Die Tentakel des Fahrers hoben die bunte Decke an, die auf seiner Hülle lag. »Zieht das über euch.« Er winkte mit einem Tentakel den übrigen von Amdi. »Über euch alle.«
Die beiden am Boden kauerten hinter den Vorderrädern des Wesens. »Zu heiß, zu heiß«, erklang Amdis Stimme. Doch die beiden sprangen auf und verkrochen sich unter der sonderbaren Plane.
»Bedeckt euch, überall!« Jefri spürte, wie der Fahrer die Decke über sie zog. Der Wagen rollte schon zurück, auf die Flammen zu. Schmerz brannte durch jede Pore in der Plane hindurch. Der Junge langte fieberhaft erst mit einer, dann mit der anderen Hand zu, um den Stoff über seine Beine zu ziehen. Ihre Fahrt war ein wildes Geschüttel, und Jefri konnte sich kaum festhalten. Rings um sich fühlte er, wie sich Amdi mit seinen freien Kiefern anstrengte, um die Plane an Ort und Stelle zu halten. Das Feuer brüllte wie ein wildes Tier, und die Plane selbst brannte heiß auf seiner Haut. Jeder neue Stoß stieß ihn von der Hülle hoch und drohte seinen Griff aufzureißen. Eine Zeit lang verdunkelte Panik sein Denken. Erst viel später erinnerte er sich an die winzigen Töne, die aus der Voderplatte drangen, und verstand, was sie bedeuten mussten.
Pham rannte auf die neuen Flammen zu. Quälender Schmerz. Er hob die Arme vors Gesicht und fühlte, wie die Haut an seinen Händen Blasen bekam. Er wich zurück.
»Hier lang, hier lang!«, rief Pilger hinter ihm und geleitete ihn heraus. Er taumelte zurück. Das Rudel stand in einer schmalen Gasse. Es hatte seine Schilde dem neuen Feuerstreifen entgegengekehrt. Zwei von dem Rudel machten ihm Platz, als er zwischen sie sprang.
Sowohl Johanna als auch das Rudel klopften ihm auf den Kopf.
»Dein Haar brennt!«, rief das Mädchen. Nach ein paar Sekunden hatten sie das Feuer erstickt. Der Pilger sah auch ein wenig angesengt aus. Seine Schultertaschen waren sicher verschlossen; zum ersten Mal spähten keine neugierigen Welpenaugen daraus hervor.
»Ich kann immer noch nichts sehen, Pham.« Das war Ravna von hoch oben her. »Was geht vor?«
Ein rascher Blick nach hinten. »Wir sind wohlauf«, keuchte er. »Holzschnitzerins Rudel erledigen gerade Stahls. Aber Blaustiel…« Er spähte zwischen den Schilden hindurch. Es war, als schaute er in einen Brennofen. Direkt an der Burgmauer gab es vielleicht einen kleinen Freiraum. Eine schwache Hoffnung, aber…
»Etwas bewegt sich da drin.« Pilger hatte einen Kopf kurz hinter einem Schild hervorgestreckt. Er zog ihn jetzt zurück und leckte seine Nase von beiden Seiten.
Pham schaute abermals durch den Spalt. In dem Feuer gab es Schatten, weniger helle Stellen, die hin und her wogten — sich bewegten? »Ich sehe es auch.« Er spürte, wie Johanna ihren Kopf dicht neben seinen presste und fieberhaft spähte. »Es ist Blaustiel, Rav… Bei der Flotte!« Das letzte hatte er zu leise gesagt, als dass es durch den Klang des Feuers zu hören gewesen wäre. Es gab keine Spur von Jefri Olsndot, aber: »Blaustiel rollt mitten durch das Feuer, Rav.«
Der Skrod kam aus den tieferen Teilen des Ölsees heraus. Langsam, stetig rollte er weiter. Und nun sah Pham Feuer im Feuer, sah, wie Blaustiels Rumpf in kleinen Flammenadern glühte. Seine Wedel waren nicht mehr eingezogen. Sie ragten heraus und wanden sich in ihrem eigenen Feuer. »Er kommt immer noch, fährt geradewegs heraus.«
Der Skrod ließ die Feuerwand hinter sich und rollte mit ruckartiger Selbstvergessenheit den Hang hinab. Blaustiel bog nicht zu ihnen ab, doch kurz bevor er das Landeboot erreichte, kamen alle sechs Räder auf einmal knirschend zum Stehen.
Pham stand auf und rannte zu dem Skrodfahrer zurück. Pilger nahm schon seine Schilde wieder auf und wandte sich um, ihm nach. Johanna Olsndot blieb eine Sekunde lang stehen, traurig und klein und allein, den Blick hoffnungslos auf das Feuer und den Rauch auf der Burgseite geheftet. Eins von dem Pilger fasste sie am Ärmel und zog sie vom Feuer weg.
Pham war jetzt bei dem Fahrer. Einen Moment lang starrte er schweigend hin. »… Blaustiel ist tot, Rav, du würdest nicht daran zweifeln, wenn du das sehen könntest.« Die Wedel waren abgebrannt und hatten nur Stümpfe am Stiel hinterlassen. Der Stiel selbst war geborsten.
Ravnas Stimme in seinem Ohr bebte. »Er ist da durch gefahren, obwohl er schon brannte?«
»Unmöglich. Er muss nach den ersten paar Metern tot gewesen sein. Das muss alles der Autopilot getan haben.« Pham versuchte, die qualvollen Bewegungen der Wedel zu vergessen, die er im Feuer gesehen hatte. Für einen Augenblick starrte er geistesabwesend auf das von Feuer zersplitterte Fleisch.
Der Skrod selbst strahlte Hitze aus. Pilger schnüffelte daran herum und zuckte heftig zurück, als er mit einer Nase zu nahe kam. Unvermittelt langte er mit einer stahlklauenbewehrten Pfote hin und riss hart an dem Tuch, das die Hülle bedeckte.
Johanna schrie auf und stürzte schneller als Pilger oder Pham vor. Die Gestalten unter dem Schal waren reglos, aber nicht verbrannt. Sie packte ihren Bruder bei den Schultern und zog ihn auf den Erdboden. Pham kniete sich neben ihr ihn. Atmet das Kind? Entfernt kam ihm zu Bewusstsein, dass Ravna ihm ins Ohr schrie und Pilger winzige Hundewesen von dem heißen Metall herunterholte.
Sekunden später begann der Junge zu husten. Seine Arme fuchtelten seiner Schwester entgegen. »Amdi, Amdi!« Seine Augen öffneten sich, wurden weit. »Du!« Und dann wieder: »Amdi?«
»Ich weiß nicht«, sagte der Pilger, der nahe bei den sieben — nein, acht — ölbedeckten Gestalten stand. »Es gibt ein paar Denklaute, aber zusammenhangslos.« Er schnüffelte an drei Welpen und tat etwas, das vielleicht so etwas wie eine Beatmung war.
Dann begann der kleine Junge zu weinen, ein Geräusch, das in den Geräuschen des Feuers unterging. Er kroch zu den Welpen hinüber, das Gesicht gleich neben einem von Pilger. Johanna war direkt hinter ihm, hielt ihn bei den Schultern und schaute erst auf Pilger, dann auf die reglosen Geschöpfe.
Pham kniete sich hin und blickte zurück zur Burg. Das Feuer war jetzt ein wenig niedriger. Lange Zeit starrte er den verkohlten Stumpf an, der Blaustiel gewesen war. Er fragte sich und erinnerte sich. Er fragte sich, ob all der Verdacht unbegründet gewesen war. Er fragte sich, welche Mischung von Mut und automatischer Steuerung hinter der Rettung steckte.
Er erinnerte sich an all die Monate, die er mit Blaustiel verbracht hatte, an die Zuneigung und dann den Hass… O Blaustiel mein Freund.
Die Feuer brannten langsam nieder. Pham ging am Rande der zurückweichenden Hitze auf und ab. Er fühlte, wie die Gottsplitter schließlich wieder über ihn kamen. Dieses eine Mal waren sie willkommen, der unbezähmbare Trieb und die Manie, das Ausblenden irrelevanter Gefühle. Er schaute zu Pilger und Johanna und Jefri und dem sich erholenden Welpenrudel hin. Es war alles eine bedeutungslose Ablenkung. Nein, nicht ganz bedeutungslos: Es hatte eine Wirkung gehabt, hatte den Fortschritt in der wirklich tödlich wichtigen Sache verzögert.
Er blickte nach oben. Es gab Lücken in den Rußwolken, Stellen, wo er den rötlichen Dunst hochgewirbelter Asche und vereinzelte Fleckchen von Blau sehen konnte. Die Wehrgänge der Burg schienen verlassen zu sein, und die Schlacht rings um die Mauern abgeklungen. »Was gibt’s Neues?«, sagte er ungeduldig in den Himmel hinein.
Ravna: »Ich kann immer noch nicht viel um euch herum sehen, Pham. Eine große Anzahl Klauenwesen — wahrscheinlich der Feind — zieht sich nach Norden zurück. Sieht wie ein rascher, geordneter Rückzug aus. Nichts von dem ›Kämpfen bis zuletzt‹ , das wir vorher erlebt haben. Es gibt keine Brände innerhalb der Burg — und auch keine Anzeichen von zurückgebliebenen Rudeln.«