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Rudel von Lehrern und Wachen standen in den Ecken des vergilbenden Mooses und schauten zu. Amdi — und mitunter auch Jefri — machten sich einen großen Spaß daraus, sie herumzuscheuchen. Es war ihnen unten in dem Raum, wo Besucher auf die Balkons kamen, nicht klar geworden, aber die meisten Erwachsenen wurden in Jefris Anwesenheit unsicher. Der Junge war anderthalbmal so groß wie ein gewöhnliches Glied eines Rudels im Stehen. Wenn er näher kam, ballten sich die meisten Rudel zusammen und wichen zurück. Es gefiel ihnen nicht, zu ihm aufschauen zu müssen. Das war dumm, dachte Amdi. Jefri war so groß und dürr, er sah aus, als könne er jeden Moment umfallen. Und wenn er lief, sah es aus, als versuche er verzweifelt das Hinfallen zu vermeiden, ohne es je ganz zu schaffen. Also war Amdis Lieblingsspiel an jenen ersten Tagen Fangen gewesen. Wenn er der Fänger war, legte er es darauf an, Jefri mitten durch das pomadigste Weißjack zu treiben. Und zusammen mit Jefri schafften sie es, an dem Fangspiel drei Personen teilnehmen zu lassen, indem Amdi Jefri verfolgte und ein Weißjack herumrannte, um beiden aus dem Weg zu gehen.

Manchmal taten ihm die Wachen und die Weißjacks Leid. Sie waren so steif und erwachsen. Verstanden sie denn nicht, wie lustig es war, einen Freund zu haben, an den man einfach herangehen, den man richtig berühren konnte?

Es war jetzt meistens Nacht. Das Tageslicht ließ sich ein paar Stunden lang um Mittag herum blicken. Die Dämmerung davor und danach war hell genug, um die Sterne und das Nordlicht auszulöschen, doch zu schwach, als dass man Farben erkannt hätte. Obwohl Amdi sein Leben im geschlossenen Raum verbracht hatte, verstand er die Geometrie der Situation, und er beobachtete gern den Lichtwechsel. Jefri machte sich nicht viel aus dem dunklen Winter — bis der erste Schnee fiel.

Amdi bekam seine ersten Jacken. Und Herr Stahl ließ für den Menschenjungen besondere Kleidung anfertigen, großes plustriges Zeug, das seinen ganzen Körper bedeckte und ihn wärmer hielt, als es ein gutes Fell getan hätte.

Auf einer Seite des Hofes war der Schnee nur sechs Zoll tief, an anderen Stellen aber türmte er sich zu Wehen, höher als Amdis Köpfe. Fackeln waren in Windschirmen an den Wänden angebracht, ihr Licht glitzerte golden auf dem Schnee. Amdi wusste, dass es Schnee gab — doch er hatte noch nie welchen gesehen. Er liebte es, ihn auf eine seiner Jacken zu werfen. Dann starrte er unablässig hin und versuchte, die Schneeflocken zu sehen, ohne dass sein Atem sie schmelzen ließ. Das sechseckige Muster war faszinierend, gerade an der Grenze seiner Sehschärfe.

Aber Fangen machte keinen Spaß mehr, der Mensch konnte durch Schneewehen rennen, wo Amdi im weißen Zeug steckenblieb. Es gab andere Dinge, die der Mensch tun konnte, wunderbare Dinge. Er konnte Kugeln aus Schnee machen und damit werfen. Die Wachen waren deswegen sehr ärgerlich, vor allem, wenn Jefri ein paar Glieder traf. Es war das erste Mal, dass er sie zornig werden sah.

Amdi rannte auf der von Wind blankgefegten Seite des Hofes herum, wich Schneebällen aus und der durchdringenden Frustration. Menschenhände waren solch böse, böse Dinge. Wie gern er ein Paar gehabt hätte — vier Paare! Er umzingelte den Menschen von drei Seiten und rannte geradewegs auf ihn zu. Jefri zog sich rasch in tieferen Schnee zurück, doch zu spät. Amdi traf ihn überall und warf den Zweibeiner rücklings in eine Schneewehe. Es gab ein Scheingefecht, zuschlagende Lippen und Pfoten gegen Jefris Hände und Füße. Doch nun war Amdi obenauf. Der Mensch musste für seine Schneebälle mit einer Menge Schnee büßen, die ihm hinten in die Jacke gesteckt wurde.

Manchmal saßen sie einfach da und betrachteten den Himmel so lange, dass Rümpfe und Pfoten gefühllos wurden. Wenn sie hinter der größten Schneewehe saßen, waren sie von den Fackeln der Burg abgeschirmt und hatten einen klaren Blick auf die Lichter am Himmel.

Zuerst war Amdi vom Nordlicht verzaubert gewesen. So ging es sogar manchen von seinen Lehrern. Sie sagten, dieser Teil der Welt sei einer der besten, wenn man das Glühen am Himmel sehen wolle. Mitunter war es so schwach, dass es vom Widerschein der Kerzen auf dem Schnee ausgelöscht wurde. Ein andermal lief es von Horizont zu Horizont: grünes Licht mit Spuren von Rosa dazwischen, das sich bog, als ob es von einem langsamen Wind gekräuselt würde.

Er und Jefri konnten sich jetzt sehr leicht unterhalten, freilich immer in Jefris Sprache. Der Mensch vermochte viele Laute der Zwischenrudel-Sprache nicht hervorzubringen, selbst Amdis Name war in seiner Aussprache kaum wiederzuerkennen. Aber Amdi verstand ziemlich gut Samnorsk; es machte Spaß, eine Geheimsprache zu haben.

Jefri war vom Nordlicht nicht sonderlich beeindruckt. »Zu Hause haben wir das massenhaft. Es ist bloß Licht von…« Er sagte ein neues Wort und warf einen Blick auf Amdi. Es war komisch, dass der Mensch nur an eine Stelle zugleich schauen konnte. Seine Augen und sein Kopf bewegten sich andauernd. »… weißt du, die Orte, wo die Menschen Dinge herstellen. Ich glaube, das Gas oder Abfall strömt durch ein kleines Leck aus und wird von der Sonne beleuchtet, oder es wird…« Wieder etwas Unverständliches.

»Orte, wo die Menschen Dinge herstellen?« 7m Himmel? Amdi hatte einen Globus, er kannte die Größe der Welt und ihre Ausrichtung im Raum. Wenn das Nordlicht den Sonnenschein reflektierte, musste es Hunderte von Meilen über dem Erdboden sein! Amdi lehnte einen Rücken gegen Jefris Jacke und stieß ein sehr menschliches Pfeifen aus. Seine Kenntnis der Geographie reichte nicht an die in Geometrie heran, aber: »Die Rudel arbeiten nicht im Himmel, Jefri. Wir haben nicht einmal fliegende Boote.«

»Hm, das ist wahr… Dann weiß ich nicht, was das für ein Zeug ist. Aber es gefällt mir nicht. Es verdeckt die Sterne.« Amdi wusste alles über die Sterne, Jefri hatte es ihm gesagt. Irgendwo da draußen waren die Freunde von Jefris Eltern.

Ein paar Minuten lang schwieg Jefri. Er schaute nicht mehr zum Himmel. Amdi schob sich ein bisschen näher heran, während er das wogende Licht am Himmel beobachtete. Hinter ihnen glänzte das gelbe Licht der Fackeln auf dem vom Wind geschärften Kamm der Schneewehe. Amdi konnte sich vorstellen, woran der andere dachte. »Die Kom-Geräte im Boot, sie taugen wirklich nicht, um Hilfe zu rufen?«

Jefri schlug mit der Hand auf den Boden. »Nein! Das habe ich dir doch gesagt. Sie sind bloß Radio. Ich denke, ich kann sie in Gang bringen, aber wozu? Das Zeug für die Ultrawelle ist noch im Boot, und es ist zu groß, um es zu bewegen. Ich begreife einfach nicht, warum mich Herr Stahl nicht an Bord lassen will… Ich bin acht Jahre alt, weißt du. Ich könnte es herausbekommen. Mutti hatte alles schon eingestellt, ehe…« Seine Worte verrannen in der vertrauten Stille der Verzweiflung.

Amdi rieb einen Kopf an Jefris Schulter. Er hatte eine Theorie über Herrn Stahls Zögern. Es war eine Erklärung, die er Jefri noch nicht mitgeteilt hatte: »Vielleicht hat er Angst, dass du einfach davonfliegst und uns verlässt.«

»So ein Unsinn! Ich würde dich niemals verlassen. Außerdem ist das Boot echt schwer zu fliegen. Es sollte eigentlich nie auf einer Welt landen.«

Jefri sagte die seltsamsten Dinge, manchmal verstand ihn Amdi einfach falsch — aber manchmal waren sie buchstäblich wahr. Hatten die Menschen wirklich Schiffe, die niemals auf den Erdboden herabkamen? Wohin flogen sie dann? Amdi konnte geradezu fühlen, wie sich in seinem Verstand neue Bezugsskalen klickend zusammenfügten. Herrn Stahls Globus stellte nicht die Welt dar, sondern etwas sehr, sehr Kleines im wirklichen Gefüge der Dinge.

»Ich weiß, dass du uns nicht verlassen würdest. Aber du verstehst, dass Herr Stahl es befürchten könnte. Er kann nicht einmal mit dir reden, außer durch mich. Wir müssen ihm beweisen, dass er uns vertrauen kann.«

»Das glaube ich auch.«

»Wenn wir beide die Radios in Gang bekommen könnten, könnte es uns helfen. Ich weiß, dass meine Lehrer nicht damit zurecht gekommen sind. Herr Stahl hat eins, aber ich glaube, er versteht es auch nicht.«