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»Die Einzelheiten? Wir wissen inzwischen ziemlich gut darüber Bescheid. Seit dem Untergang von Straum hat sich der ALTE sehr für Menschen interessiert. Leider standen hier keine Freiwilligen zur Verfügung. Er begann uns zu manipulieren, indem er unsere Aufzeichnungen über die Müllhalde umschrieb. Wir haben eine saubere Aufzeichnung von einem Filialbüro restauriert: Der Bagger ist wirklich dem Wrack eines Menschenschiffs begegnet, es gab menschliche Körperteile darin — aber nichts, was wir hätten wiederbeleben können. Der ALTE muss das, was er dort vorgefunden hat, zusammengesetzt und angepasst haben. Vielleicht hat er Erinnerungen hergestellt, indem er von Daten über menschliche Kultur extrapolierte. Im Nachhinein können wir seine ersten Anforderungen mit seinem Eindringen in unsere Müllhalde in Zusammenhang bringen.«

Grondr rasselte weiter, doch Ravna hörte nicht hin. Ihre Augen starrten blicklos durch den Bildschirm hindurch. Wir sind kleine Fische in der Tiefe, durch die Entfernung geschützt vor den Fischern da oben. Doch selbst wenn sie hier unten nicht leben können, haben die schlauen Fischersleute immer noch ihre Verlockungen und tödlichen Tricks. Und Pham… »Pham Nuwen ist also nur ein Roboter«, sagte sie leise.

»Nicht ganz. Er ist ein Mensch, und mit seinen gefälschten Erinnerungen kann er autonom operieren. Doch wenn der ALTE volle Bandbreite kauft, ist das Geschöpf voll und ganz ein ferngesteuerter Abgesandter Apparat.« Hand und Auge einer MACHT.

Grondrs Mundpartien klickten in demütiger Verlegenheit. »Ravna, wir wissen nicht, was vergangene Nacht alles geschehen ist; es gab keinen Grund, Sie unter strikter Beobachtung zu halten. Doch der ALTE versichert uns, dass sein Bedarf an direkter Untersuchung erledigt sei. Jedenfalls werden wir ihm nie wieder genug Bandbreite geben, dass er es abermals versuchen kann.«

Ravna nickte kaum. Ihr Gesicht fühlte sich auf einmal kalt an. Nie zuvor hatte sie solche Wut und solche Furcht gleichzeitig verspürt. Sie stand da in einer Welle von Benommenheit und ging vom Telefon weg, ignorierte Grondrs besorgte Rufe. Die Geschichten aus der Schule taumelten ihr durch den Sinn, dazu die Mythen von einem Dutzend Religionen. Konsequenzen, Konsequenzen. Vor manchen konnte sie sich schützen, bei anderen war nichts mehr zu machen.

Und irgendwo aus einem entlegenen Winkel ihres Denkens kroch ein verrückter Gedanke unter dem Entsetzen und der Wut hervor. Acht Stunden lang hatte sie einer MACHT von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Das war ein Erlebnis von der Art, der ein Kapitel in Lehrbüchern gewidmet wurde, so etwas, wie es immer weit weg geschah und falsch berichtet wurde. Und es war etwas, das niemand in ganzen Gebiet von Sjandra Kei auch nur annähernd für sich in Anspruch nehmen konnte. Bis jetzt.

ZEHN

Johanna war lange Zeit in dem Boot. Die Sonne ging nie unter, obwohl sie bald tief hinter ihr stand, bald hoch vor ihr; jetzt war alles bewölkt, und Regen spritzte von dem Öltuch über ihren Decken. Sie verbrachte die Stunden in einem bedrückenden Dämmerzustand. Dinge geschahen, die nur Träume sein konnten. Da waren Kreaturen, die an ihrer Kleidung zerrten, überall klebte Blut. Sanfte Hände und Rattenschnauzen verbanden ihre Wunden und flößten ihr kühles Wasser ein. Wenn sie sich herumwarf, richtete Mutti ihre Laken und tröstete sie mit den sonderbarsten Lauten. Stundenlang lag jemand Warmes neben ihr. Manchmal war es Jefri, öfter war es ein großer Hund, ein Hund, der schnurrte.

Der Regen hörte auf. Die Sonne stand links vom Boot, aber hinter einem kalten, knatternden Schatten verborgen. Nach und nach konnte sie den Schmerz unterscheiden. Ein Teil davon war in ihrer Brust und in der Schulter, er durchfuhr sie, wann immer das Boot schwankte. Der andere Teil war in ihren Eingeweiden, eine Leere, die nicht einfach Übelkeit war… sie hatte solchen Hunger, solchen Durst.

Immer mehr erinnerte sie sich, statt zu träumen. Es gab Albträume, die nicht weichen wollten. Sie waren wirklich geschehen. Sie geschahen jetzt.

Die Sonne schaute bald aus dem Gewirr von Wolken hervor, bald verschwand sie dahinter. Sie glitt langsam tiefer über den Himmel, bis sie fast hinter dem Boot stand. Johanna versuchte sich zu erinnern, was Vati gesagt hatte, kurz bevor… alles schlimm wurde. Sie waren in der Arktis dieses Planeten, im Sommer. Also musste der tiefste Punkt der Sonnenbahn im Norden sein, und ihr Doppelrumpfboot segelte ungefähr südwärts. Wohin sie auch fuhren, sie entfernten sich mit jeder Minute weiter vom Raumschiff und von jeder Hoffnung, Jefri zu finden.

Manchmal war das Wasser wie offene See, wenn die Berge fern oder in tiefhängenden Wolken verborgen waren. Manchmal fuhren sie durch Meerengen, nahe an nackten Felswänden vorbei. Sie hatte nicht geahnt, dass ein Segelboot so schnell fahren oder so gefährlich sein könnte. Vier von den Rattenwesen arbeiteten verzweifelt, um sie von den Felsen fernzuhalten. Sie sprangen flink von der Mastplattform zur Reling, manchmal stellte sich einer auf des anderen Schultern, um ihre Reichweite zu vergrößern. Das doppelrümpfige Boot neigte sich und ächzte in dem plötzlich aufgewühlten Wasser. Dann waren sie hindurch, die Berge wichen in friedliche Entfernung zurück und glitten langsam nach hinten.

Eine Zeit lang täuschte sie ein Delirium vor. Sie stöhnte, sie wand sich. Sie beobachtete. Die Bootsrümpfe waren lang und schmal, fast wie Kanus. Der Segelmast war zwischen ihnen aufgerichtet. Der Schatten in ihren Träumen war das Segel gewesen, das im kalten, klaren Wind knatterte. Der Himmel war eine Lawine von Grautönen, hell und dunkel. Es gab Vögel dort oben. Sie stießen hinter dem Mast herab, umkreisten ihn wieder und wieder. Ein Zwitschern und Zischen war rings um sie. Doch das Geräusch kam nicht von den Vögeln.

Es waren die Monster. Sie beobachtete sie unter gesenkten Lidern hervor. Sie waren von derselben Art, die Mutti und Vati umgebracht hatten. Sie trugen sogar die gleiche komische Kleidung, graugrüne Jacken mit Steigbügeln und Taschen. Hunde oder Wölfe, hatte sie zuvor gedacht. Das war nicht die richtige Beschreibung. Gewiss, sie hatten vier schlanke Beine und spitze kleine Ohren. Aber mit ihren langen Hälsen und den gelegentlich rötlichen Augen konnten sie ebenso gut große Ratten sein.

Und je länger sie sie beobachtete, um so schrecklicher erschienen sie ihr. Ein unbewegliches Bild konnte diesen Schrecken niemals wiedergeben, man musste sie in Aktion sehen. Sie schaute zu, wie vier von ihnen — die auf ihrer Seite des Bootes — mit ihrem Datio spielten. Der Rosa Olifant war in einem Netzbeutel im Heckteil des Bootes befestigt. Jetzt wollten die Bestien ihn sich näher anschauen. Zuerst sah es wie eine Zirkusnummer aus, wie die Köpfe der Wesen hin und her schnellten. Doch jede Bewegung war so präzise, so abgestimmt auf alle anderen. Sie hatten keine Hände, aber sie konnten Knoten lösen, indem jeder ein Stück Tau im Maul hielt und sie ihre Hälse um die der anderen schlangen. Gleichzeitig presste einer mit den Krallen das lose Netz fest gegen die Reling. Es war, als betrachtete sie Puppen, die als Gruppe ferngesteuert wurden.

Es dauerte nur Sekunden, und sie hatten das Datio aus dem Beutel geholt. Hunde hätten es auf den Boden des Rumpfes gleiten lassen und dann mit ihren Nasen herumgeschoben. Nicht so diese Wesen: Zwei legten es auf eine Querbank, während ein dritter es mit der Pfote festhielt. Sie stocherten an den Rändern herum, vor allem an den Plüschseiten und den Schlappohren. Sie drückten und schnüffelten, doch mit klar erkennbarem Zweck. Sie versuchten es zu öffnen.

Zwei Köpfe tauchten über der Reling des anderen Rumpfes auf. Sie machten die kollernden, zischenden Laute, die eine Mischung aus einem Vogelruf und dem Geräusch waren, wenn sich jemand übergibt. Einer von denen auf ihrer Seite blickte zurück und stieß ähnliche Laute aus. Die drei anderen spielten weiter an den Verschlüssen des Datios.