Die Köpfe des Rudels, die sich im Sonnenlicht befanden, waren ausdruckslos. Glitt ein Lächeln über die Köpfe im Schatten? »Wo sind die anderen, Stahl? Was sich heute ereignet hat, ist die größte Chance in unserer Geschichte.«
Stahl erhob sich wieder und blieb am Geländer stehen. »Herr. Da sind zuerst ein paar Fragen, nur zwischen uns beiden. Zweifellos, Ihr seid viel vom Flenser, aber wie viel…«
Der andere grinste jetzt offensichtlich, und die Köpfe im Schatten wippten. »Ja, ich wusste, dass meine beste Schöpfung diese Frage sehen würde… Heute morgen habe ich behauptet, der wahre Flenser zu sein, mit ein oder zwei Ersatzgliedern verbessert. Die Wahrheit ist… härter. Du weißt, was in der Republik geschehen ist.« Das war Flensers größter Einsatz gewesen: einen ganzen Nationalstaat zu flensen. Millionen würden sterben, und dennoch würde es mehr Umgruppierungen als Tötungen geben. Am Ende würde das erste Großkollektiv außerhalb der Tropen stehen. Und der Flenser-Staat würde keine geistlose Zusammenballung sein, die irgendwo im Dschungel herumwühlte. Die Spitze würde so brillant, so skrupellos wie nur irgend ein Rudel in der Geschichte sein. Kein Volk der Welt konnte solch einer Kraft widerstehen.
»Es war ein gewaltiges Risiko für einen noch gewaltigeren Zweck. Aber ich habe Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wir hatten Tausende von Bekehrten, viele davon ohne Verständnis für unsere wahren Ziele, aber gläubig und aufopferungsvoll — wie es sich gehört. Ich behielt immer eine besondere Gruppe von ihnen in meiner Nähe. Die Politische Polizei war schlau, Meutenmord gegen mich zu verwenden, das Letzte, was ich erwartet hätte — ich, der ich die Meuten geschaffen habe. Egal, meine Leibwächter waren gut ausgebildet. Als wir in der Parlaments-Senke in der Falle saßen, töteten sie ein oder zwei Glieder aus jedem von diesen besonderen Rudeln — und ich hörte einfach auf zu existieren, aufgeteilt auf drei gewöhnliche Leute in Panik, die versuchten, aus dem Blutbad zu entkommen.«
»Aber jeder rings um Euch wurde getötet, die Meute ließ niemanden übrig.«
Das Flenser-Wesen zuckte mit den Schultern. »Das war zum Teil republikanische Propaganda und zum Teil mein eigenes Werk: Ich hatte meinen Wachen befohlen, einander niederzuhacken, zusammen mit jedem, der nicht ich war.«
Stahl hätte seine Ehrfurcht beinahe laut werden lassen. Der Plan war typisch für Flensers Brillanz und für seine Seelenstärke. Bei Mordanschlägen bestand immer eine Möglichkeit, dass Fragmente entkamen. Es gab berühmte Geschichten von Helden, die sich wieder zu einem Ganzen zusammengefunden hatten. Im wirklichen Leben kamen derlei Dinge selten vor, in der Regel, wenn die Streitkräfte des Opfers ihren Führer während der Reintegration zusammenhalten konnten. Aber Flenser hatte diese Taktik von Anfang an geplant, hatte ins Auge gefasst, sich selbst mehr als tausend Meilen von den Langen Seen entfernt zusammenzufügen.
Dennoch… Fürst Stahl betrachtete den anderen abschätzend. Vergiss Stimme und Art. Denke an die Macht, nicht zum Nutzen anderer, nicht einmal Flensers. Stahl erkannte nur zwei in dem anderen Rudel wieder. Die Weibchen und das Männchen mit den weißen Ohrenspitzen stammten wahrscheinlich von dem geopferten Anhänger. Alles sprach dafür, dass nur zwei von Flenser ihm gegenüberstanden, schwerlich eine Bedrohung — außer in dem sehr realen Sinn, dass weitere auftauchten. »Und die anderen vier von Euch, Herr? Wann können wir Eure vollständige Anwesenheit erwarten?«
Das Flenser-Wesen lachte leise. So beschädigt es war, verstand es doch das Gleichgewicht der Macht. Es war fast wie in alten Zeiten: Wenn zwei Leute ein klares Verständnis für Macht und Verrat haben, wird Verrat selbst fast unmöglich. Es gibt nur den geordneten Ablauf der Ereignisse, der jenen Gutes bringt, die zu herrschen verdienen. »Die anderen haben ebenso gute… Transportmittel. Ich habe ausführliche Pläne gemacht, drei verschiedene Wege, drei verschiedene Netze von Agenten. Ich bin sicher angelangt. Kein Zweifel, dass es die anderen auch schaffen werden, in ein paar Zehntagen spätestens. Bis dahin« — er wandte Stahl alle Köpfe zu —, »bis dahin, lieber Stahl, beanspruche ich nicht die Rolle des vollständigen Flenser. Ich habe das zunächst getan, um Prioritäten zu setzen, um dieses Fragment zu schützen, bis ich beisammen bin. Aber dieses Rudel ist aus gutem Grund willensschwach geplant worden; ich weiß, dass es als Herrscher über meine früheren Schöpfungen nicht bestehen könnte.«
Stahl wunderte sich. Obwohl das Geschöpf nur über halben Verstand verfügte, waren seine Pläne perfekt. Beinahe perfekt. »Ihr wünscht also, für die nächsten Zehntage im Hintergrund zu bleiben? Sehr wohl. Aber Ihr habt Euch als Flenser angekündigt. Wie soll ich Euch präsentieren?«
Sein Gegenüber zögerte nicht. »Tyrathect, Flenser im Wartestand.«
CRYPTO: 0
EMPFANGEN VON: Transceiver Relais03 bei Relais
SPRACHPFAD: Samnorsk -› Triskweline, SjK:Relais-Einheiten
VON: Straumli Haupt
GEGENSTAND: Archiv im Unteren Transzens eröffnet!
ZUSAMMENFASSUNG: Unsere Verbindungen zum Bekannten Netz werden zeitweise unterbrochen sein
SCHLAGWÖRTER: Transzens, gute Neuigkeiten, Geschäftsmöglichkeiten, neues Archiv, Kommunikationsprobleme
VERTEILER:
Interessengruppe »Wo sind sie jetzt«
Interessengruppe Homo sapiens
Verwaltungsgruppe Motley-Luke
Transceiver Relais03 bei Relais
Transceiver Windsang bei Debley Tief
Transceiver Nicht-mehr-lange bei Stippvisite
DATUM: 11:45:20 Dockzeit, 1.9. im Org-Jahr 52.089
TEXT DER BOTSCHAFT:
Wir können mit Stolz mitteilen, dass eine Forschungsgruppe von Menschen aus dem Straumli-Bereich ein zugängliches Archiv im Unteren Transzens entdeckt hat. Dies ist nicht die Ankündigung einer Transzendenz oder der Erschaffung einer neuen MACHT. Wir haben vielmehr diese Ankündigung verschoben, bis wir uns unserer Eigentumsrechte und der Sicherheit des Archivs gewiss wären. Wir haben Schnittstellen installiert, die das Archiv für Standardsyntax-Abfragen aus dem Netz interoperabel machen dürften. In wenigen Tagen wird dieser Zugang kommerziell verfügbar sein. (Siehe die Diskussion von Problemen der Zeitplanung weiter unten.) Seine Sicherheit, Verständlichkeit und sein Alter machen dieses Archiv bemerkenswert. Wir glauben, dass es hier ansonsten verlorene Informationen über Schiedsmanagement und zwischenartliche Koordination gibt. Wir werden den entsprechenden Nachrichtengruppen Einzelheiten zusenden. Wir sind davon sehr begeistert. Man beachte, dass keine Wechselwirkung mit den MÄCHTEN notwendig war, kein Teil des Straumli-Bereichs ist transzendiert.
Nun die schlechte Nachricht: Schieds- und Übersetzungsroutinen haben zu unglücklichen Clenirationen [?] bei der Gratweg-Armiphlage geführt. Die Einzelheiten dürften für die Leute in der Nachrichtengruppe Kommunikationsrisikos erbaulich sein, und wir werden sie ihnen später mitteilen. Aber mindestens für die nächsten hundert Stunden werden alle unsere (Haupt- und Neben-)Verbindungen zum Bekannten Netz unterbrochen sein. Einlaufende Nachrichten können evtl. gepuffert werden, aber ohne Garantie. Es können keine Nachrichten weitergegeben werden. Wir bedauern diese Unannehmlichkeit und werden sie sehr bald beheben!
Der physische Verkehr wird von diesen Problemen in keiner Weise beeinträchtigt. Der Straumli-Bereich ist weiterhin offen für Tourismus und Handel.
SECHS
Wenn sie zurückblickte, sah Ravna Bergsndot, wie unausweichlich sie hatte Bibliothekarin werden müssen. Als Kind auf den Welten von Sjandra Kei war sie in Geschichten aus dem Zeitalter der Fürstinnen verliebt gewesen. Da gab es richtige Abenteuer, eine Zeit, in der eine Handvoll tapfere Fürstinnen die Menschheit zur Größe getrieben hatte. Sie und ihre Schwester hatten zahllose Nachmittage damit verbracht, die Großen Zwei zu spielen und die Gräfin vom See zu befreien. Später begriffen sie, dass die Nyjora und ihre Fürstinnen im Nebel der Vergangenheit verschollen waren. Schwester Lynne wandte sich praktischeren Dingen zu. Doch Ravna verlangte es noch immer nach Abenteuern. Als Halbwüchsige hatte sie davon geträumt, in den Straumli-Bereich zu emigrieren. Das war etwas sehr Reales. Man stelle sich nur vor: eine neue und größtenteils menschliche Kolonie, direkt an der Obergrenze des Jenseits. Und Leute aus der Mutterwelt waren auf Straum willkommen; die Kolonie war noch keine hundert Jahre alt. Sie oder ihre Kinder würden als erste Menschen in der ganzen Galaxis ihr eigenes Menschsein transzendieren. Sie könnte ein Gott werden, und reicher als eine Million Jenseitswelten. Der Traum war real genug, um fortwährend ein Streitpunkt zwischen ihr und ihren Eltern zu sein. Denn wo ein Himmel ist, kann es auch eine Hölle geben. Der Straumli-Bereich lag nahe am Transzens, und die Leute dort spielten mit ›den Tigern, die jenseits der Gitterstäbe hin und her gehen‹ . Vater hatte dieses abgegriffene Bild tatsächlich benutzt. Der Streit entzweite sie für etliche Jahre. Dann, als sie ihre Kurse in Computerwissenschaft und Angewandter Theologie absolvierte, begann Ravna, etwas über manche von den alten Schrecknissen zu lesen. Vielleicht, vielleicht… sollte sie ein bisschen vorsichtiger sein. Sich lieber erst einmal umschauen. Und es gab einen Weg, in alles Einblick zu nehmen, was Menschen im Jenseits nur verstehen konnten: