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Ravna wurde Bibliothekarin. »Das Nonplusultra an Dilettantismus!«, hatte Lynne sie gefoppt. »Stimmt, na und?«, hatte Ravna geknurrt, doch der Traum von weiten Reisen lebte in ihr weiter.

Das Leben an der Herte-Universität bei Sjandra Kei hätte eigentlich wie für sie geschaffen sein müssen. So hätte es hier ein Leben lang glücklich weitergehen können — nur dass im Jahr ihrer Abschlussarbeit der Wettbewerb der Vrinimi-Organisation für eine Reiseaspirantur stattgefunden hatte. Der Preis war ein dreijähriges Arbeitsstudium am Archiv bei Relais. Ihn zu gewinnen, war eine einmalige Chance; sie würde mit mehr Erfahrung zurückkehren, als jeder Akademiker am Ort besaß.

So kam es, dass sich Ravna Bergsndot mehr als zwanzigtausend Lichtjahre von Zuhause wiederfand, im Zentrum des Netzes, das eine Million Welten verband.

Es war eine Stunde nach Sonnenuntergang, als Ravna über Parkstadt zum Sitz von Grondr Vrinimikalir schwebte. Sie war seit ihrer Ankunft im Relais-System nur ein paarmal auf dem Planeten gewesen. Den Großteil ihrer Arbeit machten die Archive selbst aus — mehr als tausend Lichtstunden weiter draußen. In diesem Teil von DaUnten herrschte Frühherbst, obwohl die Farben der Bäume in der Dämmerung zu Grau verblasst waren. In Ravnas Höhe von einhundert Metern lag in der Luft ein Vorgeschmack von Frost. Zwischen ihren Füßen sah sie Lagerfeuer und Spielfelder. Die Vrinimi-Organisation gab nicht viel für den Planeten aus, doch es war eine schöne Welt. Solange sie den Blick auf den dunkelnden Erdboden gerichtet hielt, konnte sich Ravna sogar vorstellen, irgendwo in ihrem heimatlichen Terraneum von Sjandra Kei zu sein. Wenn man jedoch gen Himmel schaute… dann wusste man sofort, dass man weit weg von Zuhause war: zwanzigtausend Lichtjahre entfernt sprühte der galaktische Strudel zum Zenit empor.

In der Dämmerung war er zwar nur schwach, und er würde diese Nacht vielleicht nicht viel heller werden: Tief am Westhimmel leuchtete eine Gruppe von Fabriken innerhalb des Systems heller als jeder Mond. Ihre Arbeitsabläufe waren ein strahlendes Flackern von Sternen und Strahlen, manchmal so intensiv, dass die Berge von Parkstadt scharfe Schatten nach Osten warfen. In einer halben Stunde würden die Docks aufgehen. Die Docks waren nicht so hell wie die Fabriken, doch zusammen würden sie alles Licht von den fernen Sternen überstrahlen.

Sie verschob sich in ihrem Agrav-Harnisch und schwebte tiefer. Der Geruch nach Herbst und Lagerfeuern wurde stärker. Plötzlich stand rings um sie klickendes Kalir-Gelächter; sie war in ein Luftball-Spiel hineingeraten. Ravna breitete in gespielter Scham die Arme aus und wich den Spielern aus.

Ihr Streifzug durch den Park war fast zu Ende, vor sich sah sie ihr Ziel. Der Sitz von Grondr ’Kalir war eine Rarität in der Landschaft von Parkstadt: ein erkennbares Gebäude. Es stammte aus der Zeit, als sich die Org in das Relais-Unternehmen eingekauft hatte. Aus nur acht Metern Höhe gesehen, war das Haus eine eckige Silhouette vor dem Himmel. Wenn Lichter der Fabriken aufblitzten, glänzten die glatten Wände des Monolithen in öligen Schattierungen. Grondr war der Chef vom Chef ihres Chefs. Sie hatte innerhalb von zwei Jahren genau dreimal mit ihm gesprochen.

Keine Verzögerungen mehr. Nervös und sehr neugierig glitt Ravna tiefer und ließ sich von der Elektronik des Hauses über die Baumwipfel zum Eingang leiten.

Grondr Vrinimikalir behandelte sie mit der in der Organisation üblichen Höflichkeit, dem gemeinsamen Nenner zwischen den verschiedenen Rassen der Org: Das Konferenzzimmer verfügte über Möbel, die von Menschen wie von Vrinimi benutzt werden konnten. Es gab Erfrischungen und Fragen nach ihrer Arbeit am Archiv.

»Gemischte Ergebnisse, Herr Direktor«, antwortete Ravna aufrichtig. »Ich habe eine Menge gelernt. Die Aspirantur erfüllt alle Erwartungen. Ich fürchte aber, die neue Teilung wird eine zusätzliche Indexschicht erfordern.« Das stand alles in Berichten, die der alte Knabe augenblicklich hätte einsehen können.

Grondr rieb sich geistesabwesend mit der Hand über die Augensprenkel. »Ja, eine absehbare Enttäuschung. Mit dieser Erweiterung sind wir an der Grenze der Informationsverwaltung. Egravan und Derche« — das waren Ravnas Chef und der Chef des Chefs — »sind recht froh über Ihre Fortschritte. Sie sind mit guter Ausbildung hergekommen und haben schnell gelernt. Ich glaube, Menschen haben ihren Platz in der Organisation.«

»Danke, Herr Direktor.« Ravna errötete. Grondrs Einschätzung, so beiläufig sie ausgesprochen wurde, war für sie sehr wichtig. Und wahrscheinlich würde das bedeuten, dass weitere Menschen herkamen, vielleicht sogar, ehe ihre Aspirantur vorüber war. War das also der Grund für das Gespräch?

Sie gab sich Mühe, den anderen nicht anzustarren. Mittlerweile hatte sie sich an die Rasse, die die Mehrheit der Vrinimi stellte, recht gut gewöhnt. Von weitem sahen die Kalir humanoid aus. Aus der Nähe betrachtet, war der Unterschied gravierend. Die Rasse stammte von einer Art Insektenwesen ab. Als sie größer wurden, hatte die Natur notwendigerweise die Stützelemente ins Körperinnere verlegt, bis außen eine Mischung aus larvenartiger Haut und Lappen von bleichem Chitin blieb. Auf den ersten Blick war Grondr ein nicht weiter bemerkenswertes Exemplar seiner Rasse. Wenn er sich jedoch bewegte, sei es auch nur, um seine Jacke zurechtzurücken oder sich an den Augensprenkeln zu kratzen, lag in ihm eine sonderbare Exaktheit. Egravan sagte, er sei sehr, sehr alt.

Grondr wechselte abrupt das Thema. »Sie sind informiert über die… Veränderungen im Straumli-Bereich?«

»Sie meinen den Untergang von Straum? Ja.« Obwohl es mich wundert, dass Sie davon wissen. Der Straumli-Bereich war eine wichtige Zivilisation der Menschen, hatte aber nur winzigen Anteil am Informationsfluss von Relais.

»Ich darf Sie meines Mitgefühls versichern.« Ungeachtet der optimistischen Botschaften von Straum war es klar, dass der Straumli-Bereich einer totalen Katastrophe zum Opfer gefallen war. Fast jede Rasse tappte früher oder später ins Transzens, und die meisten davon wurden dort zur Superintelligenz, zu einer MACHT. Doch mittlerweile war deutlich geworden, dass die Straumer eine MACHT geschaffen oder erweckt hatten, die tödliche Neigungen zeigte. Ihr Schicksal war so schrecklich wie nur je etwas von dem, was Ravnas Vater vorhergesagt hatte. Und ihr Unglück war jetzt zu einer Katastrophe geworden, die den ganzen ehemaligen Straumli-Bereich erfasste.