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»Ich glaube, sie ist in Ordnung, Scrupilo«, sagte Wickwracknarb. »Sie war gerade dabei, eins von den Duos zu füttern, und es drehte durch — griff sie an.«

Einer von den Ärzten ließ die Blicke über das Blutbad schweifen. Es lagen drei Leichen am Boden, und die Menge Blut sah nach weiteren aus. »Ich frage mich, womit sie sie provoziert hat.«

»Mit nichts, sage ich dir! Aber als sie fiel, hat sich das halbe Lazarett auf das da gestürzt.« Er deutete mit einer Nase auf die unkenntlichen Überreste.

Feilonius blickte Tschitirattu an und sah gleichzeitig Holzschnitzerin eintreffen. »Was hast du zu sagen, Soldat?«, fragte er. Vermassel es nicht, Tschitirattu.

»Es… es ist genauso, wie der Pilger sagt, mein Fürst. Ich habe nie so etwas gesehen.« Er klang wirklich richtig erstaunt über die ganze Sache.

Feilonius trat ein bisschen näher an den Pilger heran. »Wenn ich sie mir etwas genauer ansehen darf, Pilger?«

Wickwracknarb zögerte. Er hatte an dem Mädchen herumgeschnüffelt, nach Wunden gesucht, die sofort versorgt werden mussten. Dann nickte ihm das Mädchen schwach zu, und er zog sich zurück.

Feilonius kam näher, ganz ernst und besorgt. Innerlich raste er vor Wut. Er hatte niemals von so etwas gehört. Doch selbst wenn ihr das ganze verdammte Lazarett zu Hilfe gekommen war, müsste sie tot sein; das Krazi-Duo hätte ihr im Bruchteil einer Sekunde die Kehle durchbeißen können. Sein Plan war ihm narrensicher erschienen (und selbst jetzt würde der Misserfolg keinen dauerhaften Schaden tun), doch er fing eben erst an zu begreifen, was schiefgegangen war: Tagelang war der Mensch im Kontakt mit diesen Patienten gewesen, sogar mit Krazi. Kein Arztrudel konnte sich ihnen so nähern und sie berühren wie der Zweibeiner. Sogar manche ganzen Rudel spürten die Wirkung, für Fragmente musste sie überwältigend sein. Im Innersten ihrer Seele betrachteten die meisten Patienten die Fremde als einen Teil von sich selbst.

Er musterte den Zweibeiner von drei Seiten, wohl eingedenk, dass die Augen von fünfzig Rudeln jede seiner Bewegungen verfolgten. Sehr wenig von dem Blut stammte von dem Zweibeiner. Die Wunden an ihrem Hals und den Armen waren lang und flach, Spuren zielloser Hiebe. In letzter Minute hatte Krazis Konditionierung vor seiner Beziehung zu dem Menschen als einem Rudelglied versagt. Er erwog kurz, sie unter den ärztlichen Schutz des Sicherheitsdienstes zu stellen. Der Trick hatte bei Schreiber gut funktioniert, hier aber wäre es sehr riskant. Pilger war Nase an Nase bei Johanna gewesen, er würde Behauptungen über ›unerwartete Komplikationen‹ sehr misstrauisch aufnehmen. Nein. Sogar gute Pläne misslingen manchmal. Betrachte es als Lehre für die Zukunft. Er lächelte das Mädchen an und sagte in Samnorsk: »Du bist jetzt völlig sicher«, im Moment und zu meinem größten Bedauern. Der Kopf des Menschen wandte sich zur Seite und blickte in die Richtung von Tschitirattu.

Scrupilo war die ganze Zeit über am Zaun auf und ab gegangen, so nahe bei Tschitirattu und Pilger, dass die beiden zurückweichen mussten. »Das passt mir nicht!«, sagte der Kanonier laut. »Unsere wichtigste Person derart angegriffen. Das riecht nach einer Aktion des Feindes!«

Wickwracknarb starrte ihn erstaunt an. »Aber wie?«

»Ich weiß nicht!«, rief Scrupilo verzweifelt aus. »Aber sie braucht Schutz genauso wie Pflege. Feilonius muss einen Ort finden, wo sie bleiben kann.«

Das Pilgerrudel war von dem Argument offensichtlich beeindruckt — und entmutigt. Er neigte einen Kopf zu Feilonius hin und sagte mit untypischer Ehrerbietung: »Was meint Ihr, Feilonius?«

Natürlich hatte Feilonius den Zweibeiner beobachtet. Es war interessant, wie wenig die Menschen den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit verheimlichen konnten. Johanna hatte Tschitirattu angestarrt, nun schaute sie zu Feilonius auf, und ihre unsteten engstehenden Augen wurden schmal. Feilonius hatte dieses Jahr den menschlichen Gesichtsausdruck systematisch studiert, sowohl an Johanna als auch an den Geschichten im Datio. Sie argwöhnte etwas. Und sie musste auch einen Teil von Scrupilos Worten verstanden haben. Sie bäumte sich auf und hob schwach eine Hand. Zum Glück für Feilonius kam ihr Schrei als Wispern heraus, das sogar er kaum hören konnte: »Nein… nicht wie Schreiber.«

Feilonius war ein Rudel, das an sorgfältige Planung glaubte. Er wusste auch, dass die besten Pläne den Umständen angepasst werden mussten. Er blickte auf Johanna herab und lächelte für die Zuschauer mit der sanftesten Sympathie. Es würde riskant sein, sie wie Schreibers Fragment zu töten, doch er sah nun, dass die anderen Möglichkeiten weitaus gefährlicher waren. Gott sei Dank saß Holzschnitzerin mit ihrem Hinkefuß auf der anderen Seite des Lagers fest. Er nickte Pilger zu und nahm sich zusammen. »Ich fürchte, Scrupilo hat Recht. Ich weiß zwar nicht, wie sie es angestellt haben könnten, aber wir dürfen kein Risiko eingehen. Ich werde Johanna in meinen Bau mitnehmen. Sagt es der Königin.« Er zog Umhänge von seinen Rücken und begann das Mädchen sanft für ihre letzte Reise einzuwickeln. Nur ihre Augen protestierten.

Johanna trieb in die Bewusstlosigkeit und wieder daraus hervor, entsetzt über ihr Unvermögen, ihre Ängste herauszuschreien. Ihre lautesten Rufe waren weniger als Wispern. Ihre Arme und Beine reagierten mit wenig mehr als Zuckungen, und selbst die verloren sich in Feilonius’ Umschnürung. Gehirnerschütterung vielleicht, oder etwas Ähnliches — die Erklärung kam aus einer absurd vernünftigen Ecke ihres Verstandes. Alles erschien ihr so fern, so dunkel…

Johanna erwachte in ihrer Hütte in Holzschnitzerheim. Was für ein schrecklicher Traum! Dass sie so zerschnitten worden sei, außerstande, sich zu bewegen, und dann Feilonius für einen Verräter zu halten. Sie versuchte sich in eine sitzende Haltung aufzurichten, doch nichts regte sich. Die verdammten Laken haben sich ganz um mich herumgewickelt Sie lag eine Sekunde lang still, noch immer schwer von dem Traum desorientiert. »Holzschnitzerin?«, versuchte sie zu sagen, doch nur ein leises Stöhnen kam heraus. Ein Glied bewegte sich sacht um die Feuergrube. Der Raum war nur schwach beleuchtet, und etwas stimmte nicht damit. Es gab einen Augenblick verwunderter Mattigkeit, als sie versuchte, die Anordnung der dunklen Wände zu begreifen. Komisch. Die Decke war schrecklich niedrig. Alles roch nach rohem Fleisch. Die Seite ihres Gesichts tat weh, und sie schmeckte Blut auf den Lippen. Sie war nicht in Holzschnitzerheim, und dieser fürchterliche Traum war…

Drei Köpfe eines Klauenwesens schoben sich als Silhouetten ins Blickfeld. Einer kam näher, und im trüben Licht erkannte sie das Muster von Weiß und Schwarz auf seinem Gesicht. Feilonius.

»Gut«, sagte er. »Du bist wach.«

»Wo bin ich?« Die Worte kamen verzerrt und schwach heraus. Das Entsetzen war wieder da.

»Die verlassene Bauernhütte am Ostende des Lagers. Ich habe sie übernommen. Als Sicherheitsbau, weißt du.« Sein Samnorsk war ruhig und geläufig, gesprochen in einer der typischen Datio-Stimmen. Eines von seinen Mäulern hielt einen Dolch, die Klinge ein Schimmer im Dämmerlicht.

Johanna wand sich in den fest verschnürten Umhängen und schrie fast lautlos. Etwas stimmte nicht mit ihr, es war, als schriee sie ohne Luft in den Lungen.

Eins von Feilonius schritt das Obergeschoss der Hütte ab. Tageslicht glitt über seine Schnauze, als es erst durch einen, dann durch den anderen von den schmalen Schlitzen spähte, die in die Bretter geschnitten waren. »Ah, es ist gut, dass du dich nicht verstellst. Ich habe gesehen, dass du etwas ahnst von meinem… zweiten Beruf. Meinem Steckenpferd. Aber Schreien — sogar laut — würde dir nichts nützen. Wir haben nur wenig Zeit für eine Plauderei. Ich bin sicher, dass die Königin bald zu Besuch kommt…, und ich werde dich töten, kurz bevor sie eintrifft. Wie traurig. Deine verborgenen Wunden haben sich leider als schwer erwiesen…«