Der Welpe kroch unter dem Tisch hervor, wobei er den Blick nie von Jefris Hand abwandte. Die Faszination war beiderseits, der Welpe war schön. Wenn man bedachte, seit wie viel Jahrtausenden Hunde von Menschen (und anderen) gezüchtet werden, konnte dies eine besonders ausgefallene Rasse sein — aber nur beinahe. Das Haar war kurz und dicht, ein tiefer Samt von Schwarz und Weiß. Die beiden Farben waren in großen Flecken ohne Grautöne dazwischen angeordnet. Bei diesem hier war der ganze Kopf schwarz, die Hüftpartie in Weiß und Schwarz gespalten. Der Schwanz war ein kurzer, unscheinbarer Lappen, der sein Hinterteil bedeckte. Es gab haarlose Stellen an den Schultern und am Kopf, wo Jefri schwarze Haut erkennen konnte. Doch am seltsamsten war der lange, geschmeidige Hals. Er hätte eher zu einem Seesäuger gepasst als zu einem Hund.
Jefri wackelte mit den Fingern, und die Augen des Welpen wurden groß und ließen einen Rand von Weiß um die Iris erkennen.
Etwas stieß gegen seinen Ellbogen, und Jefri wäre beinahe aufgesprungen. So viele! Noch zwei waren hervorgekrochen, um sich seine Hand anzuschauen. Und wo er den Ersten gesehen hatte, waren es jetzt drei, die wachsam dasaßen und ihn beobachteten. Wenn man sie so sah, hatten sie nichts Unfreundliches oder Furchteinflößendes an sich.
Einer der Welpen legte Jefri eine Pfote aufs Handgelenk und zog es sanft herab. Gleichzeitig streckte ein anderer die Schnauze aus und leckte Jefri die Finger. Die Zunge war rosa und rau, ein rundes schmales Ding. Das hohe Winseln wurde lauter, alle drei kamen herbei und grapschten mit ihren Mäulern nach seiner Hand.
»Seht euch vor!«, sagte Jefri und zog die Hand zurück. Er erinnerte sich an die Zähne der Erwachsenen. Mit einem Mal war die Luft von Kollern und Surren erfüllt. Hm. Sie klangen eher wie närrische Vögel als wie Hunde. Einer von den anderen Welpen kam vor. Er streckte Jefri eine glatte Nase entgegen. »Seht euch vor!«, sagte er, die Stimme des Jungen perfekt wiedergebend — doch sein Maul war geschlossen. Er legte den Kopf zurück…, um gestreichelt zu werden? Jefri streckte die Hand aus, das Fell war so weich! Das Surren war jetzt sehr laut. Jefri konnte es durch das Fell spüren. Aber es war nicht nur das eine Tier, das es erzeugte, der Klang kam von allen Seiten. Der Welpe drehte den Spieß um und ließ seine Schnauze über die Hand des Jungen gleiten. Diesmal erlaubte er, dass sich das Maul um seine Finger schloss. Zwar konnte er Zähne sehen, doch der Welpe gab sich Mühe, Jefris Haut damit nicht zu berühren. Der Druck seiner Schnauze fühlte sich wie ein Paar kleiner Finger an, die sich um die seinen schlossen und öffneten.
Drei schlüpften unter seinen Arm, als wollten sie auch gestreichelt werden. Er fühlte, wie Nasen gegen seinen Rücken drückten und versuchten, das Hemd aus seiner Hose zu ziehen. Das Vorgehen war bemerkenswert gut abgestimmt, fast, als ob ein Mensch mit zwei Händen sein Hemd ergriffen hätte. Wie viele sind das denn nur? Für einen Augenblick vergaß er, wo er war. Er drehte sich um und begann die Räuber zu streicheln. Ein überraschtes Quietschen kam aus allen Richtungen. Zwei krochen unter seine Ellbogen, mindestens drei sprangen auf seinen Rücken und blieben mit ihren Nasen an seinem Hals und seinen Ohren liegen.
Und da schien Jefri eine Erleuchtung zu haben. Die erwachsenen Fremden hatten erkannt, dass er ein Kind war, sie wussten nur nicht, wie alt. Sie hatten ihn in einen ihrer eigenen Kindergärten gebracht! Mutti und Vati waren wahrscheinlich gerade dabei, mit ihnen zu reden. Alles schien doch noch ins Lot zu kommen.
Fürst Stahl hatte seinen Namen nicht von ungefähr gewählt: Stahl, das modernste der Metalle, das die schärfste Schneide erlangt und sie niemals verliert, Stahl, der rot glühen und dennoch nicht versagen kann, Stahl, die Klinge, die für den Flenser schneidet. Stahl war eine komponierte Persönlichkeit, Flensers größter Erfolg.
In gewissen Sinne war die Komposition von Seelen nichts Neues. Zuchtwahl war eine beschränkte Form davon, wenngleich in der Hauptsache auf allgemeine physische Merkmale ausgerichtet. Selbst Züchter gaben zu, dass zu den geistigen Fähigkeiten eines Rudels die einzelnen Glieder in unterschiedlichem Maße beitrugen. Ein Paar oder Triplett war fast immer für Beredsamkeit verantwortlich, ein anderes für räumliche Intuition. Die Tugenden und Laster waren sogar noch komplexer. Kein einzelnes Glied war der Urquell von Mut oder Gewissen.
Flensers Beitrag zu diesem Gebiet — wie zu den meisten anderen — war eine grundlegende Skrupellosigkeit gewesen, das Wegschneiden von allem, was nicht wirklich wichtig war. Wie man einen Wal flenst, in langen Streifen Haut und Fleisch ablöst, so flenste er Seelen. Er hatte endlos lange experimentiert und alle Ergebnisse außer den erfolgreichsten verworfen. Er stützte sich auf Disziplin und Entzug und teilweisen Tod ebenso sehr wie auf die kluge Auswahl der Glieder. Er hatte schon siebzig Jahre Erfahrung, als er Stahl schuf.
Bevor er seinen Namen annehmen konnte, hatte Stahl Jahre im Entzug verbracht, während er feststellte, welche Teile von ihm zusammen das gewünschte Wesen ergaben. Das wäre ohne Flensers Verstärkung unmöglich gewesen. (Ein Beispieclass="underline" Wenn man einen Teil seiner selbst verwarf, der wesentlich zur Hartnäckigkeit beitrug, wo nahm man dann den Willen her, das Flensen fortzusetzen?) Für die betroffene Seele bedeutete der Schöpfungsprozess geistiges Chaos, ein Flickwerk von Grauen und Gedächtnisverlust. In zwei Jahren hatte er mehr Veränderung erfahren, als die meisten Leute in zwei Jahrhunderten — und zwar durchweg zielgerichtete Veränderung. Der Wendepunkt kam, als er und Flenser das Trio identifizierten, das ihn sowohl mit Gewissen als auch mit Langsamkeit des Intellekts belastete. Einer von den dreien war das Bindeglied zwischen den anderen. Dieses Glied ins Nichts zu schicken und es mit dem genau richtigen Element zu ersetzen, hatte den Unterschied ausgemacht. Danach war der Rest einfach, Stahl war geboren.
Als Flenser aufgebrochen war, um die Langseen-Republik zu bekehren, war es nur natürlich, dass seine brillanteste Schöpfung hier die Macht übernahm. Fünf Jahre lang hatte Stahl Flensers Kernland regiert. In dieser Zeit hatte er das von Flenser Aufgebaute nicht nur bewahrt, sondern es über seine vorsichtigen Anfänge hinaus ausgedehnt.
Doch heute, während eines einzigen Umlaufs der Sonne über der Verborgenen Insel, konnte er alles verlieren.
Stahl trat in den Versammlungssaal und sah sich um. Die Umbauten waren richtig angeordnet. Sonnenlicht strömte von einem Schlitz in der Decke auf genau die Stelle, wo er es wollte. Ein Teil von Sreck, seinem Gehilfen, stand an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Er sagte zu ihm: »Ich werde mit dem Besucher allein sprechen.« Er vermied den Namen ›Flenser‹ . Das Weißjack wich zurück, und seine unsichtbaren Glieder stießen die Türen auf seiner Seite auf.
Ein Fünfsam — drei Männchen und zwei Weibchen — trat durch die Tür in den Flecken Sonnenlicht. Die Person war nicht weiter bemerkenswert. Aber Flenser war nie von beeindruckendem Äußeren gewesen.
Zwei Köpfe erhoben sich, um die Augen der anderen abzuschirmen. Das Rudel blickte quer durch den Raum und bemerkte Fürst Stahl in zwanzig Ellen Entfernung. »Ahh… Stahl.« Die Stimme war sanft, wie ein Skalpell, das einem die kurzen Haare an der Kehle streichelt.
Stahl hatte sich verneigt, als der andere eintrat, eine formelle Geste. Die Stimme ließ seine Eingeweide sich plötzlich zusammenkrampfen, und er brachte unwillkürlich die Bäuche an den Boden. Das war seine Stimme! Es gab mindestens ein Fragment des ursprünglichen Flensers in diesem Rudel. Die goldenen und silbernen Epauletten, die persönliche Standarte — das konnte jeder fälschen, der tollkühn genug war… Aber Stahl erinnerte sich an die Art. Es wunderte ihn nicht, dass die Anwesenheit des anderen an diesem Morgen die Disziplin aus dem Festland über den Haufen geworfen hatte.