Johanna lehnte an einer glatten Feldrundung. »Nur noch hier hinauf, und wir sind auf der nächsten Terrasse«, drang Pilgers Stimme an ihr Ohr. »Beeil dich, ich höre Rufe.« Er lehnte zwei von sich nach unten, sodass die Schulterbügel herabhingen. Sie griff danach und stieß sich mit den Füßen ab. Einen Augenblick lang hingen sie und das Rudel über einem vier Meter tiefen Abgrund, und dann lag sie auf bräunlichem, nicht verbranntem Moos. Pilger sammelte sich um sie und deckte sie. Sie spähte zwischen seinen Beinen hindurch. Die Außenmauern von Stahls Burg waren von hier aus zu sehen. Armbrustschützen standen dreist auf den Wehrgängen und nutzten das Chaos unter Holzschnitzerins Truppen aus. Eigentlich hatte die Streitmacht der Königin nicht viele Rudel verloren, doch selbst die Unverwundeten wimmelten durcheinander. Die Soldaten der Königin waren keine Feiglinge — das wusste Johanna mittlerweile —, doch sie waren soeben mit einer Macht konfrontiert worden, gegen die es keine Verteidigung gab.
Über ihnen verzog sich der Rauch, und das Blau kam durch. Das Schlachtfeld vor ihr lag unter klarem Himmel. In den Jahren vor dem Hochlabor war Johanna mit ihrer Mutter oft auf Wanderungen über die Bigby-Marsch auf Straum gegangen. Mit den Sensoren ihrer Wanderausrüstungen war es nicht schwer gewesen, die Skyggflügler dort zu beobachten; selbst wenn die Automatik dieses Fliegers nicht eigens nach einem Menschen am Boden Ausschau hielt, müsste sie sie bemerken. »Siehst du etwas?«
Die vier erwachsenen Köpfe schwankten in abgestimmten Paaren vor und zurück. »Nein. Der Flieger muss sehr weit weg oder hinter dem Rauch sein.«
Mist. Johanna stand auf, trottete auf die Burgmauern zu. Dort mussten sie beobachten!
»Das wird Holzschnitzerin nicht gefallen.«
Zwei von den Soldaten rannten bereits auf sie zu, von ihrer zielgerichteten Bewegung oder vom Anblick Johannas angezogen. Pilger winkte sie zurück.
Allein auf freiem Feld, weniger als zweihundert Meter von den Burgmauern entfernt. Selbst mit bloßem Auge — wie konnte man sie übersehen? In der Tat wurden sie bemerkt: Es gab ein leises Sirren, und ein meterlanger Pfeil stieß links von ihnen in den Boden. Narbenhintern packte ihre Schulter und zog sie in Hockstellung herab. Die Welpen schoben seine Schilde in Stellung: Pilger bildete eine Deckung gegen die Burgseite und begann, außer Schussweite zu gehen. Zurück in den Rauch.
»Nein! Lauf parallel! Ich will gesehen werden.«
»Gut, gut.« Leise Todesklänge schossen herab. Johanna hielt eine Hand auf seiner Schulter, als sie über das Feld liefen. Sie fühlte, wie Narbenhintern stockte. Der Pfeil hatte ihn ins Fleisch der Schulter getroffen, Zentimeter von einem Trommelfell entfernt. »Ich bin in Ordnung! Bleib unten, bleib unten.«
Die vordere Front von Holzschnitzerins Streitkräften strömte jetzt auf sie zu, ein Dutzend Rudel, die über die Terrasse rannten. Pilger sprang auf und ab und schrie mit einer Stimme, die wie körperliche Gewalt auf sie einschlug. Etwas in der Art, sie sollten sich zurückhalten, und über Gefahr vom Himmel. Es hielt ihr Vordringen nicht auf. »Sie wollen, dass du von den Pfeilen weg bist.«
Und plötzlich bemerkten sie, dass die Schüsse von der Burg aufgehört hatten. Pilger spähte gen Himmel. »Es ist wieder da! Es kommt von Osten, vielleicht einen Kilometer weit weg.«
Sie blickte in die Richtung, in die er zeigte. Es war ein ungefüges Ding, vermutlich für den Raum bestimmt, obwohl es keine Ultraantriebs-Dorne hatte. Es taumelte und wankte. Von Raketendüsen war nichts zu sehen. Eine Art Agrav? Nichtmenschen? Die Gedanken rutschten durch ihren Geist, begleitet von Freude.
Fahles Licht flackerte aus einem Vorsprung am Bauche des Fliegers, und Erde spritzte rings um die Rudel auf, die zu ihrem Schutze herbeirannten. Wieder das stotternde Donnern, nur dass nun das Licht geradewegs über die Reihen ihrer Freunde auf sie zu kam.
Amdijefri stand auf den Burgmauern. Stahl hielt seine stechenden Blicke vor ihm verborgen. Er konnte einfach nichts dagegen machen; Ravna hatte verlangt, dass Jefri am Radio sein sollte, um den Schlag zu lenken. Die Menschenfrau war nicht völlig blöde. Es würde egal sein. Eine Armee sieht wie eine Armee aus, ob sie Freund oder Feind ist. Sehr bald würde die Armee jenseits dieser Mauern aufhören zu existieren.
»Wie ist der erste Durchlauf gegangen?« Ravnas Stimme kam sehr deutlich aus dem Kom-Gerät. Aber es war nicht Jefri, der antwortete; alle acht von Amdiranifani strichen auf dem Wehrgang herum, manche von ihm saßen auf den Zinnen und übten Stereoblick, während andere Stahl und das Radio im Auge behielten. Ihm zu sagen, er sollte zurückbleiben, nutzte nichts. Nun beantwortete Amdi die Frage mit Jefris Stimme: »Gut. Ich habe fünfzehn Lichtblitze gezählt. Nur zehn haben überhaupt etwas getroffen. Ich wette, dass ich besser schießen könnte.«
»Verdammt, das ist das Beste, was ich mit diesem (unbekannte Wörter) fertigbringe.« Es war nicht Ravnas Stimme. Stahl hörte die Irritation darin. Jeder kann an diesen Welpen etwas Widerwärtiges finden. Ein erbaulicher Gedanke.
»Bitte«, sagte Stahl. »Schieß wieder. Wieder.« Er schaute über die Mauerkante. Der Luftangriff hatte eine Gruppe der Feinde am Rande der nächsten Terrasse beseitigt. Es war eine beeindruckende Zerstörung, wie riesige Kanonentreffer oder die getrennte Landung von zwanzig Sternenschiffen. Und alles von einem kleinen Gefährt, das in der Luft taumelte wie ein fallendes Blatt. Die feindliche Frontlinie löste sich in Panik auf. Überall auf den Wehrgängen tanzten seine eigenen Truppen bei ihren Gefechtsstationen. Die Lage hatte flau ausgesehen, seit ihre Geschütze ausgeschaltet worden waren; sie brauchten eine Aufmunterung. »Die Armbrustschützen, Sreck! Schießt auf die Überlebenden.« Und dann, wieder in Samnorsk: »Die vorderen Linien kommen immer noch auf uns zu. Sie sind… sie sind…« Verdammt, was heißt ›siegesgewiss‹ ? »Sie werden uns umbringen, wenn ihr nicht helft.«
Das Menschenkind blickte Stahl verwundert an. Wenn er das jetzt eine Lüge nannte, dann… Einen Moment später sagte Ravna: »Ich weiß nicht. Sie sind durchaus weg von euren Mauern, jedenfalls soweit ich sehen kann. Ich will sie nicht abschlachten…« Schnellfeuer-Gespräch mit dem Menschen im Flieger, womöglich nicht einmal in Samnorsk. Der Kanonier klang unzufrieden. »Pham wird sich ein paar Kilometer zurückziehen«, sagte sie. »Wir kommen sofort wieder, wenn euer Feind vorrückt.«
»Sssst!« Srecks Hochsprech-Zischen kam wie ein trockener Schlag. Wie kann er es wagen… Doch sein Leutnant zeigte mit aufgerissenen Augen zur Mitte des Schlachtfelds. Natürlich hatte Stahl mit einem Augenpaar in diese Richtung geschaut, aber unaufmerksam: Der andere Zweibeiner!
Die Gestalt des Pfahlwesens sank hinter einem sie begleitenden Rudel zu Boden, glücklicherweise ehe Amdijefri sie bemerkte. Dem Rudel aller Rudel sei Dank, dass Welpen kurzsichtig sind. Stahl stürzte vor, umringte einige von Amdi und rief den anderen zu, sie sollten den Wehrgang verlassen. Beide von Tyrathect rannten nahe heran und packten die ungehorsamen Bälger. »Nach unten!«, schrie Stahl in der Klauensprache. Eine Sekunde lang war alles wirr, während seine eigenen Denklaute sich mit denen der Welpen mischten. Amdi taumelte von ihm weg, durch den Lärm und die harten Stöße gründlich abgelenkt. Und dann sagte Stahl in Samnorsk: »Da draußen sind noch mehr Kanonen. Geht nach unten, bevor ihr verletzt werdet!«