Dann waren sie in den Booten und wurden über die Meerenge gerudert. Das Wasser schwappte wie kaltes schwarzes Gestein um die Bootsrümpfe.
Als sie das andere Ufer erreichten, ragte der Schiffsberg über ihnen auf, höher, als je eine Burg sein konnte. Jede Minute brachte neue Eindrücke, neue Welten.
Sie brauchten eine halbe Stunde, um den Gipfel dieses Berges zu erreichen, obwohl ihre Wagen von Cherhogs gezogen wurden und niemand zu Fuß ging. Amdi schaute in alle Richtungen, ergriffen von der Landschaft, die sich im Schein des Nordlichts unter ihnen ausbreitete. Anfangs schien Jefri genauso begeistert zu sein, doch als sie den Gipfel erreicht hatten, blickte er sich nicht mehr um und klammerte sich an seinen Freund, dass es fast weh tat.
Herr Stahl hatte Schutzmauern um das Sternenschiff errichten lassen. Drinnen war die Luft ruhig und ein wenig wärmer. Jefri stand am Fuß der zerbrechlich wirkenden Stufenleiter und blickte hinauf zu dem Licht, das aus der offenen Luke des Schiffes strömte. Amdi fühlte, wie er zitterte.
»Macht ihm seine eigene Flugmaschine Angst?«, fragte Tyrathect.
Doch Amdi kannte mittlerweile die meisten von Jefris Ängsten und verstand den größten Teil der Verzweiflung. Wie wäre mir zumute, wenn Herr Stahl umgebracht würde? »Nein, keine Angst. Es ist die Erinnerung an das, was hier geschehen ist.«
Stahl sagte sanft: »Sag ihm, wir können wiederkommen. Er muss nicht heute hineingehen.«
Jefri schüttelte den Kopf, als er den Vorschlag hörte, konnte aber nicht gleich antworten. »Ich muss weitermachen. Ich muss tapfer sein.« Er ging langsam die Leiter hinauf und blieb auf jeder Stufe stehen, um sich zu vergewissern, dass Amdi noch bei ihm war. Die Welpen wurden hin und her gerissen zwischen der Sorge um Jefri und dem wilden Verlangen, sich in das wunderbare Geheimnis zu stürzen.
Dann waren sie durch die Luke hindurch und in der seltsamen Welt der Zweibeiner: helles bläuliches Licht, Luft so warm wie in der Burg… und Dutzende von geheimnisvollen Dingen. Sie gingen an die andere Seite des großen Raums, und Herr Stahl steckte ein paar Köpfe durch den Eingang. Seine Gedankentöne erzeugten laute Echos rings um ihn. »Ich habe die Wände gepolstert, Amdi, aber trotzdem ist hier nur für einen von uns Platz.«
»Hm… ja.« Es gab Echos, und Stahls Verstand klang sonderbar grimmig.
»Es ist an dir, unseren Freund hier zu beschützen und mich alles wissen zu lassen, was du siehst.« Er zog sich zurück, sodass nur noch ein Kopf zu ihnen hereinschaute.
»Ja. Ja! Das werde ich tun.« Es war das erste Mal, dass jemand außer Jefri ihn wirklich brauchte.
Jefri ging schweigend in dem Raum mit seinen schlafenden Freunden umher. Er weinte nicht mehr und war nicht in der stillen Beklemmung, die ihn oft ergriff. Er strich mit den Händen leicht über die Särge und schaute auf die Gesichter darin. So viele Freunde, dachte Amdi, die darauf warten, erweckt zu werden. Wie werden sie sein?
»Die Wände? Ich erinnere mich nicht an das da…«, sagte Jefri. Er berührte die schwere Polsterung, die Stahl hatte anbringen lassen.
»Es lässt den Raum besser klingen«, sagte Amdi. Er zog an den Lappen, neugierig, was wohl dahinter sein mochte: Grüne Wand, wie Stein und Stahl zugleich…, und bedeckt von winzigen Buckeln und Fäden von Grau. »Was ist das?«
Jefri blickte über Amdis Schultern. »Och. Schimmel. Er hat sich ausgebreitet. Ich bin froh, dass Herr Stahl ihn zugedeckt hat.« Der Menschenjunge ging wieder weg. Amdi blieb eine Sekunde länger stehen und streckte mehrere Köpfe nahe zu dem Zeug hinauf. Schimmel und Pilz waren ein ständiges Problem in der Burg, die Leute machten andauernd sauber — und Amdi hielt das für abwegig. Er mochte Pilz gut leiden, es war etwas, das auf dem härtesten Fels wachsen konnte. Und dieses Zeug war besonders seltsam. Manche von den Klümpchen waren fast einen halben Zoll hoch, aber fein wie fester Rauch.
Der zurückblickende Teil von ihm sah, dass Jefri zu der inneren Kabine gegangen war. Zögernd folgte ihm Amdi.
Dieses erste Mal blieben sie nur eine Stunde lang im Schiff. In der inneren Kabine schaltete Jefri die Zauberfenster an, die nach allen Richtungen schauten. Amdi saß da, und ihm gingen die Augen über; das war ein Ausflug in den Himmel.
Für Jefri war es etwas anderes. Er hockte sich in eine Hängematte und starrte die Steuerpulte an. Die Spannung wich langsam aus seinem Gesicht.
»Mir… mir gefällt es hier«, sagte Amdi zögernd, leise.
Jefri wiegte sich sachte in der Hängematte. »… Ja.« Er seufzte. »Ich hatte solche Angst…, aber wenn ich hier bin, fühle ich mich näher bei…« Er streckte die Hand aus, um zärtlich über die Steuertafel zu streichen, die neben der Hängematte hing. »Mein Vati ist mit dem Ding gelandet, hier hat er gesessen.« Er wandte sich um, schaute auf eine glänzende Lichttafel über sich. »Und Mutti hat die Ultrawelle schon eingestellt… Sie haben alles getan. Und jetzt sind nur noch wir beide da, Amdi. Sogar Johanna ist fort… Es liegt alles an uns.«
VRINIMI-KLASSIFIKATION: Organisationsintern GEHEIM. Nicht zur Verbreitung außerhalb von Ring 1 des lokalen Netzes.
TRANSCEIVER RELAIS00 SUCHLOG:
BEGINN: 19:40:40 Dockzeit, 17.1. im Org-Jahr 52.090 [128,13 Tage seit dem Untergang des Straumli-Bereichs]
Sendeschleife nach Verbindungszweigsyntax 14 auf zugeordnetem Überwachungsmodul entdeckt. Signalstärke und S/N kompatibel zu vorher entdecktem Automatiksignal.
SPRACHPFAD: Samnorsk, SjK:Relais-Einheiten
VON: Jefri Olsndot in ich weiß nicht wo
GEGENSTAND: Hallo. Ich heiß Jefri Olsndot. Unser Schiff ist kaput udnd wir brauchen hilfe. bBitte antwortet.
ZUSAMMENFASSUNG: Tut mir Leid wenn ich was falsch mach. Diese Tasten sind DOOF!
SCHLAGWÖRTER: Weiß nicht
AN: jeden zum Weitergeben
TEXT DER BOTSCHAFT: [leer]
FÜNFZEHN
Zwei Skrodfahrer spielten in der Brandung.
»Glaubst du, dass sein Leben in Gefahr ist?«, fragte der eine mit der grünen unteren Muschelschale.
»Wessen Leben?«, erwiderte der andere, ein großer Fahrer mit schlankem bläulichen Stiel.
»Von Jefri Olsndot, dem Menschenkind.«
Blaustiel seufzte und befragte seinen Skrod. An den Strand kommt man, um die Alltagssorgen zu vergessen, doch Grünmuschel wollte sie nicht sein lassen. Er durchmusterte den Gedächtnisverstärker nach ›Gefahr für Jefri‹ . »Natürlich ist er in Gefahr, du Schussel! Sieh dir die letzten Botschaften von ihm an.«
»Oh.« Grünmuschels Ton drückte Verlegenheit aus. »Entschuldige die unvollständige Erinnerung« — genug, um sich Sorgen zu machen, mehr aber nicht. Sie verstummte; nach einer Weile hörte er sie wohlig summen. Die Brandung schlug endlos an ihnen vorbei.
Blaustiel öffnete sich dem Wasser und schmeckte das Leben, das in der Kraft der Wellen wirbelte. Es war ein schöner Strand. Er war wahrscheinlich einmalig — und das konnte man von den wenigsten Dingen im Jenseits sagen. Wenn die Gischt von ihren Körpern zurückwich, sahen sie den indigofarbenen Himmel, der sich von einer Seite der Docks zur anderen breitete, und das Glitzern der Sternenschiffe. Wenn die Brandung herankam, tauchten die beiden Fahrer in dem kalten Strudel unter, umgeben von Korallesken und Geschöpfen der Gezeitenzone, die hier ihre kleinen Behausungen bauten. Und bei ›Hochwasser‹ blieb die Beugung des Meeres für etwa eine Stunde konstant. Dann wurde das Wasser klarer, und bei Tageslicht konnten sie Fleckchen von dem glasigen Meeresgrund sehen — und durch sie hindurch tausend Kilometer tiefer die Oberfläche von DaUnten.