Nach ein paar Minuten hatte er eine hübsche ebene Stelle gefunden, überall Sand und vom schlimmsten Ansturm des Meeres abgeschirmt. Er paddelte zurück zu der Stelle, wo das Meer gegen die steinigen Korallen schlug — und hätte sich beim Herausklettern beinahe ein paar Beine gebrochen. Es war einfach unmöglich, mit allen gleichzeitig herauszukommen, und für ein paar Augenblicke war jedes Glied auf sich allein gestellt. »He, ihr da drüben!«, rief er Grünmuschel und Ravna zu. Er saß da und leckte sich Schnittwunden von den Korallen, während sie das weiße Gestein überquerten. »Ich habe eine Stelle gefunden, friedlicher als die hier…« Er deutete auf die Brecher und Spritzer.
Grünmuschel rollte ein Stück näher an den Rand, zögerte dann. Ihre Wedel wandten sich hin und her, die gekrümmte Uferlinie entlang. Braucht sie Hilfe? Pilger ging auf sie zu, aber Ravna setzte sich einfach neben die Fahrerin und lehnte sich an die Plattform mit den Rädern. Nach einer Weile gesellte sich Pilger zu ihnen. Eine Zeit lang saßen sie da, der Mensch schaute aufs Meer hinaus, die Fahrerin in unbekannte Richtung und das Rudel fast überallhin… Hier war Frieden, trotz (oder wegen?) der tosenden Brandung und der Gischt. Er spürte, wie seine Herzen langsamer schlugen, und lag einfach faul in der Sonne. Auf jedem Fell hinterließ das verdunstende Meerwasser einen glitzernden Salzpuder. Sich selbst zu putzen, schmeckte zuerst gut, aber… ih, zu viel trockenes Salz war eine von den schlechten Erinnerungen. Grünmuschels Wedel breiteten sich leicht über ihm aus, zu fein und schmal, um viel Schatten zu spenden, aber eine sanfte Annehmlichkeit.
Sie blieben lange sitzen — lange genug, dass Pilger später auf manchen Nasen Blasen und sogar die dunkelhäutige Ravna einen Sonnenbrand hatte.
Die Fahrerin summte nun, eine Art Lied, das nach langen Minuten Sprache wurde. »Es ist ein gutes Meer, ein gutes Ufer. Es ist das, was ich jetzt brauche. Dasitzen und eine Zeit lang in meinem eigenen Tempo nachzudenken.«
Und Ravna sagte: »Wie lange? Du wirst uns fehlen.« Das war nicht nur Höflichkeit. Jedem würde sie fehlen. Selbst geistesabwesend war Grünmuschel die Expertin für die verbliebene Automatik der ADR.
»Lange nach eurem Maß, fürchte ich. Ein paar Jahrzehnte…« Sie betrachtete (?) die Wellen noch ein paar Minuten lang. »Es zieht mich jetzt dort hinab. Ha-ha. Fast wie einen Menschen… Ravna, du weißt, dass meine Erinnerungen jetzt verwirrt sind. Ich hatte zweihundert Jahre zusammen mit Blaustiel. Manchmal war er kleinlich und ein bisschen strunkig, aber er war ein großartiger Kauffahrer. Wir hatten viele wunderbare Zeiten miteinander. Und zum Schluss konntet sogar ihr seinen Mut sehen.«
Ravna nickte.
»Wir haben auf dieser letzten Reise ein schreckliches Geheimnis entdeckt. Ich glaube, das hat ihn ebenso sehr verletzt wie am Ende das… Feuer. Ich bin dir dankbar, dass du uns beschützt hast. Jetzt will ich denken, will die Brandung und die Zeit an meinen Erinnerungen arbeiten und sie aussortieren lassen. Vielleicht, wenn dieser armselige Nachbau eines Skrods es hergibt, werde ich sogar eine Chronik unserer Fahrt machen.«
Sie berührte Wanderer an zweien seiner Köpfe. »Eins noch, Herr Pilger. Sie vertrauen uns sehr, dass Sie mir die Freiheit Ihrer Meere schenken… Aber Sie sollten wissen, Blaustiel und ich waren schwanger. Ich habe unsere gemeinsamen Eier in mir. Lassen Sie mich hier, und es wird in künftigen Jahren neue Skrodfahrer bei dieser Insel geben. Bitte halten Sie das nicht für Betrug. Ich möchte die Erinnerung an Blaustiel mit Kindern bewahren — aber bescheiden; unsere Art hat zehn Millionen Welten mit anderen geteilt und ist nie ein schlechter Nachbar gewesen… außer auf eine Weise, von der Ihnen Ravna erzählen kann und die hier ausgeschlossen ist.«
Am Ende war Grünmuschel überhaupt nicht an dem geschützten Streifen Wasser interessiert, den Wanderer entdeckt hatte. Sie wollte von allen Stellen hier diejenige, wo der Ozean am heftigsten anbrandete. Sie brauchten mehr als eine Stunde, um einen Weg hinab zu diesem wilden Ort zu finden, und eine weitere halbe Stunde, um Fahrer und Skrod sicher ins Wasser zu bringen. Wanderer unternahm nicht einmal den Versuch, hier zu schwimmen. Die Korallenfelsen standen auf allen Seiten dicht, schleimig grün an manchen Stellen, rasierklingenscharf an anderen. Fünf Minuten in diesem Fleischwolf, und er könnte zu schwach sein, wieder herauszukommen. Seltsam, dass es hier so viel Grün im Wasser gab. Es war fast trübe von Seegräsern und Schwärmen von Gischtmücken.
Ravna war ein bisschen besser dran; an den tiefsten Stellen konnte sie noch auf den Füßen stehen — die meiste Zeit zumindest. Sie stand in der Gischt, stützte sich mit den Füßen und einem Arm und half der Skrodfahrerin über die Felsschwelle. Als er erst einmal drin war, fiel der Mechanismus gewichtig auf den Grund neben dem Menschen.
Ravna schaute zu Pilger auf und machte eine Geste, die ›in Ordnung‹ bedeutete. Dann hockte sie sich einen Moment lang hin, an den Skrod geklammert, um nicht weggerissen zu werden. Die Brandung schlug über den beiden zusammen und verdeckte alles außer Grünmuschels emporragenden Wedeln. Als die Gischt zurückwich, sah er, dass die unteren Wedel sich über den Rücken des Menschen breiteten, und hörte ein Summen des Voders, das in all dem anderen Lärm nicht recht zu verstehen war.
Der Mensch stand auf und stapfte durch das hüfttiefe Wasser auf die von Wanderer besetzten Felsen zu. Wanderer hielt sich an sich selbst fest und langte hinab, um Ravna ein paar Pfoten zu reichen. Sie kletterte über grünen Schleim und weiße Korallen herauf.
Er folgte dem humpelnden Zweibeiner bis zu der Stelle, wo die tropischen Farne am höchsten wuchsen. Im Schatten machten sie Halt, sie setzte sich hin und lehnte den Rücken gegen die Matte, die das Stammgeflecht eines Farns bildete. Mit den Schnitt- und Schürfwunden sah sie fast so verletzt aus, wie Johanna nur jemals ausgesehen hatte.
»Bist du in Ordnung?«
»Ja.« Sie fuhr sich mit den Händen durch das zerzauste Haar. Dann schaute sie ihn an und lachte. »Wir sehen beide wie Verunglückte aus.«
Hm, ja. Ziemlich bald würde er ein Bad in frischem Wasser brauchen. Er blickte sich um und nach draußen. Vom Kamme des Atollrings konnten sie Grünmuschels Nische sehen. Ravna schaute ebenfalls dort hinab; die kleinen Verletzungen waren vergessen.
»Wie kann ihr die Stelle bloß gefallen?«, wunderte sich Wanderer. »Stell dir vor, wie das Wasser auf dich einschlägt, wieder und wieder und wieder.«
Ein Lächeln lag auf Ravnas Gesicht, aber sie hielt den Blick auf die Brandung gerichtet. »Es gibt seltsame Dinge im Weltall, Pilger; ich bin froh, dass du von manchen noch nie etwas gelesen hast. Wo die Brandung auf den Strand trifft — eine Menge hübsche Sachen können da passieren. Du hast all das Leben gesehen, das in diesem Wahnsinn schwimmt. So, wie eine Pflanze die Sonne liebt, gibt es Geschöpfe, die die Energiedifferenz unten an dieser Uferkante zu nutzen wissen. Dort haben sie die Sonne und die Brandung und den Reichtum der Suspension… Trotzdem könnten wir noch eine Weile aufpassen.« Zwischen jedem Hereinströmen der Wellen sahen sie Grünmuschels Wedel. Er wusste schon, dass diese Gliedmaßen nicht kräftig waren, doch jetzt begriff er, dass sie sehr fest sein mussten. »Mit ihr wird alles in Ordnung sein, obwohl dieser billige Skrod vielleicht nicht lange hält. Am Ende hat die arme Grünmuschel vielleicht überhaupt keine Automatik mehr — sie und ihre Kinder, die geringsten von allen Fahrern.«