»Also. Unsere vorrangige Aufgabe muss es sein, dieses Geschöpf zu retten, es zum Freund zu machen und seine wahre Natur in Erfahrung zu bringen.« Ihre Köpfe senkten sich, und sie schien in sich selbst verloren zu sein — oder vielleicht einfach nur müde. Unvermittelt wandte sie ihrem Kämmerer mehrere Köpfe zu. »Schafft das Wesen in die Hütte neben meiner.«
Feilonius fuhr überrascht zusammen. »Gewiss nicht, Euer Majestät! Wir haben gesehen, dass es feindselig ist. Und es braucht medizinische Behandlung.«
Holzschnitzerin lächelte, und ihre Stimme wurde samten. Wanderer kannte diesen Tonfall von früher her »Vergisst du, dass ich mich auf Operationen verstehe? Vergisst du, dass ich… die Holzschnitzerin bin?«
Feilonius leckte sich die Lippen und blickte hin zu den anderen Ratgebern, dann sagte er: »Nein, Euer Majestät. Es soll sein, wir Ihr es wünscht.«
Und Wanderer hätte am liebsten Hurra gerufen. Vielleicht hatte Holzschnitzerin doch noch das Sagen.
ZWÖLF
Wanderer saß Rücken an Rücken auf den Stufen seiner Wohnung, als Holzschnitzerin ihn tags darauf besuchen kam. Sie kam allein und trug die einfachen grünen Jacken, an die er sich von seinem letzten Besuch erinnerte.
Er verneigte sich nicht, noch ging er ihr entgegen. Sie blickte ihn einen Moment lang kühl an und setzte sich nur ein paar Ellen entfernt hin.
»Wie geht es dem Zweibeiner?«, fragte er.
»Ich habe den Pfeil herausgeholt und die Wunde genäht. Ich glaube, das Geschöpf wird überleben. Meine Ratgeber waren zufrieden: Es verhielt sich nicht wie ein vernünftiges Wesen. Es kämpfte sogar noch, als es festgebunden war, als hätte es keine Vorstellung von Chirurgie… Wie geht es deinem Kopf?«
»Gut, solange ich mich nicht bewege.« Der Rest von ihm — Narb — lag hinter der Türöffnung im dunklen Innern der Hütte. »Das Trommelfell heilt gut zu, denke ich. In ein paar Tagen werde ich wohlauf sein.«
»Gut.« Ein zerstörtes Trommelfell konnte andauernde geistige Schwierigkeiten bedeuten oder ein neues Glied notwendig machen, und dann war es schwer, für das in die Stille geschickte Solo eine Verwendung zu finden. »Ich erinnere mich an dich, Wanderer. Alle Glieder sind andere, aber du bist wirklich der Wanderer von früher. Du hattest ein paar großartige Geschichten zu erzählen. Ich hatte Freude an deinem Besuch.«
»Und mir war es eine Freude, dem großen Holzschnitzer zu begegnen. Aus diesem Grunde bin ich zurückgekehrt.«
Sie legte ironisch einen Kopf schief. »Dem großen Holzschnitzer von einst oder dem Wrack von jetzt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Was ist geschehen?«
Sie antwortete nicht sofort. Einen Moment lang saß sie da und blickte über die Stadt. Es war bewölkt diesen Nachmittag, Regen zog auf. Der Wind von See her stach ihm kühl in Lippen und Augen. Holzschnitzerin erzitterte und plusterte ihr Fell auf. Schließlich sagte sie: »Ich habe meine Seele sechshundert Jahre lang beisammengehalten — und das nach Vorderkrallen gerechnet. Ich sollte meinen, es ist offensichtlich, was aus mir geworden ist.«
»Die Perversion hat dich nie zuvor befallen.« Für gewöhnlich war Wanderer nicht so direkt. Etwas an ihr drängte ihn zur Offenheit.
»Ja, ein durchschnittliches Inzucht-Rudel sinkt in ein paar Jahrhunderten auf meinen Zustand herab und wird lange vorher schon ein Idiot. Meine Methoden waren viel klüger. Ich wusste, wen ich mit wem kreuzen musste, welche Welpen ich zu behalten und welche ich fortzugeben hatte. So war es immer mein eigenes Fleisch, das meine Erinnerungen bewahrte, und meine Seele blieb rein. Doch ich wusste nicht genug — oder vielleicht habe ich das Unmögliche versucht. Die Auswahl fiel immer schwerer, bis mir nichts weiter übrig blieb, als mich zwischen geistigen und körperlichen Defekten zu entscheiden.« Sie wischte den Sabber weg, und ihrer alle außer dem Blinden schauten über die Stadt hinweg. »Das sind die besten Tage des Sommers, weißt du. Das Leben ist jetzt ein grüner Wahnsinn, es versucht, das letzte bisschen Wärme aus der Jahreszeit herauszupressen.« Und das Grün schien überall zu sein, wo es nur möglich war: Federlaub die Hügelseite hinab und in der Stadt, Farne auf allen näheren Hügelflanken und Heidekraut, das sich zu den grauen Berggipfeln jenseits der Meerenge hinankämpfte. »Ich liebe diesen Ort.«
Er hätte nie geglaubt, dass er den Holzschnitzer von Holzschnitzerheim trösten würde. »Du hast hier ein Wunder vollbracht. Ich habe davon überall auf der anderen Seite der Welt gehört… Und ich wette, dass die Hälfte aller Rudel hier in der Gegend mit dir verwandt ist.«
»J-ja, ich hatte mehr Erfolg, als es sich der kühnste Lebemann je träumen ließe. Es hat mir nie an Geliebten gemangelt, auch wenn ich die Welpen nicht selbst gebrauchen konnte. Manchmal glaube ich, mein Nachwuchs war mein größtes Experiment. Scrupilo und Feilonius stammen größtenteils von mir ab — aber auch Flenser.«
Huch! Das hatte Wanderer nicht gewusst.
»In den letzten Jahrzehnten hatte ich mehr oder weniger mein Schicksal akzeptiert. Ich konnte die Ewigkeit nicht überlisten, irgendwann bald würde ich meine Seele freigeben. Ich ließ den Rat mehr und mehr Macht übernehmen; wie könnte ich die Herrschaft beanspruchen, wenn ich nicht länger ich selbst wäre? Ich wandte mich wieder der Kunst zu — du hast diese einfarbigen Mosaiken gesehen.«
»Ja! Sie sind schön.«
»Ich werde dir gelegentlich meinen Bilderwebstuhl zeigen. Die Arbeit ist langweilig, geht aber fast von selbst. Es war ein hübsches Vorhaben für die letzten Jahre meiner Seele. Aber jetzt — du und dein Fremdes haben alles verändert. Verdammt! Wenn das doch nur vor hundert Jahren geschehen wäre. Was hätte ich daraus gemacht! Weißt du, wir haben mit deinem ›Bilderkasten‹ herumgespielt. Die Bilder sind feiner als alles auf unserer Welt. Sie ähneln ein wenig unseren Mosaiken — so, wie die Sonne einem Leuchtkäfer ähnelt. Millionen von bunten Punkten machen jedes einzelne Bild aus, die einzelnen Stücke sind so klein, dass man sie nur mit einer von Schreibers Linsen sehen kann. Ich habe jahrelang gearbeitet, um ein paar Dutzend Mosaiken zu machen. Der Bilderkasten kann Tausende und Abertausende erzeugen, so schnell, dass sie sich zu bewegen scheinen. Deine Fremden lassen mein Leben geringer erscheinen, als die ersten Lebenszeichen eines Welpen in seiner Wiege.«
Die Königin von Holzschnitzerheim weinte leise, doch ihre Stimme war zornig. »Und nun wird sich die ganze Welt verändern, aber zu spät für solch einen Trümmerhaufen wie mich!«
Fast ohne bewusste Überlegung streckte Wanderer eins seiner Glieder nach der Holzschnitzerin aus. Er ging unangemessen nahe heran: acht Ellen, fünf. Die Interferenz machte ihre Gedanken plötzlich unscharf, doch er spürte, wie sie ruhiger wurde.
Sie lachte vage. »Danke… Seltsam, dass du es nachfühlen kannst. Das größte Problem meines Lebens ist nichts für einen Pilger.«
»Es tat weh, dich so zu sehen.« Das war alles, was ihm zu sagen einfiel.
»Aber ihr Pilger verändert euch immerzu…« Sie schickte eins von sich nahe an ihn heran, sie berührten sich beinahe, und das Denken fiel noch schwerer.
Wanderer sprach langsam, er konzentrierte sich auf jedes einzelne Wort und hoffte, er würde seinen Gedanken nicht vergessen. »Aber ich bewahre doch etwas von einer Seele. Die Teile, die ein Pilger bleiben, müssen eine bestimmte Lebensauffassung haben.« Manchmal kommen große Erkenntnisse im Lärm der Schlacht oder der Intimität. So war es jetzt. »Und — ich glaube, die Welt selbst ist reif für eine Veränderung, nun, da bei uns Zweibeiner vom Himmel fallen. Welche Zeit könnte besser für die Holzschnitzerin sein, um das Alte aufzugeben?«