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»Hm. Wenn wir das andere in Gang bringen könnten…«

An diesem Nachmittag erhielten die Wachen eine Ruhepause: Ihre beiden Schützlinge kamen frühzeitig aus der Kälte herein. Die Wachen zweifelten nicht an ihrem Glück.

Stahls Bau hatte ursprünglich dem Meister gehört. Er unterschied sich sehr von den Versammlungssälen der Burg. Abgesehen von Chören passte nur ein einzelnes Rudel in jeden Raum. Nicht, dass die Zimmerflucht klein gewesen wäre. Es gab fünf Räume, das Bad nicht gerechnet. Doch außer der Bibliothek war keiner von ihnen breiter als fünfzehn Fuß. Die Decken waren niedrig, weniger als fünf Fuß; es gab keinen Platz für Besuchergalerien. Diener standen immer in den beiden Korridoren bereit, die mit einer Wand an die Wohnung grenzten. Esszimmer, Schlafzimmer und Bad hatten kleinere Öffnungen, eben groß genug, um Befehle zu geben oder Speise und Trank zu erhalten, oder um sie als Garderobe zu benutzen.

Der Haupteingang wurde außen von drei Rudeln Soldaten bewacht. Natürlich hätte der Meister niemals in einem Bau mit nur einem Ausgang gewohnt. Stahl hatte acht geheime Durchgänge gefunden (drei im Schlafraum). Sie konnten nur von innen geöffnet werden und führten in ein Labyrinth, das Flenser im Innern der Burgmauern gebaut hatte. Niemand kannte die Ausdehnung dieses Labyrinths, nicht einmal der Meister. In den Jahren seit Flensers Abreise hatte Stahl Teile davon umbauen lassen — insbesondere die Gänge, die aus diesem Bau führten.

Die Wohnung war beinahe uneinnehmbar. Selbst wenn die Burg fiel, war die Speisekammer der Zimmer für ein halbes Jahr versorgt; für die Belüftung sorgte ein Netz von Kanälen, das fast ebenso ausgedehnt wie die Geheimgänge des Meisters war. Alles in allem fühlte sich Stahl hier nur halbwegs sicher. Es war allemal möglich, dass es mehr als acht geheime Eingänge gab, vielleicht auch einen, der von der anderen Seite geöffnet werden konnte.

Und natürlich kamen Chöre nicht in Frage, weder hier noch sonstwo. Der einzige Sex außerhalb des Rudels, den sich Stahl erlaubte, fand mit Solos statt — und das als Teil seiner Experimente; es war einfach zu gefährlich, das eigene Selbst mit anderen zu vermischen.

Nach dem Essen schlenderte Stahl in die Bibliothek. Er machte es sich rund um sein Lesepult gemütlich. Zwei von ihm nippten am Branntwein, während ein anderer südliche Kräuter rauchte. Das tat er zum Vergnügen, aber auch aus Berechnung: Stahl wusste genau, welche Laster bei welchen Gliedern seine Phantasie aufs Äußerste schärften.

… Und immer deutlicher wurde ihm klar, dass im gegenwärtigen Spiel Phantasie mindestens so wichtig war wie die bloße Intelligenz. Das Pult in seiner Mitte war bedeckt von Karten, Berichten aus dem Süden, internen Sicherheitsnotizen. Doch zwischen all dem Seidenpapier lag wie eine Elfenbeinschnecke in ihrem Nest das fremde Radio. Sie hatten zwei aus dem Schiff geborgen. Stahl nahm das Ding, strich mit einer Nase die glatten gekrümmten Seiten entlang. Nur das feinste gespannte Holz — und das in Musikinstrumenten und Plastiken — kam ihm an Anmut gleich. Und doch behauptete das Pfahlwesen, man könnte damit über Dutzende von Meilen hinweg sprechen, so schnell wie ein Sonnenstrahl. Wenn das wahr war… Stahl fragte sich, wie viele verlorene Schlachten mit diesen Geräten hätten gewonnen werden können, wie viele neue Eroberungen sicher in Angriff genommen werden konnten. Und wenn sie lernen könnten, wie man Weitsprecher herstellte…, dann würden die Unterführer der Bewegung, über den Kontinent verstreut, so nahe wie die Wachen vor Stahls Bau sein. Keine Macht der Welt könnte ihnen widerstehen.

Stahl griff nach dem neuesten Bericht aus Holzschnitzerheim. In vielerlei Beziehung hatten sie dort mehr Erfolg mit ihrem Fremden als Stahl mit seinem. Augenscheinlich war ihrer fast erwachsen. Wichtiger noch, er hatte eine wunderbare Bibliothek, die fast wie ein lebendes Wesen befragt werden konnte. Es hatte drei andere Datios gegeben. Stahls Weißjacks hatten ihre Überreste in den ausgebrannten Trümmern rings um das Schiff gefunden. Jefri glaubte, die Prozessoren des Schiffs ähnelten ein bisschen einem Datio, ›nur dümmer‹ (Amdis bestmögliche Übersetzung), doch bislang waren die Prozessoren nutzlos gewesen.

Mit ihrem Datio aber hatten etliche von Holzschnitzerins Leuten schon die Sprache der Pfahlwesen erlernt. Jeden Tag entdeckten sie mehr über die Zivilisation der Fremden als Stahls Diener in zehn Tagen. Er lächelte. Sie wussten nicht, dass alles von Bedeutung zuverlässig zur Verborgenen Insel weitergemeldet wurde… Er würde ihnen ihr Spielzeug vorerst lassen, und ihr Pfahlwesen auch; sie hatten etliche Dinge bemerkt, die ihm entgangen wären. Dennoch haderte er mit dem Glück.

Stahl durchblätterte den Bericht… Gut. Das Fremde in Holzschnitzerheim war noch nicht zur Zusammenarbeit bereit. Er fühlte, wie sein Lächeln zum Gelächter anwuchs: es war eine Kleinigkeit, das Wort des Geschöpfs für die Rudel. Der Bericht versuchte, das Wort zu buchstabieren. Egal, die Übersetzung lautete ›Krallen‹ oder ›Klauen‹ . Das Pfahlwesen hatte besonders große Angst vor den Stahlklauen, die die Soldaten an den Vorderpfoten trugen. Stahl leckte nachdenklich am schwarzen Emaille seiner manikürten Krallen. Interessant. Krallen konnten etwas Bedrohliches sein, aber sie machten zum Teil auch die Person aus. Klauen waren ihre mechanische Verlängerung und konnten mehr Angst machen. Es war die Art Name, den man sich für eine Elitetruppe von Killern vorstellen konnte — aber niemals für alle Rudel. Schließlich gehörten zur Rasse der Rudel auch die Schwachen, die Armen, die Freundlichen, die Naiven… ebenso wie Personen vom Schlage Stahls und Flensers. Man konnte etwas sehr Interessantes über die Psychologie der Pfahlwesen daraus entnehmen, dass das Geschöpf Klauen als den charakteristischsten Zug der Rudel ausgewählt hatte.

Stahl lehnte sich vom Pult zurück und schaute auf die Landschaft, die rundum auf die Wände der Bibliothek gemalt war. Es war ein Blick von den Burgtürmen. Hinter der Farbe wurden die Wände von Mustern aus Glimmer und Quarz und Fasern durchzogen, die Echos erzeugten einen vagen Eindruck von dem, was man hören konnte, wenn man über den Stein und die Leere hinwegschaute. Kombinierte Tonbilder waren selten in der Burg, und dieses war besonders gut gemacht; Stahl konnte fühlen, wie er sich bei der Betrachtung entspannte. Für einen Moment ließ er sich treiben und seiner Phantasie freien Lauf.

Klauen. Es gefällt mir. Wenn das die Vorstellung des Fremden war, dann war es der richtige Name für seine Rasse. Seine armseligen Berater — und manchmal sogar das Flenser-Fragment — waren immer noch von dem Schiff von den Sternen eingeschüchtert. Zweifellos enthielt dieses Schiff Macht, die alles in der Welt überstieg. Doch nach der ersten Panik hatte Stahl begriffen, dass die Fremden nicht übernatürlich begabt waren. Sie waren einfach über den gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft seiner Welt hinaus fortgeschritten, in einem Sinne, von dem Holzschnitzerin so viel redete. Gewiss war die fremde Zivilisation im Augenblick eine tödliche Unbekannte. Sie mochte wirklich imstande sein, diese Welt zu Asche zu verbrennen. Doch je mehr Stahl sah, umso deutlicher erkannte er die immanente Minderwertigkeit der Fremden: Was für eine bizarre Missbildung waren sie doch, eine Rasse von intelligenten Solos. Jedes von ihnen musste von Null auf aufgezogen werden, wie ein ganz neugeborenes Rudel. Erinnerungen konnten nur durch Stimme und Schrift weitergegeben werden. Jedes Geschöpf wuchs und alterte und starb sogar als Ganzes. Gegen seine Natur erschauderte Stahl.

Er hatte einen langen Weg von den ersten Fehleinschätzungen, den ersten Ängsten zurückgelegt. Seit mehr als dreißig Tagen schmiedete er nun Pläne, wie er das Sternenschiff zur Weltherrschaft benutzen könnte. Das Pfahlwesen sagte, dass das Schiff Signale an andere aussandte. Das hatte manche von seinen Dienern so verängstigt, dass sie das Wasser nicht mehr halten konnten. Also: Früher oder später würden weitere Schiffe eintreffen. Die Weltherrschaft war kein praktikables Ziel mehr… Es war an der Zeit, nach mehr zu streben, nach Dingen, die sich nicht einmal der Meister je hatte träumen lassen. Man brauchte ihnen nur ihre technischen Vorteile zu nehmen, und die Pfahlwesen waren solch beschränkte, verletzliche Wesen. Sie sollten leichte Beute für einen Eroberer sein. Selbst ihnen schien das klar zu sein. Klauen nennt uns das Geschöpf. So wird es sein. Eines Tages werden die Klauen zwischen den Sternen einherschreiten und dort herrschen.