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Johanna grinste, angenehm überrascht. Dieses Lazarett war ein seltsamer Ort. Vor einem Jahr hätte es sie in Angst und Schrecken versetzt; selbst jetzt sah sie die Verletzten nicht aus der richtigen Rudelperspektive. Während sie weiter den gesenkten Kopf des Schwarzen streichelte, schaute Johanna über den Waldboden hinüber zu den rohen Zelten, den Patienten und Teilen von Patienten. Es war wirklich ein Lazarett. Die Ärzte versuchten tatsächlich, Leben zu retten, obwohl die ärztliche Kunst ein grauenhafter Vorgang war, bei dem ohne Betäubung geschnitten und geschient wurde. In dieser Beziehung war es durchaus der menschlichen Medizin im Mittelalter vergleichbar, wie Johanna sie im Datio gesehen hatte. Doch mit den Klauenwesen war es noch anders. Die Ärzte waren am Wohlergehen von Rudeln interessiert. Für sie waren Solos Einzelteile, Organe, die vielleicht von Nutzen sein mochten, um größere Fragmente wieder zum Funktionieren zu bringen, wenigstens zeitweise. Verletzte Solos standen auf dem allerletzten Platz in der medizinischen Rangliste. »In solchen Fällen ist nicht mehr viel zu retten«, hatte ihr einer der Ärzte durch Pilger gesagt. »Und selbst wenn es möglich wäre — würdest du ein verkrüppeltes, unsicher eingebundenes Glied in deinem Ich haben wollen?« Der Bursche war zu erschöpft gewesen, um die Absurdität seiner Frage zu erfassen. Seine Schnauzen hatten vor Blut getrieft, er hatte stundenlang gearbeitet, um verwundete Glieder ganzer Rudel zu retten.

Außerdem hörten die meisten verwundeten Solos einfach auf zu essen und starben in weniger als einem Zehntag. Selbst nachdem sie ein Jahr bei den Klauenwesen verbracht hatte, konnte sich Johanna nicht recht damit abfinden. Jedes Solo erinnerte sie an den lieben Schreiber; sie wünschte ihnen bessere Chancen, als dessen letztes Überbleibsel gehabt hatte. Sie hatte den Essenwagen übernommen und verbrachte mit den verletzten Solos ebenso viel Zeit wie mit jedem anderen Patienten. Es hatte gute Ergebnisse gezeitigt. Sie konnte sich jedem Patienten nähern, ohne dass es zu Denk-Intereferenzen kam. Ihre Hilfe gab den Züchtern mehr Zeit, die Fragmente und Solos zu studieren und zu versuchen, funktionsfähige Rudel aus den Trümmern zusammenzustellen.

Und jetzt würde dieses eine vielleicht nicht verhungern. Sie würde es Pilger sagen. Er hatte bei einigen der anderen Neuzusammenstellungen Wunder vollbracht und schien das einzige Rudel zu sein, das ihre Gefühle für verletzte Solos in gewissem Grade teilte. »Wenn sie nicht verhungern, bedeutet das oft Geistesstärke. Selbst als Krüppel könnten sie für ein Rudel von Vorteil sein«, hatte er zu ihr gesagt. »Ich bin auf meinen Reisen oft verkrüppelt gewesen; man kann es sich nicht immer aussuchen, wenn man auf drei geschrumpft und tausend Meilen weit von daheim in einem unbekannten Land ist.«

Johanna stellte eine Schüssel mit Wasser neben den Eintopf. Nach einer Weile drehte sich das verkrüppelte Glied auf seinen Rädern um und nahm ein paar kleine Schlucke. »Halte durch, Schwarzer, wir werden jemanden finden, der du sein kannst.«

Tschitirattu war da, wo er sein sollte, und schritt seinen Postenbereich exakt so ab, wie es sich gehörte. Nichtsdestoweniger fühlte er nervöse Anspannung. Mit mindestens einem Kopf betrachtete er unablässig das Pfahlwesen, den Zweibeiner. Auch daran war nichts Verdächtiges. Er sollte hier Wache stehen, und das bedeutete, alle Richtungen im Auge zu behalten. Er schob seine Armbrust nervös aus den Kiefern in die Tragetasche und wieder in die Kiefer. Nur noch ein paar Minuten…

Tschitirattu umrundete abermals das Lazarett. Es war ein leichter Dienst. Obwohl dieser Waldstreifen verschont geblieben war, hatten die Trockenwind-Brände die größeren Wildtiere stromabwärts getrieben. So nahe am Fluss war der Boden mit Weichsträuchern bewachsen, und es war kaum ein Dorn zu finden. Das Lazarett zu umschreiten war wie ein Spaziergang auf der Holzschnitzerwiese im Süden. Ein paar hundert Ellen weiter östlich gab es schwerere Arbeit — die Wagen und Vorräte für den Aufstieg fertig zu machen.

Die Fragmente wussten, dass etwas vorging. Hier und da ragten Köpfe von Pritschen und Erdgruben empor. Sie sahen zu, wie die Wagen beladen wurden, hörten die vertrauten Stimmen von Freunden. Die dümmsten fühlten sich zum Dienst gerufen; er hatte drei am Körper gesunde Solos ins Lazarett zurückgetrieben. Solche Schwachköpfe konnten sowieso nicht von Nutzen sein. Wenn die Armee den Margrum-Steig hinanmarschierte, würde das Lazarett zurückbleiben. Tschitirattu wünschte, er könnte das auch. Er arbeitete schon lange genug für den Boss, um zu ahnen, wo seine Befehle letzten Endes herkamen; Tschitirattu vermutete, dass nicht viele vom Margrum-Steig zurückkehren würden.

Er richtete drei Augenpaare auf das Pfahlwesen. Dieser letzte Auftrag war die riskanteste Sache, an der er je beteiligt war. Wenn es klappte, könnte er einfach verlangen, dass ihn der Boss beim Lazarett zurückließ. Sei bloß vorsichtig, alter Junge. Feilonius hatte es nicht so weit gebracht, indem er Sachen unerledigt ließ. Tschitirattu hatte gesehen, was dem Ostler widerfahren war, der ein bisschen zu tief in den Angelegenheiten des Bosses herumgeschnüffelt hatte.

Verdammt, war der Mensch langsam! Schon seit fünf Minuten grunzte sie auf dieses eine Solo ein. Man könnte meinen, dass sie mit all diesen Fragmenten Sex trieb, bei all der Zeit, die sie mit ihnen verbrachte. Gut, sie würde schon bald für ihre Vertraulichkeit bezahlen. Er spannte seine Armbrust, überlegte es sich dann aber anders. Unfall, Unfall. Es musste ganz wie ein Unfall aussehen.

Aha. Der Zweibeiner sammelte die Schüsseln ein und lud sie auf den Essenwagen. Tschitirattu eilte unauffällig um das Lazarett zu der Stelle, wo ihn das Duo Krazi sehen konnte — das Fragment, das die eigentliche Tötung erledigen würde.

Krazinissinari war ein Infanteriesoldat gewesen, ehe er seine Nissinari-Teile eingebüßt hatte. Er hatte keine Verbindung zum Boss oder zum Sicherheitsdienst gehabt. Aber er war ein verrücktes Biest gewesen, ein Rudel, das sich immer am Rande der Gefechtswut befunden hatte. Wenn man bis auf zwei Glieder getötet wurde, so hatte das für gewöhnlich mäßigende Wirkung. In diesem Fall — nun, der Boss behauptete, Krazi sei speziell präpariert worden, eine Falle, die jederzeit zum Zuschnappen gebracht werden konnte. Tschitirattu brauchte weiter nichts zu tun, als das Signal zu geben, und das Duo würde das Pfahlwesen zerreißen. Eine große Tragödie. Natürlich würde Tschitirattu zur Stelle sein, der wachsame Posten am Lazarett. Er würde Krazi schnell Pfeile durch die Köpfe jagen — leider nicht schnell genug, um den Zweibeiner zu retten.

Der Mensch zog den Essenwagen unbeholfen um Wurzelbüsche herum zu Krazi, dem nächsten Patienten. Das Duo kam aus seinem Erdloch und sprach schwachsinnige Begrüßungsworte, die nicht einmal Tschitirattu verstand. Doch es gab Untertöne, eine tödliche Wut, die dicht neben seiner freundlichen Haltung lag. Das Pfahlwesen merkte natürlich nichts. Sie hielt den Wagen an, begann Essen- und Wasserschüsseln zu füllen und grunzte dabei die ganze Zeit auf das Zweisam ein. Gleich würde sie sich herabbeugen, um das Essen auf den Boden zu stellen… Einen winzigen Augenblick lang erwog Tschitirattu, das Pfahlwesen selbst zu erschießen, wenn Krazi nicht sofort Erfolg hatte. Er konnte den Zweibeiner wirklich nicht leiden. Das Pfahlwesen war ein bedrohliches Geschöpf, sie war so groß und bewegte sich so sonderbar. Inzwischen wusste er, dass sie im Vergleich zu Rudeln verletzlich war, doch es war ein beängstigender Gedanke, dass ein einzelnes Tier so schlau wie dieses sein konnte. Er unterdrückte die Versuchung noch schneller, als er daran gedacht hatte. Wer wusste, welchen Preis er dafür zahlen müsste, selbst wenn sie ihm glaubten, dass sein Schuss ein Unfall war. Keine selbstlosen Taten heute, danke sehr; Krazis Kiefer und Krallen würden genügen müssen.