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Minuten später befanden sich die Reisenden in Cherhog-Wagen und fuhren über das Kopfsteinpflaster der Straße hinauf zu den Stadtmauern. Soldaten bahnten den Weg durch die Menge. Schreiber Yaqueramaphan winkte hierhin und dahin, ganz der noble Held. Wanderer kannte mittlerweile die scheue Unsicherheit, die in Schreiber verborgen war. Das mochte der Höhepunkt seines ganzen bisherigen Lebens sein.

Selbst wenn er es gewollt hätte, konnte sich Wickwracknarb nicht so verausgaben. Da eins von Narbs Trommelfellen verletzt war, ließen ausholende Gesten den Gang seiner Gedanken stocken. Er hockte sich auf die Wagenbänke und hielt nach allen Seiten Ausschau:

Abgesehen vom äußeren Hafen, glich der Ort überhaupt nicht dem, woran er sich von seinem Besuch vor fünfzig Jahren erinnerte. Ein Pilger, der nach solch einem Zeitraum zurückkehrte, konnte es sogar langweilig finden, wenn sich kaum etwas verändert hatte. Das aber — es war fast unheimlich.

Der große Wellenbrecher war neu. Es gab doppelt so viele Piers, und Multiboote mit Flaggen, die er auf dieser Seite der Welt niemals gesehen hatte. Die Straße war schon dagewesen, aber schmal, und es waren nur ein Drittel so viel Nebenstraßen abgegangen. Die Stadtmauern hatten damals eher dazu gedient, die Cherhogs und Froschhennen in der Stadt zu halten, als Feinde draußen. Nun waren die Mauern zehn Fuß hoch, schwarzer Stein, der sich hinzog, soweit Wanderer sehen konnte… Und letztes Mal hatte es kaum Soldaten gegeben, jetzt waren sie überall. Das war keine gute Veränderung. Er fühlte, wie Narbs Magen schwerer wurde; Soldaten und Kämpfe waren nicht gut.

Sie fuhren durch die Stadttore und an einem Marktlabyrinth vorbei, das sich über Morgen weit erstreckte. Die Nebenstraßen waren nur fünfzig Fuß breit, und enger, wo Tuchballen, Möbelstände und Kisten mit frischem Obst vorstanden. Gerüche von Früchten und Gewürzen und Lack hingen in der Luft. Der Ort war so überfüllt, dass das Feilschen beinahe zur Orgie wurde und der benommene Wanderer um ein Haar das Bewusstsein verloren hätte. Dann waren sie in einer engen Straße, die im Zickzack durch Reihen von teilweise aus Fachwerk errichteten Gebäuden lief. Hinter den Dächern ragten schwere Befestigungen auf. Zehn Minuten später befanden sie sich im Hof der Burg.

Sie stiegen von den Wagen, und der Reichskämmerer ließ den Zweibeiner auf eine Trage legen.

»Holzschnitzer — wird er uns jetzt empfangen?«, fragte Schreiber.

Der Bürokrat lachte. »Sie. Holzschnitzerin hat ihr Geschlecht vor mehr als zehn Jahren gewechselt.«

Wanderers Köpfe fuhren überrascht herum. Was hatte das zu bedeuten? Die meisten Rudel verändern sich mit der Zeit, doch er hatte von Holzschnitzer nie anders als von ›ihm‹ gehört. Beinahe verpasste er, was der Reichskämmerer als Nächstes sagte.

»Noch besser. Ihr ganzer Rat muss sehen…, was ihr gebracht habt. Kommt herein.« Er scheuchte die Wachen beiseite.

Sie durchquerten einen Vorsaal, fast breit genug, dass zwei Rudel nebeneinander gehen konnten. Der Kämmerer ging voran, gefolgt von den Reisenden und dem Arzt mit der Trage des Fremden. Die Wände waren hoch, mit silberdurchwirktem Steppstoff gepolstert. Es war weitaus großartiger als damals… und abermals beunruhigend. Es gab kaum Statuen, abgesehen von ein paar, die aus früheren Jahrhunderten stammten.

Aber es gab Bilder. Er stockte, als er die ersten erblickte, und hörte hinter sich Schreiber nach Luft schnappen. Wanderer hatte Kunst in aller Welt gesehen: Die Meuten in den Tropen bevorzugten abstrakte Wandmalereien, Kleckse von irrsinnigen Farben. Die Inselbewohner der Südmeere hatten nie die Perspektive entdeckt, auf ihren Aquarellen rutschten entfernte Objekte einfach in die obere Hälfte des Bildes. In der Langseen-Republik waren repräsentative Stile gegenwärtig in Mode, vor allem Polyptychen, die den Seheindruck eines ganzen Rudels vermittelten.

Aber so etwas wie dies hier hatte Wanderer nie zu Gesicht bekommen. Die Bilder waren Mosaiken, jedes Element ein Keramikquadrat von etwa einem Zoll Seitenlänge. Es gab keine Farbe, nur vier Grautöne. Aus ein paar Fuß Entfernung verlor sich das Grau, und… es waren die vollkommensten Landschaften, die Wanderer je gesehen hatte. Alle zeigten Blicke von Bergen rings um Holzschnitzerheim. Abgesehen vom Fehlen der Farben hätten es Fenster sein können. Unten war jedes Bild von einem rechteckigen Rahmen umgeben, aber oben waren sie unregelmäßig, das Mosaik hörte einfach am Horizont auf. Die stoffbespannte Wand des Saals stand da, wo auf den Bildern Himmel hätte sein müssen.

»Also nun, mein Lieber! Ich denke, du wolltest mit Holzschnitzerin sprechen.« Die Bemerkung war an Schreiber gerichtet. Yaqueramaphan war längs der Bilder ausgeschwärmt, den ganzen Saal entlang saß jeder von ihm vor einem anderen Bild. Er wandte einen Kopf, um nach dem Kämmerer zu schauen. Seine Stimme klang wie betäubt. »Seelentod! Es ist, als wäre ich Gott, als hätte ich ein Glied auf jedem Berg und könnte alles gleichzeitig sehen.« Aber er raffte sich auf und beeilte sich, den anderen zu folgen.

Der Vorsaal führte in einen der größten Versammlungsräume in einem Gebäude, die Wanderer je gesehen hatte.

»Größer haben sie es in der Republik auch nicht«, sagte Schreiber mit sichtlicher Bewunderung, während er die drei Reihen von Logen hinaufblickte. Sie standen allein mit dem Fremden unten.

»Hmm.« Außer dem Kämmerer und dem Arzt waren schon fünf weitere Rudel im Raum. Allmählich erschienen noch mehr. Die meisten waren wie Magnaten der Republik gekleidet, ganz in Edelsteinen und Pelz. Einige wenige trugen die einfachen Jacken, an die er sich vom letzten Besuch erinnerte. Schade. Holzschnitzers kleine Siedlung war zu einer Großstadt geworden und nun zu einem Nationalstaat. Wanderer fragte sich, ob der König — die Königin — jetzt noch wirkliche Macht hatte. Er richtete einen Kopf exakt auf Schreiber aus und hochsprach zu ihm: »Sage vorläufig nichts über den Bilderkasten.«

Yaqueramaphan blickte zugleich verwundert und verschwörerisch drein. »Ja… ja. Ein Faustpfand?«

»So ähnlich.« Wanderers Blicke glitten hin und her über die Logen. Die meisten Rudel traten mit einer Pose krampfhaften Dünkels ein. Er lächelte in sich hinein. Ein Blick auf den Boden des Raumes war genug, um ihre Selbstgefälligkeit zu erschüttern. Die Luft über ihm war mit surrenden Gesprächen erfüllt. Keins von den Rudeln sah wie Holzschnitzerin aus. Allerdings dürfte sie nur noch wenige von ihren alten Gliedern haben, er konnte sie nur an ihrer Art und ihrem Verhalten erkennen. Das sollte keine Rolle spielen. Er hatte manche Freundschaften länger bewahrt, als die Lebensdauer jedes einzelnen Gliedes betrug. Aber in anderen Fällen hatte sich der Freund binnen eines Jahrzehnts verändert, hatte andere Ansichten, und aus Zuneigung war Feindseligkeit geworden. Er hatte damit gerechnet, dass Holzschnitzer der Alte wäre. Nun jedoch…

Ein kurzer Trompetenton erklang, fast wie ein Ruf zur Ordnung. Die Breittüren einer unteren Loge glitten auf, und ein Fünfsam erschien. Wanderer fühlte, wie ihn ein Schrecken durchzuckte. Das war wirklich Holzschnitzer, doch so… falsch zusammengesetzt. Ein Glied war so alt, dass die übrigen ihm helfen mussten. Zwei waren kaum mehr als Welpen, und einer davon sabberte andauernd. Das größte Glied hatte blinde weiße Augen. Dergleichen konnte man in einer verkommenen Gegend des Hafenviertels sehen oder in der letzten Generation von Inzucht.

Sie blickte auf Wanderer herab und lächelte beinahe so, als habe sie ihn erkannt. Sprechen ließ sie das blinde Glied. Die Stimme war klar und fest. »Fahr bitte fort, Feilonius.«

Der Kämmerer nickte. »Wie Ihr wünscht, Euer Majestät.« Er deutete nach unten auf das Fremde. »Das ist der Grund für diese eilige Zusammenkunft.«