an. Der Wagen war etwas zu groß für sie und verfing sich manchmal in den Wurzeln, die am Waldboden wuchsen. Aber es war eine Arbeit, die sie besser als jedes Rudel zu tun vermochte, und es war schön, einen Weg zu finden, wie sie helfen konnte.

Im Wald rings um das Lazarett ertönten die Geräusche von Cherhogs, die angeschirrt wurden, die Rufe von Mannschaften, die die Kanonen sicherten und die Lagerausrüstung verstauten. Aus den Karten, die Feilonius bei der Versammlung gezeigt hatte, ging hervor, dass die beiden nächsten Tage anstrengend sein würden — doch dann würden sie die Höhe hinter nichtsahnenden Flenseristen gewonnen haben.

Sie hielt am ersten kleinen Zelt an. Das Dreisam darin hatte sie kommen hören, war jetzt draußen und lief in kleinen Kreisen um ihren Wagen. »Johanna! Johanna!«, sagte es mit ihrer eigenen Stimme. Das war alles, was von einem der untergeordneten Strategen Holzschnitzerins übrig geblieben war; einst hatte es ein wenig Samnorsk gesprochen. Das Rudel war ursprünglich zu sechst gewesen; drei waren von den Wölfen getötet worden. Übrig geblieben war der ›Sprecher‹ -Teil — etwa so klug wie ein Fünfjähriger, aber mit einem sonderbaren Wortschatz. »Danke für das Essen. Danke.« Es presste die Mäuler an sie. Sie streichelte die Köpfe, ehe sie in den Wagen langte und Schüsseln mit lauwarmem Eintopf hervorholte. Zwei von ihnen machten sich gleich darüber her, aber das dritte blieb noch eine Weile sitzen und schwatzte. »Ich höre, wir kämpfen bald.«

Du nicht mehr, aber: »Ja. Wir gehen das trockene Flussbett hinauf, ein Stück weiter östlich.«

»Oh, oh«, sagte es. »Oh, oh. Das ist schlecht. Schlecht sehen, keine Kontrolle, Angst vor Hinterhalt.« Anscheinend hatte das Fragment einige Erinnerungen an seine Arbeit als Taktiker. Aber Johanna konnte nicht Feilonius’ Argumente erklären. »Mach dir keine Sorgen, es wird gut gehen.«

»Du sicher? Du versprichst?«

Johanna lächelte die Überbleibsel des ziemlich netten Kerls sanft an. »Ja. Ich verspreche es.«

»Ah-ah-ah… Gut.« Nun hatten alle drei ihre Schnauzen in den Schüsseln. Das war wirklich einer von denen, die noch Glück gehabt hatten. Das Dreisam zeigte eine Menge Interesse an dem, was ringsum vorging. Und — fast ebenso wichtig — es verfügte über eine kindliche Begeisterung. Pilger hatte gesagt, solche Fragmente könnten leicht wieder vollwertige Rudel werden, wenn man sie lange genug richtig behandelte, dass sie ein, zwei Welpen bekommen konnten.

Sie schob den Wagen ein paar Meter weiter, zu dem Seilquadrat, das als symbolisches Gehege für ein Solo diente. Es lag ein schwacher Kotgeruch in der Luft. Manche von den Solos und Duos waren nicht stubenrein; außerdem befanden sich die Lageraborte hundert Meter entfernt.

»Hier, Schwarzer. Schwarzer?« Johanna schlug mit einer leeren Schüssel gegen die Seite ihren Wagens. Ein einzelner Kopf erhob sich hinter ein paar Wurzelbüschen; manchmal zeigte dieses eine nicht einmal so viel Reaktion. Johanna kniete sich hin, sodass ihre Augen nicht viel höher als das Glied mit dem schwarzen Gesicht waren. »Schwarzer?«

Das Geschöpf arbeitete sich hinter dem Gebüsch hervor und kam langsam näher. Das war alles, was von einem der Kanoniere Scrupilos übrig war. Sie erinnerte sich dunkel an das Rudel, ein stattliches Sechssam, alle Glieder groß und flink. Doch jetzt war nicht einmal ›Schwarzer‹ heiclass="underline" Eine fallende Kanone hatte ihm die Hinterbeine zerschmettert. Er zog sein beinloses Hinterteil auf einem kleinen Wagen mit dreißig Zentimeter großen Rädern einher — eine Art Skrodfahrer mit Vorderbeinen. Sie schob eine Schüssel mit Eintopf zu ihm hin und machte die Geräusche, die Pilger ihr beigebracht hatte. Schwarzer hatte die letzten drei Tage die Nahrung verweigert, doch heute rollte und lief er nahe genug heran, dass sie ihm den Kopf streicheln konnte. Nach einer Weile senkte er die Schnauze zu dem Eintopf herab.