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In den ersten Wochen ihrer Reise hatte sie angenommen, die Gottsplitter seien irgendwie übermenschlich. Statt dessen waren sie Stückwerk, eine Automatik, die in großer Panik geladen worden war. Vielleicht funktionierten sie richtig, vielleicht aber liefen sie auch Amok und zerrissen Pham mit ihren Irrtümern.

Der alte Zyklus von Furcht und Zweifel wurde plötzlich von weichem blauem Licht durchbrochen. Die Klauenwelt! Endlich ein wunderbar exakter Sprung, fast ebenso gut wie der Hammer vor fünf Stunden: In zwanzigtausend Kilometern Entfernung hing eine große schmale Sichel, der Rand der Tagseite. Der Rest war ein dunkler Fleck vor dem Sternenhimmel, außer am Südpol, wo ein Ring von Nordlicht schwach grün glühte. Jefri Olsndot war auf der von ihnen abgewandten Seite der Welt, im arktischen Tag. Sie würden keine Funkverbindung haben, bis sie am Ziel eintrafen — und sie hatte nicht herausgefunden, wie man die Ultrawelle auf Kurzstreckenübertragungen einstellen könnte.

Sie wandte sich von dem Anblick ab. Pham starrte noch immer hinauf in den Himmel hinter ihr. »… Pham, was nützen uns achtundvierzig Stunden? Werden wir das GEGENMITTEL einfach vernichten?« Was wurde aus Jefri und Herrn Stahls Leuten?

»Vielleicht. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Es muss welche geben.« Die letzten Worte leise. »Ich bin schon früher gejagt worden. Ich habe tiefer in der Klemme gesteckt.« Seine Augen wichen ihrem Blick aus.

ACHTUNDDREISSIG

Die letzten beiden Tage über hatte Jefri den Himmel nicht länger als eine Stunde gesehen. Er und Amdi waren in der großen Steinkuppel, die das Schiff der Flüchtlinge beschirmte, ziemlich sicher, doch es gab keine Möglichkeit, nach draußen zu sehen. Ohne Amdi hätte ich das keine Minute lang ausgehalten. In mancher Beziehung war es sogar schlimmer als seine ersten Tage auf der Verborgenen Insel. Diejenigen, die Mutti und Vati und Johanna umgebracht hatten, waren nur noch ein paar Kilometer entfernt. Sie hatten manche von Herrn Stahls Kanonen erbeutet, und die letzten Tage hindurch hatten die Explosionen stundenlang angedauert, ein Donnern, das den Boden unter ihnen erzittern ließ und manchmal sogar gegen die Mauern der Kuppel schlug.

Ihr Essen bekamen sie hereingebracht, und wenn sie nicht in der Steuerkabine des Schiffes saßen, gingen die beiden aus dem Schiff heraus zu den Räumen mit den schlafenden Kindern. Jefri hatte die einfachen Wartungsarbeiten weiter durchgeführt, an die er sich erinnerte, doch wenn er durch die Sichtscheiben der kalten Schlafsärge blickte, hatte er schreckliche Angst. Manche von den Kindern atmeten kaum. Die Innentemperatur kam ihm zu hoch vor. Und er und Amdi wussten nicht, was sie dagegen tun sollten.

Nichts hatte sich hier verändert, doch nun gab es Freude. Ravnas langes Schweigen war zu Ende. Amdijefri und Herr Stahl hatten mit ihr richtig mit der Stimme gesprochen! Noch drei Stunden, und ihr Schiff würde hier sein! Selbst der Beschuss hatte aufgehört, als ob Holzschnitzerin begriffen hätte, dass ihre Zeit bald abgelaufen sein würde.

Noch drei Stunden. Sich selbst überlassen, hätte Jefri diese Zeit in aufgeregter Geschäftigkeit verbracht. Schließlich war er jetzt neun Jahre alt, ein Erwachsener mit Erwachsenenproblemen. Doch da war noch Amdi. Das Rudel war in mancher Beziehung viel klüger als Jefri, aber er war so ein kleines Kind — ungefähr fünf Jahre alt, soweit Amdijefri es abschätzen konnte. Wenn er nicht gerade angestrengt nachdachte, konnte er nicht still sein. Nach dem Funkspruch von Ravna wollte sich Jefri hinsetzen, um sich ernstlich Sorgen zu machen, doch Amdi begann mit sich selbst rund um die Säulen Haschen zu spielen. Er rief in Jefris und Ravnas Stimme hin und zurück und prallte absichtlich gegen den Jungen. Jefri sprang auf und starrte die herumtollenden Welpen an. Wie ein kleines Kind. Und plötzlich, froh und so traurig auf einmaclass="underline" Ist das der Eindruck, den Johanna von mir hatte? Und so hatte er nun auch Pflichten. Zum Beispiel, geduldig zu sein. Als einer von Amdi an seinen Knien vorbeischoss, griff Jefri rasch nach unten nach der zappelnden Gestalt. Er hob sie in Schulterhöhe, während der Rest des Rudels sich freudig um ihn drängte und von allen Seiten gegen ihn sprang.

Sie fielen auf das trockene Moos und rangen ein paar Sekunden lang. »Lass uns forschen, lass uns forschen!«

»Mach dir keine Sorgen. Wir vergessen es nicht.«

»Gut.« Wo konnten sie denn schon hingehen?

Die beiden gingen durch das von Fackeln erhellte Dämmer zu der Galerie, die am Innenrand der Kuppel entlanglief. Soweit Jefri sehen konnte, waren sie allein. Das war nicht ungewöhnlich. Herr Stahl machte sich große Sorgen, dass Holzschnitzerins Spione ins Schiff gelangen könnten. Selbst seine eigenen Soldaten kamen selten hierher.

Amdijefri hatte die Innenmauer schon früher untersucht. Hinter der Polsterung fühlte sich der Stein kühl und feucht an. Es gab ein paar Löcher ins Freie hinaus — für die Luftzufuhr —, doch sie lagen fast zehn Meter hoch, wo sich die Wand schon nach innen zum Scheitelpunkt der Kuppel krümmte. Der Stein war grob behauen, noch nicht poliert. Herrn Stahls Arbeiter waren in fieberhafter Eile gewesen, um den Schutz fertigzustellen, ehe Holzschnitzerins Armee eintraf. Nichts war poliert, und die Polstermatten trugen keine Verzierungen.

Vor und hinter ihm schnüffelte Amdi an den Fugen und dem frischen Mörtel. Das eine in Jefris Armen zappelte zielstrebig. »Ha! Da vorn. Ich wusste, dass sich dieser Mörtel lockern lassen würde«, sagte das Rudel. Jefri ließ alle von seinem Freund nach vorn zu einer Ecke in der Wand stürmen. Sie sah nicht anders aus als zuvor, aber Amdi kratzte mit fünf Paar Pfoten.

»Und wenn du es locker kriegst, was hast du davon?« Jefri hatte gesehen, wie diese Blöcke mit Winden an Ort und Stelle gesetzt worden waren. Sie waren fast fünfzig Zentimeter tief und lagen abwechselnd in Reihen. Wenn sie an einem vorbeikämen, würden sie nur auf weitere Steine stoßen.

»He, he, ich weiß nicht. Ich habe das aufgehoben, bis wir ein bisschen Zeit totzuschlagen hätten… Huch. Dieser Mörtel brennt mir auf den Lippen.« Weiteres Kratzen, und das Rudel reichte einen Brocken so groß wie Jefris Kopf nach hinten durch. Es war wirklich ein Loch zwischen den Blöcken, und es war groß genug für Amdi. Eins von ihm schnellte in die winzige Höhle.

»Zufrieden?« Jefri warf sich an dem Loch zu Boden und versuchte hineinzuschauen.

»Rat mal!« Amdis schriller Ausruf kam von einem Glied direkt neben seinem Ohr. »Hier hinten ist ein Tunnel, nicht bloß die nächste Schicht Steine!« Ein Glied schlängelte sich an Jefri vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Geheime Tunnel? Das ähnelte zu sehr einem nyjoranischen Märchen. »Er ist groß genug für ein ausgewachsenes Glied, Jefri. Du könntest auf Händen und Knien durchkommen.« Noch zwei von Amdi verschwanden in dem Loch.

Der Tunnel, den er entdeckt hatte, mochte groß genug für ein Menschenkind sein, doch das Eingangsloch war sogar für die Welpen eng. Jefri konnte nichts tun, als in die Dunkelheit zu starren. Die Teile von Amdi, die am Eingang blieben, erzählten, was er entdeckt hatte. »… Geht eine lange, lange Strecke weiter. Ich habe ein paarmal die Richtung gewechselt. Die Spitze von mir ist ungefähr fünf Meter weiter oben, gerade über deinem Kopf. Das ist irre. Ich werde ganz langgezogen.« Amdi klang noch närrischer als in seiner normalen Verspieltheit. Noch zwei von ihm schlüpften in das Loch. Das entwickelte sich zu einem ernsthaften Abenteuer — und Jefri konnte sich nicht daran beteiligen.

»Geh nicht zu weit, es könnte gefährlich sein.«

Eins von dem Paar, das zurückgeblieben war, blickte zu ihm auf. »Keine Sorge. Keine Sorge. Der Tunnel ist kein Zufall. Sieht aus, als ob er als Höhlungen in die Steine geschnitten worden ist, als man sie gesetzt hat. Das ist ein besonderer Fluchtweg, den Herr Stahl angelegt hat. Ich bin in Ordnung. Ich bin in Ordnung. Haha, huhuuh.« Noch eines verschwand in dem Loch. Nach einem Augenblick lief das letzte verbliebene Glied hinein, blieb aber nahe genug am Eingang, sodass Amdi noch mit Jefri sprechen konnte. Das Rudel hatte einen Heidenspaß, es sang und quietschte sich selbst etwas vor. Jefri wusste genau, was der andere trieb, es war wieder so eins von den Spielen, die er niemals spielen konnte. In dieser Haltung mussten Amdis Gedanken die merkwürdigsten plätschernden Sachen sein. Verdammt. Jetzt, wo er im Innern von Stein spielte, musste es sogar noch hübscher als sonst sein, weil er von allen Gedanken abgeschnitten war, außer von einem Glied zum benachbarten.