Jefri wandte sich dem Schlachtfeld zu. »Aber ich sehe keine…« Und zum Glück gab es wirklich nichts Besonderes zu sehen. Jetzt. Der andere Zweibeiner kauerte noch hinter einem von Holzschnitzerins Rudeln. Sreck packte das Menschenkind mit Pfoten und Kiefern. Er und eins von Tyrathect drängten die widerstrebenden Kinder die Treppe hinab. Unterdessen schmückte Tyrathect schon Stahls Geschichte aus und erzählte von Soldaten, die er unterhalb der Bergkuppe sehen konnte.
»Jag das kleinere Pulverlager in die Luft«, zischte Stahl dem hinabgehenden Sreck zu. Das Lager war fast leer, doch seine Zerstörung überzeugte vielleicht die Raumleute, wo Worte es nicht vermochten.
Nachdem sie weg waren, blieb Stahl eine Weile still und zitternd stehen. Noch nie war er so knapp einer Katastrophe entgangen. Von allen Wehrgängen überschütteten seine Armbrustschützen nun das feindliche Rudel und den Zweibeiner mit Pfeilen. Verdammt. Sie waren fast außer Schussweite.
Im Burghof sprengte Sreck das kleinere Pulverlager. Die Explosion war zufriedenstellend, viel lauter als ein Artillerietreffer; einer von den inneren Türmen wurde in Stücke gerissen. Steinbrocken regneten auf den ganzen Hof herab, die kleinsten Stücke flogen bis zu Stahl auf die Wehrgänge herauf.
Ravnas Stimme rief etwas in Samnorsk, zu schnell, als dass Stahl etwas verstanden hätte. Nun standen alle Pläne, alle Hoffnungen auf des Messers Schneide. Er musste alles aufs Spiel setzen: Stahl beugte eine Schulter nahe ans Korn und sagte: »Leider. Es geht schnell hier. Viel mehr Holzschnitzer kommen unter dem Rauch herauf. Könnt ihr alle auf Berghang töten?« Konnten die Pfahlwesen durch Rauch hindurchsehen? Das war ein Teil des Risikos.
Die Stimme des Kanoniers erklang wieder: »Ich kann es versuchen. Passt auf.«
Eine dritte Stimme, selbst nach menschlichen Maßstäben spröde und schmaclass="underline" »Es wird noch fünfzig Sekunden dauern, Herr Stahl. Wir haben Schwierigkeiten mit dem Wenden.«
Gut. Konzentriert euch aufs Fliegen und aufs Töten. Seht euch eure Opfer nicht allzu genau an. Die Armbrustschützen hatten den Menschen zurückgetrieben, halb unter die Rauchdecke. Andere Rudel eilten nach vorn, um sie zu beschützen. Bis die Besucher zurückkamen, würde es eine Menge Ziele geben und der Mensch sich unter ihnen verlieren.
Zwei von ihm erblickten den Raumler, wie er durch den Dunst näher kam. Die Besucher würden nicht deutlich sehen, worauf sie schossen. Fahles Licht flackerte unter dem Gefährt hervor. Eine Sense strich über den Berghang auf Holzschnitzerins Soldaten zu.
Pham wurde gegen seine Gurte gepresst, als Blaustiel das Boot zurück zum Ziel wendete. Sie flogen nicht schnell, die Luftströmung konnte nicht mehr als dreißig Meter pro Sekunde betragen. Doch jede Sekunde war angefüllt mit dem widerwärtigsten Rucken und Schwankungen. Einmal hinderte nur Phams fester Griff an der Zielvorrichtung ihn daran, hinauszufallen. In etwas über vierzig Stunden wird das tödlichste Ding des Weltalls hier eintreffen, und ich befasse mich hier mit Schießübungen auf Hunde.
Wie sollte er den Berghang säubern? Stahls quengelnde Stimme klang ihm noch in den Ohren. Und Ravna war sich nicht sicher, was die ADR eigentlich unter all dem Rauch sah. Ganz ohne Automatik wären wir vielleicht besser dran, als mit dieser Bastardmischung. Wenigstens hatte sein Strahler eine Handsteuerung. Pham schlang einen Arm um den Lauf, während er den anderen ausstreckte, um eine Einstellung zu ändern. Eine breite Streuung des Strahlenbündels war gegen Panzerung nutzlos, konnte aber Augen zum Platzen bringen und Haut und Haare in Brand setzen — und am Boden würde der Strahl Dutzende von Metern breit sein.
»Fünfzehn Sekunden, Herr Pham«, erklang Blaustiels Stimme in seinem Ohr.
Diesmal flogen sie tief. Löcher im Rauchvorhang huschten vorbei wie Schlaglichtkunst. Der größte Teil des Erdbodens hatte eine schwarze Brandkruste, doch es gab nackte Felswände und sogar rußige Fleckchen Schnee, gefangen in Rinnen und schattigen Senken… Hier und da lag ein Haufen hundeähnlicher Körper und gelegentlich ein Kanonenrohr.
»Vor uns ist eine Menge von ihnen, Herr Pham. Sie laufen auf die Burg zu.«
Pham beugte sich herab und blickte nach vorn. Die Meute war etwa vierhundert Meter entfernt. Sie liefen parallel zu den Burgmauern über ein Feld, das mit Pfeilschäften gespickt war. Er drückte den Feuerknopf und schwenkte den Strahl unter dem Boot hervor. Unter der ausgetrockneten Oberfläche gab es eine Menge Wasser; es explodierte zu Dampf, während der Strahl darüber hinwegstrich… Doch weiter vorn bewirkte die breite Streuung nicht viel. Es würde noch ein paar Sekunden dauern, bis er eine gute Gelegenheit zu einem Schuss auf die unglückseligen Rudel bekommen würde.
Zeit für die kleinen Verdachtsmomente. Wieso hatte also der Feind Vorderlader-Geschütze? Die mussten sie selber hergestellt haben — auf einer Welt ohne Anzeichen von Feuerwaffen. Stahl war der klassische Fall eines mittelalterlichen Ränkeschmieds; Pham hatte den Typ aus tausend Lichtjahren Entfernung erkannt. Sie erledigten gerade die Dreckarbeit für den Kerl, das war offensichtlich. Lass sein. Stahl kommt später dran.
Pham feuerte abermals, während er den Strahl auf die Rudel schwenkte, diesmal mitten durch lebende Körper hindurch. Er schoss vor sie und zur Burgseite hin; vielleicht würden nicht alle sterben. Er reckte den Kopf weiter in den Luftzug, um besser sehen zu können. Vor den Rudeln lagen hundert Meter freies Feld, ein einzelnes Viererrudel und — eine menschliche Gestalt, schwarzhaarig und schlank, die umhersprang und winkte.
Pham riss den Lauf nach oben gegen den Rumpf und sicherte ihn gleichzeitig. Der Rückschlag war eine Hitzewelle, die ihm die Augenbrauen versengte. »Blaustiel! Geh runter! Geh runter!«
NEUNUNDDREISSIG
»Ein Missverständnis. Sie ist belogen worden.«
Ravna versuchte, etwas hinter der Stimme zu hören. Stahls Samnorsk klang so knarrend wie immer, der Tonfall kindlich und quengelnd. Er klang nicht anders als zuvor. Aber seine Geschichte wurde ziemlich dünn angesichts dessen, was eben geschehen war…
»Der Mensch muss verletzt gewesen und dann von Holzschnitzerin belogen worden sein. Das erklärt vieles, Ravna. Ohne sie könnte Holzschnitzerin nicht angreifen. Ohne sie kann alles sicher sein.«
Pham meldete sich auf einem persönlichen Kanal. »Das Mädchen war wirklich während eines Teils des Überfalls bewusstlos, Rav. Aber sie hat mir fast die Augen ausgekratzt, als ich andeutete, sie könnte sich in bezug auf Stahl und Holzschnitzerin irren. Und das Rudel, das bei ihr ist, wirkt viel überzeugender als Stahl.«
Ravna blickte fragend über das Deck hinweg zu Grünmuschel. Pham wusste nicht, dass sie hier war. Schwierig. Grünmuschel war eine Insel gesunder Vernunft inmitten des Wahnsinns — und sie kannte die ADR unendlich viel besser als Ravna.
Während sie noch zögerte, erklang wieder Stahls Stimme: »Sieh doch, nichts hat sich verändert, außer zum Besseren. Noch ein Mensch lebt. Wie kannst du an uns zweifeln? Sprich mit Jefri, er versteht uns. Wir haben das Beste getan für die Kinder im…«, ein kollerndes Geräusch, und eine (andere?) Stimme sagte: »… Kälteschlaf.«
»Gewiss, wir müssen wieder mit ihm sprechen, Stahl. Er ist unser bester Beweis für deine guten Absichten.«
»In Ordnung. In ein paar Minuten, Ravna. Aber weißt du, er ist auch mein guter Schutz gegen Tricks von eurer Seite. Ich weiß, wie mächtig ihr Besucher seid. Ich… fürchte euch. Wir müssen…« — kollernde Beratung — »… uns jeder auf die Ängste des anderen einstellen.«