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»Ja. Sie sind dreißig Lichtjahre weit draußen. Wir haben alle vernichtet, die auf Geschwindigkeit kommen könnten. Sie werden tausend Jahre brauchen, bis sie hier sind…« Das Artefakt zog sich plötzlich zusammen, und Pham stöhnte. »Nicht viel Zeit. Wir haben das Maximum des Zurückweichens erreicht. Wenn die Flutwelle kommt, wird sie…« Wieder ein Schmerzenslaut. »Ich sehe sie! Bei den MÄCHTEN, Ravna, sie wird hoch emporschlagen und lange dauern.«

»Wie hoch, Pham?«, sagte Ravna leise. Sie dachte an all die Zivilisationen über ihnen. Da waren die Schmetterlinge und die verräterischen Typen, die den Pogrom bei Sjandra Kei unterstützt hatten… Und da waren Billionen, die in Frieden lebten und ihren eigenen Weg zu den Höhen gingen.

»Tausend Lichtjahre? Zehntausend? Ich bin nicht sicher. Die Geister im GEGENMITTEL — Arne und Sjana glaubten, sie könnte so hoch reichen, dass sie ins Transzens schwappen und die PEST an Ort und Stelle einkapseln würde… Das muss es sein, was Damals geschehen ist.«

Arne und Sjana?

Die Vibrationen des GEGENMITTELS waren langsamer geworden. Seine Lichter flackerten hell auf und gingen dann aus. Hell — und dann aus. Sie hörte Pham bei jedem Stück Dunkelheit um Atem ringen. Das GEGENMITTEL, der Retter, der im Begriff war, eine Million Zivilisationen auszulöschen. Und der den Mann tötete, der den Prozess in Gang gebracht hatte.

Fast ohne zu denken duckte sie sich an dem Ding vorbei und streckte die Arme nach Pham aus. Aber ein Bündel rasiermesserscharfer Bögen nach dem anderen hielt sie auf, schnitt ihr in die Arme.

Pham blickte zu ihr auf. Er versuchte, noch etwas zu sagen.

Dann ging das Licht zum letzten Mal aus. Aus der Dunkelheit ringsum kamen ein zischendes Geräusch und ein anschwellender bitterer Geruch, den Ravna niemals vergessen sollte.

Für Pham Nuwen gab es keinen Schmerz. Die letzten Minuten seines Lebens waren jenseits jeder Schilderung, die im Langsam oder sogar im Jenseits wiedergegeben werden kann.

Versuchen wir also Metapher und Gleichnis: Es war… es war…, als stünde Pham mit dem ALTEN auf einem ausgedehnten und leeren Strand. Ravna und Klauenwesen waren winzige Geschöpfe zu ihren Füßen. Planeten und Sterne waren die Sandkörner. Und das Meer war für kurze Zeit zurückgewichen und ließ den hellen Lichtschein des Denkens hierher dringen, wo zuvor Dunkelheit gewesen war. Die Transzendenz würde kurz sein. Am Horizont türmte sich das zurückgedrängte Meer auf, eine dunkle Wand, höher als jeder Berg, die wieder auf sie zu stürmte. Er schaute zu ihrer riesigen Masse auf. Phan und die Gottsplitter und das GEGENMITTEL würden die Überflutung nicht überleben, nicht einmal getrennt. Sie hatten eine Katastrophe ausgelöst, die jedes Denken überstieg, ein ausgedehnter Abschnitt der Galaxis wurde ins Langsam gestürzt, so tief wie die Alte Erde selbst, und auf Dauer.

Arne und Sjana und die Straumer und der ALTE wären gerächt… und das GEGENMITTEL war vollständig.

Und Pham Nuwen? Ein Werkzeug, das hergestellt und benutzt worden war und nun weggeworfen werden sollte. Ein Mann, den es nie gegeben hatte.

Dann war die Flut über ihnen und begrub sie in der Tiefe. Hinab aus dem Transzendenten Licht. Draußen würde die Sonne der Klauenwelt wieder hell scheinen, doch innen fiel Phams Geist in sich zusammen, indes die Sinne zu dem zurückkehrten, was Augen sehen und Ohren hören können. Er fühlte das GEGENMITTEL ins Nichtsein gleiten, nun, da es sein Werk getan hatte, ohne jemals bewusst zu denken. Der Geist des ALTEN verharrte noch ein wenig länger, zog sich zusammen und wich zurück, während das Denkvermögen abnahm. Doch er tastete Phams Bewusstsein nicht an. Dieses eine Mal schob er ihn nicht beiseite. Dieses eine Mal war er sanft, strich über die Oberfläche von Phams Geist, wie ein Mensch einen treuen Hund streicheln mochte.

Eher ein kühner Wolf bist du, Pham Nuwen. Ihnen blieben nur noch Sekunden, bis sie vollends in den Tiefen waren, wo die verschmolzenen Körper des GEGENMITTELS und Pham Nuwens für immer sterben und alle Gedanken erlöschen würden. Die Erinnerungen verschoben sich. Der Geist des ALTEN trat beiseite und gab Gewissheiten frei, die er die ganze Zeit über verborgen hatte. Ja, ich habe dich aus mehreren Körpern auf dem Schrottplatz bei Relais gebaut. Doch es gab nur einen Geist und ein Ensemble von Erinnerungen, die ich wiedererwecken konnte. Ein starker, kühner Wolf — so stark, dass ich dich niemals hätte beherrschen können, wenn ich dich nicht zuvor in Zweifel gestürzt hätte…

Irgendwo glitten Barrieren beiseite: das endgültige Versagen der Herrschaft des ALTEN — oder ein letztes Geschenk. Welches von beiden, war nun egal, denn was immer der Geist sagte, die Wahrheit stand deutlich vor Pham Nuwen, und nichts würde sein Dasein leugnen:

Canberra, Cindi, die Jahrhunderte unterwegs mit der Dschöng Ho, der letzte Flug der Wildgans. Es war alles wirklich.

Er schaute zu Ravna auf. Sie hatte so viel getan. Sie hatte so vieles hingenommen. Und obwohl sie nicht geglaubt hatte, hatte sie geliebt. Es ist gut. Es ist gut. Er versuchte, sie zu erreichen, es ihr zu sagen. O Ravna, ich bin wirklich!

Dann brach das ganze Gewicht der Tiefen über ihn herein, und er war nicht mehr.

Abermals wurde gegen die Tür geklopft. Sie hörte Pilger zur Luke gehen. Ein Lichtkeil fiel herein. Ravna vernahm Jefris schrille Stimme: »Die Sonne ist wieder da! Die Sonne ist wieder da!… He, warum ist es hier drin so dunkel?«

Pilger: »Das Artefakt — das Ding, dem Pham geholfen hat — sein Licht ist ausgegangen.«

»Du meinst, ihr habt alle Hauptlampen aus gelassen?« Die Luke glitt ganz auf, und der Kopf des Jungen zeichnete sich zusammen mit etlichen Welpenköpfen gegen den Fackelschein draußen ab. Er stieg über die Schwelle. Das Mädchen war direkt hinter ihm. »Die Steuerung ist gleich da drüben — siehst du?«

Und weiches weißes Licht schien auf die gekrümmten Wände. Alles war gewöhnlich und menschlich, außer… Jefri stand starr, die Augen aufgerissen, die Hand vor dem Mund. Er wandte sich zu seiner Schwester, um Halt zu finden. »Was ist das? Was ist das?«, klang seine Stimme von der offenen Luke her.

Jetzt hätte Ravna gewünscht, nichts sehen zu können. Sie sank auf die Knie. »Pham?«, sagte sie leise, obwohl sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde. Was von Pham Nuwen übrig war, lag inmitten des GEGENMITTELS. Das Artefakt leuchtete nicht mehr. Seine verwickelten Grenzen waren stumpf und dunkel. Mehr als allem anderen ähnelte es verfaultem Holz — aber Holz, das den Mann, der bei ihm lag, umschlang und durchdrang. Es gab kein Blut, keine Verbrennungen. Wo das Artefakt Pham durchbohrt hatte, war ein Fleck wie von Asche, und das Fleisch schien mit dem Ding verschmolzen zu sein.

Pilger stand eng rings um sie, seine Nasen berührten fast die reglose Gestalt. Der bittere Geruch hing noch in der Luft. Es war der Geruch des Todes, doch nicht einfach von verrottetem Fleisch: Gestorben war hier das Fleisch und noch etwas.

Sie warf einen Blick auf ihr Handgelenk. Die Anzeige war auf ein paar alphanumerische Zeilen geschrumpft. Es konnten keine Ultraantriebe entdeckt werden. Die Statuswerte der ADR zeigten Probleme mit der Steuerung der räumlichen Orientierung. Sie befanden sich tief in der Langsamen Zone, außer Reichweite jeglicher Hilfe, außer Reichweite der Pestflotte. Sie schaute Pham ins Gesicht. »Du hast es geschafft, Pham. Du hast es wirklich geschafft.« Sie sagte die Worte leise, zu sich selbst.

Die Bögen und Schleifen des GEGENMITTELS waren jetzt etwas Zerbrechliches und Sprödes. Der Körper Phan Nuwens war ein Teil davon. Wie konnten sie diese Bögen zerbrechen, ohne…? Pilger und Johanna drängten Ravna sanft aus dem Frachtraum hinaus. Sie erinnerte sich kaum an die nächsten paar Minuten, daran, wie sie den Körper heraustrugen. Blaustiel und Pham, beide unwiederbringlich verloren.