Und Holzschnitzerin hätte einen Gutteil ihrer Seele für die Bilder hingegeben, die sie schon gesehen hatte. Es gab Sternenlandschaften. Es gab Monde, die blau und grün schienen, oder gestreift orange. Es gab bewegte Bilder von fremden Städten, von Tausenden von Fremden so nahe beieinander, dass sie sich wirklich berührten. Wenn sie in Rudeln lebten, dann waren diese Rudel größer als alles auf der Welt, sogar in den Tropen… Und vielleicht war die Frage unwesentlich; die Städte überstiegen alles, was sie sich jemals vorgestellt hatte.
Schließlich wich Yaqueramaphan zurück. Er ballte sich zusammen. Es lag ein Zittern in seiner Stimme. »D-da ist ein ganzes Weltall drin. Wir könnten es ewig verfolgen, ohne jemals zu wissen…«
Sie schaute auf die beiden anderen. Dieses eine Mal hatte Feilonius seine Selbstgefälligkeit verloren. Er hatte Tintenspuren an allen Lippen. Die Schreibbänke rings um ihn waren mit Dutzenden von Skizzen übersät, manche deutlicher als andere. Er ließ seine Feder fallen und schnappte nach Luft. »Ich sage, wir nehmen, was wir haben, und studieren es.« Er begann die Skizzen einzusammeln und ordentlich aufzustapeln. »Morgen, wenn wir ausgeschlafen sind, werden wir klare Köpfe haben und…«
Scrupilo ließ sich zurückfallen und dehnte sich. Seine Augen hatten vor Aufregung rote Ränder. »Gut. Aber lass die Skizzen hier, Freund Feilonius.« Er ließ einen Kopf nach den Zeichnungen stoßen. »Seht ihr diese hier und diese? Es ist klar, dass wir bei unserem Herumtappen eine Menge leere Ergebnisse kriegen. Manchmal sperrt uns der Bilderkasten einfach aus, aber öfter bekommen wir dieses Bild: Keine Wahlmöglichkeiten, nur ein paar Fremde, die im Walde tanzen und rhythmische Geräusche machen. Wenn wir… sagen« — er wiederholte einen Teil der Lautfolge —, »erhalten wir dieses Bild mit den Stapeln von Stöcken. Der erste mit einem, der zweite mit zweien, und so weiter.«
Holzschnitzerin sah es auch. »Ja. Und eine Gestalt kommt heraus, zeigt auf jeden von den Stapeln und macht ein kurzes Geräusch bei jedem.« Sie und Scrupilo starrten einander an, und jeder sah dasselbe Leuchten in den Augen des anderen: die Begeisterung, etwas zu begreifen, eine Ordnung zu finden, wo scheinbar nur Chaos gewesen war. Es war hundert Jahre her, seit sie zum letzten Mal so etwas gefühlt hatte. »Was immer dieses Ding ist — es versucht, uns die Sprache der Zweibeiner beizubringen.«
An den folgenden Tagen hatte Johanna Olsndot reichlich Zeit zum Nachdenken. Der Schmerz in Brust und Schulter ließ allmählich nach; wenn sie sich vorsichtig bewegte, war es nur wie eine pulsierende wunde Stelle. Sie hatten den Pfeil herausgenommen und die Wunde vernäht. Sie hatte das Schlimmste befürchtet, als sie sie festgebunden hatten und sie die Messer in ihren Mäulern und den Stahl an ihren Krallen sah. Dann hatten sie zu schneiden begonnen; sie hatte nicht gewusst, dass es so großen Schmerz geben könnte.
Noch immer erschauderte sie bei der Erinnerung an die Qual. Aber sie hatte keine Alpträume darüber, wie über…
Mutti und Vati waren tot, sie hatte sie mit eigenen Augen sterben sehen. Und Jefri? Jefri konnte noch am Leben sein. Manchmal vermochte sich Johanna einen ganzen Nachmittag lang Hoffnung zu machen. Sie hatte gesehen, wie die Kälteschläfer am Boden neben dem Schiff verbrannt waren, aber die drinnen hatten vielleicht überlebt. Dann erinnerte sie sich jedesmal daran, wie die Angreifer wahllos alles niedergebrannt und hingemetzelt hatten, bis alle rings um das Schiff tot waren.
Sie war eine Gefangene. Doch vorerst wollten ihr die Mörder wohl. Die Wachen waren nicht bewaffnet — abgesehen von ihren Zähnen und den Klauen. Wenn sie konnten, hielten sie sich von ihr fern. Sie wussten, dass sie sie verletzen konnte.
Sie hielten sie in einer großen dunklen Hütte gefangen. Wenn sie allein war, lief sie hin und her. Die Hundewesen waren Barbaren. Die Operation ohne Betäubung war vermutlich nicht einmal als Folter gedacht gewesen. Sie hatte weder Flugzeuge noch ein Anzeichen von Elektrizität gesehen. Die Toilette war ein Schlitz, den man in eine Marmorplatte geschnitten hatte. Das Loch reichte so tief, dass man kaum ein Aufplatschen am Grunde hörte. Dennoch roch es schlecht. Diese Kreaturen waren so rückständig wie die Menschen in den finstersten Zeitaltern auf der Nyjora. Sie hatten niemals Technik gehabt, oder sie hatten sie gründlich vergessen. Fast hätte Johanna gelächelt. Mutti hatte Romane über schiffbrüchige Heldinnen in verlorenen Kolonien gemocht. Die Hauptsache war meistens, die Technik wieder zu erfinden und das Raumschiff zu reparieren. Mutti interessierte sich…, hatte sich so sehr für Wissenschaftsgeschichte interessiert; sie liebte die Einzelheiten in solchen Geschichten.
Anfangs besaß sie nur Decken, um sich warm zu halten. Dann hatten sie ihr Kleidung gegeben, die wie ihr Overall geschnitten war, aber aus plustrigem Steppstoff. Sie war warm und robust, die Nähte feiner, als sie jemals geglaubt hätte, dass man es ohne Maschine fertigbrächte. Nun konnte sie bequem draußen umhergehen. Der Garten hinter ihrer Hütte war das Beste an dem Ort. Er war ungefähr hundert Meter im Quadrat groß und folgte der Neigung der Hügelflanke. Es gab eine Menge Blumen und Bäume mit langen, federförmigen Blättern. Mit Steinplatten ausgelegte Wege wanden sich durch moosigen Rasen. Es war ein friedlicher Ort, wenn sie ihn friedlich sein ließ, ein wenig wie ihr Hinterhof auf Straum.
Es gab Mauern, doch vom oberen Ende des Gartens konnte sie darüber hinweg sehen. Die Mauern gingen im Zickzack hin und her, und an manchen Stellen sah sie die andere Seite. Die Fensterschlitze waren wie aus dem Geschichtsunterricht: Sie erlaubten einem, seine Pfeile oder Kugeln abzuschießen, ohne selbst ein Ziel abzugeben.
Wenn die Sonne schien, saß Johanna gern da, wo der Geruch der Federblätter am stärksten war, und schaute über die unteren Mauern auf die Bucht. Sie wusste noch nicht sicher, was sie da eigentlich sah. Es gab einen Hafen, der Wald von Spieren war fast wie die Marinas auf Straum. Die Stadt hatte weite Straßen, aber sie liefen im Zickzack, und die Häuser standen alle schief. Stellenweise waren es Steinlabyrinthe mit offenem Dach, von hier oben konnte sie das Muster sehen. Und es gab eine weitere Mauer, die so weit lief, wie sie blicken konnte. Die Berge jenseits waren von grauem Fels und Schneeflecken gekrönt.
Sie konnte die Hundewesen unten in der Stadt sehen. Einzeln konnte man sie wirklich beinahe für Hunde halten (mit Schlangenhälsen und Rattenköpfen). Aber wenn man sie von weitem betrachtete, sah man ihre wahre Natur. Sie bewegten sich immer in kleinen Gruppen, selten mehr als sechs. Innerhalb des Rudels berührten sie einander und arbeiteten mit klugem Geschick zusammen. Aber nie sah sie, dass eine Gruppe einer anderen näher als etwa zehn Meter gekommen wäre. Von ihrem fernen Blickpunkt aus schienen die Glieder eines Rudels zusammenzufließen…, und sie konnte sich vorstellen, dass sie ein einziges Tier mit vielen Gliedmaßen vorsichtig einherschlendern sah, darauf bedacht, keinem ähnlichen Ungeheuer zu nahe zu kommen. Die Schlussfolgerung war mittlerweile unvermeidlich: ein Rudel, ein Geist. Geister, die so böse waren, dass sie die Nähe eines anderen nicht aushielten.