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»Ich habe das Neueste aus Holzschnitzerheim«, sagte Sreck. Er hielt Blätter von Seidenpapier.

Das andere Fremde an Holzschnitzerheim zu verlieren, war ihm einst als schwerer Schlag erschienen. Erst allmählich wurde ihm klar, wie nützlich das werden konnte. Er hatte seine Leute in Holzschnitzerheim. Zuerst hatte er vorgehabt, das andere Fremde töten zu lassen; es wäre leicht gewesen. Aber die Information, die nach Norden durchsickerte, war interessant. Es gab ein paar kluge Köpfe in Holzschnitzerheim. Sie fanden Dinge heraus, die Stahl und dem Meister — dem Fragment des Meisters — entgangen waren. So. Im Grunde war Holzschnitzerheim zu Stahls zweitem Laboratorium für die Fremden geworden, und die Feinde der Bewegung dienten ihm wie jedes andere Werkzeug auch. Die Ironie war unwiderstehlich.

»Sehr gut, Sreck. Bring es in meinen Bau. Ich werde bald dort sein.« Stahl winkte das Weißjack in eine der Nischen und schritt an ihm vorbei. Den Bericht bei Branntwein zu lesen, würde eine angenehme Belohnung für das Tagewerk sein. In der Zwischenzeit gab es andere Pflichten und andere Freuden.

Der Meister hatte mit dem Bau der Burg auf der Verborgenen Insel vor mehr als einem Jahrhundert begonnen, sie wuchs noch immer. In den ältesten Fundamenten, wo ein gewöhnlicher Herrscher vielleicht Verliese eingerichtet hätte, befanden sich die ersten Laboratorien des Flensers. Viele konnten mit Verliesen verwechselt werden — und waren es für ihre Insassen.

Stahl inspizierte alle Labors mindestens einmal pro Zehntag. Nun eilte er durch die tiefsten Etagen. Griller flohen vor dem Licht der Fackeln, die sein Leibwächter trug. In der Luft lag der Geruch faulenden Fleisches. Stahls Pfoten glitten aus, wo Schlick auf dem Stein lag. In regelmäßigen Abständen waren Löcher in den Boden eingelassen. Jedes konnte ein einzelnes Glied aufnehmen, dessen Beine dicht an den Körper gepresst waren. Ein Glied brauchte im Durchschnitt drei Tage, um in solcher Isolation wahnsinnig zu werden. Das resultierende ›Rohmaterial‹ konnte benutzt werden, um leere Rudel zusammenzustellen. In der Regel waren sie nicht mehr als pflanzenhaft dahinvegetierende Körper, doch das war ja alles, was die Bewegung von manchen verlangte. Und manchmal kamen bemerkenswerte Wesen aus jenen Gruben: Sreck zum Beispiel. Sreck der Farblose, wie ihn manche nannten. Sreck der Sture. Ein Rudel jenseits des Schmerzes, jenseits von Wünschen. Sreck hatte die Loyalität eines Uhrwerks, doch eines aus Fleisch und Blut. Er war kein Genie, aber Stahl hätte eine Provinz im Osten für weitere fünf von seiner Sorte hergegeben. Und die Verheißung von mehr solchen Erfolgen ließ Stahl die Isolationsgruben immer wieder verwenden. Er hatte die meisten Trümmer des Überfalls auf diese Weise wiederverwertet…

Stahl stieg auf höhere Etagen zurück, wo die wirklich interessanten Experimente durchgeführt wurden. Die Welt betrachtete die Verborgene Insel mit fasziniertem Grauen. Sie hatten von den unteren Etagen gehört. Doch den wenigsten war klar, welch geringe Rolle jene dunklen Räume in der Wissenschaft der Bewegung spielten. Um eine Seele richtig zu sezieren, brauchte man mehr als Bänke mit Abflusslöchern für das Blut. Die Ergebnisse von den unteren Etagen waren einfach die ersten Schritte in Flensers intellektueller Suche. Es gab große Fragen auf der Welt, Dinge, die jahrtausendelang den Geist von Rudeln beschäftigt hatten. Wie denken wir? Warum glauben wir? Warum ist das eine Rudel ein Genie und das andere ein Tölpel? Vor Flenser hatten die Philosophen endlos darüber debattiert, ohne jemals der Wahrheit näher zu kommen. Selbst Holzschnitzerin war um den Kern der Sache herumstolziert, weil sie ihre traditionelle Ethik nicht aufgeben wollte. Flenser war darauf vorbereitet, die Antworten zu erhalten. In diesen Labors wurde die Natur selbst verhört.

Stahl ging durch eine Kammer, die einhundert Ellen breit war und deren Dach von Dutzenden von Steinsäulen getragen wurde. Auf jeder Seite gab es dunkle Trennschirme, Schiebewände auf winzigen Rädern. Die Höhle konnte wie ein Labyrinth nach jedem beliebigen Muster unterteilt werden. Flenser hatte mit allen möglichen Denkhaltungen experimentiert. In den Jahrhunderten vor ihm hatte es nur einige wenige wirksame Haltungen gegeben: die instinktiv zusammengesteckten Köpfe, der Wachring, verschiedene Arbeitshaltungen. Flenser hatte Dutzende weitere erprobt: Sterne, Doppelringe, Gitternetze. Die meisten waren nutzlos und verwirrend. Im Stern konnte ein einzelnes Glied alle anderen hören, und jedes von diesen konnte nur das eine hören. Folglich mussten alle Gedanken durch das eine Mittelglied hindurchfließen. Das Mittlere konnte nichts Vernünftiges beitragen, doch alle seine Fehleinschätzungen wurden unberichtigt an die Übrigen weitergegeben. Das Ergebnis war trunkene Narrheit… Natürlich war dieses Experiment der Außenwelt mitgeteilt worden.

Doch mindestens eins von den anderen — noch geheim — funktionierte sonderbar gut: Flenser postierte acht Rudel ringsum auf dem Fußboden und auf provisorischen Podesten, trennte sie voneinander durch Schiebewände und brachte dann Glieder aus jedem Rudel in Kontakt mit den entsprechenden in drei anderen Rudeln. In gewissem Sinne schuf er ein Rudel von acht Rudeln. Stahl war mit diesen Experimenten noch befasst. Wenn die Verbindungsglieder hinreichend gut zueinander passten (und das war das Schwierige dabei), war das resultierende Geschöpf viel klüger als ein Wachring. In vielerlei Hinsicht war es nicht so intelligent wie ein einzelnes Rudel mit zusammengesteckten Köpfen, doch manchmal kam es zu frappierenden Einsichten. Ehe er in die Langseen-Republik abreiste, hatte der Meister den Plan entwickelt, den Hauptsaal der Burg so umzubauen, dass die Ratssitzungen in dieser Haltung durchgeführt werden konnten. Stahl hatte diese Idee nicht weiter verfolgt. Es war einfach ein bisschen zu riskant, Stahl hatte andere nie ganz so vollständig dominieren können, wie Flenser es vermochte…

Egal. Es gab andere, wichtigere Projekte. Die Räume vor ihm waren das wahre Herz der Bewegung. Stahls Seele war in diesen Räumen geboren worden, alle von Flensers größten Schöpfungen hatten hier ihren Anfang. In den letzten fünf Jahren hatte Stahl die Tradition fortgeführt… und sie vervollkommnet.

Er ging durch den Saal, der die einzelnen Zimmerfluchten verband. Jede trug ihre Nummer in Gold eingelegt. Bei jeder öffnete er eine Tür und trat teilweise ein. Sein Personal hinterlegte den Bericht über den vergangenen Zehntag immer gleich drinnen. Stahl las jeden rasch durch, dann lugte er mit einem Kopf über die Brüstung der Loge, um einen Blick auf das Experiment darin zu werfen. Die Logen waren gut gepolstert und abgeschirmt; man konnte leicht beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.

Flensers einzige Schwäche (nach Ansicht Stahls) war sein Wunsch, das Überwesen zu schaffen. Der Meister war so voller Zuversicht, er glaubte, jeder Erfolg in dieser Richtung ließe sich auf seine eigene Seele anwenden. Stahl hatte derlei Illusionen nicht. Es war altbekannt, dass Lehrer von ihren Schöpfungen übertroffen werden — von Schülern, Spaltungskindern, Adoptionen oder welchen auch immer. Er, Stahl, war dafür ein perfektes Beispiel, obwohl der Meister das noch nicht wusste.

Stahl hatte beschlossen, Wesen zu schaffen, die jedes auf eine einzige Art überlegen wären — während sie in anderen Beziehungen gebrechenhaft und formbar blieben. In Abwesenheit des Meisters hatte er mit einer Reihe von Experimenten begonnen. Stahl begann von der Pike auf, er identifizierte Vererbungslinien unabhängig von der Rudelzugehörigkeit. Seine Agenten kauften oder stahlen Welpen, die möglicherweise besondere Anlagen hatten. Anders als Flenser, der für gewöhnlich in Annäherung an die Natur Welpen in bestehende Rudel einfügte, schuf Stahl völlig neugeborene Rudel. Seine Welpenrudel hatten keine Erinnerungen oder Seelenfragmente, Stahl besaß von Anfang an die totale Kontrolle.

Natürlich starben die meisten derartigen Konstruktionen rasch. Die Welpen mussten von ihren Säugammen getrennt werden, ehe sie begannen, am Bewusstsein des Erwachsenen teilzuhaben. Das dabei entstehende Rudel wurde ausschließlich durch gesprochene und geschriebene Sprache unterrichtet. Alles, was den Verstand erreichte, konnte unter Kontrolle gehalten werden.