Выбрать главу

Johanna hatte ihren Bungalow erreicht. Sie blieb unter seinen vorgewölbten Wänden stehen und blickte über den Hof. Ja, es sah ein bisschen wie auf der mittelalterlichen Nyjora aus. Aber die Geschichten aus dem Zeitalter der Fürstinnen hatten nicht die unversöhnliche Kraft vermittelt, die in solch einer Welt steckte: Der Regen rann, soweit ihr Blick reichte. Ohne anständige Technik konnte sogar ein kalter Regen tödlich sein, und der Wind auch. Und das Meer war nichts für eine nachmittägliche Segelpartie; sie dachte an wogende Hügelchen von Kälte, vom Regen zerknittert… und ohne Ende. Sogar die Wälder rings um die Stadt waren bedrohlich. Es war leicht, in sie hineinzuspazieren, doch es gab keine Radioorter, keine als Baumstümpfe getarnten Erfrischungsstände. Wenn man sich verirrte, würde man einfach umkommen. Nyjoranische Märchen erhielten jetzt eine besondere Bedeutung für sie: Es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft, um die Elementargeister von Wind und Regen und Meer zu erfinden. Das war die Erfahrung aus der Zeit vor der Technik, dass einen, selbst wenn man keine Feinde hatte, die Welt selbst töten konnte.

Und sie hatte eine Menge Feinde. Johanna zog die winzige Tür auf und ging hinein.

Ein Klauenrudel saß um das Feuer. Es rappelte sich auf und half Johanna aus der Regenjacke. Sie zuckte nicht mehr unter der Berührung der scharfzahnigen Schnauzen zusammen. Es war einer ihrer üblichen Gehilfen, fast konnte sie sich die Mäuler als Hände vorstellen, die geschickt die Ölfell-Jacke von ihren Schultern zogen und sie neben das Feuer hängten.

Johanna warf Stiefel und Hose ab und nahm den gefütterten Mantel entgegen, den das Rudel ihr reichte.

»Essen. Jetzt«, sagte sie.

»Gut.«

Johanna setzte sich auf ein Kissen neben der Feuergrube. Eigentlich waren die Klauenwesen noch primitiver als die Menschen auf der Nyjora: Die Klauenwelt war keine herabgesunkene Kolonie. Sie hatten hier nicht einmal Legenden als Wegweiser. Hygiene war eine fragwürdige Angelegenheit. Vor Holzschnitzerins Zeiten hatten die Klauenärzte ihre Patienten/Opfer zur Ader gelassen… Sie wusste jetzt, dass sie im hiesigen Gegenstück zu einer Luxussuite wohnte. Die sorgfältig polierten Möbel waren nicht das Übliche. Die auf Säulen und Wände gemalten Muster hatten viele Stunden Arbeit erfordert.

Johanna legte das Kinn in die Hände und starrte in die Flammen. Vage nahm sie das Rudel wahr, das um die Grube schritt und Töpfe übers Feuer hängte. Dieses hier sprach sehr wenig Samnorsk, es nahm nicht an Holzschnitzerins Datio-Projekt teil. Vor vielen Wochen hatte Narbenhintern sie gebeten, bei ihr einziehen zu dürfen — was konnte besser sein, um den Lernvorgang zu beschleunigen? Johanna erschauderte bei der Erinnerung. Sie wusste, dass der Narbige nur ein einzelnes Glied war, dass das Rudel, das Vati umgebracht hatte, selbst gestorben war. Johanna verstand es, doch jedesmal, wenn sie ›Wanderer‹ sah, sah sie den Mörder ihres Vaters fett und froh dasitzen, bemüht, sich hinter seinen drei kleineren Gefährten zu verstecken. Johanna lächelte in die Flammen, als sie daran dachte, wie sie Narbenhintern ein Ding verpasst hatte, als er den Vorschlag machte. Sie hatte die Beherrschung verloren, aber es hatte sich gelohnt. Niemand schlug mehr vor, dass ›Freunde‹ dieses Haus mit ihr teilen sollten. An den meisten Abenden ließen sie sie allein. Und manchmal nachts… schienen Vati und Mutti so nahe zu sein, vielleicht gleich draußen, dass sie sie nur zu bemerken brauchte. Obwohl sie sie hatte sterben sehen, weigerte sich etwas in ihr, ihren Tod zu akzeptieren.

Küchengerüche drangen durch den vertrauten Tagtraum zu ihr. An diesem Abend gab es Fleisch und Bohnen mit etwas wie Zwiebeln. Welch eine Überraschung. Das Zeug roch gut; wenn es wenigstens ein bisschen Abwechslung gegeben hätte, wäre Johanna froh gewesen. Aber Johanna hatte seit sechzig Tagen kein frisches Obst gesehen. Pökelfleisch und Gemüse war alles, was es im Winter gab. Wenn Jefri hier wäre, würde er ausflippen. Es war Monate her, dass die Nachricht von Holzschnitzerins Spionen oben im Norden gekommen war: Jefri war bei dem Überfall umgekommen… Johanna kam allmählich darüber hinweg, wirklich. Und ganz allein zu sein, machte es in gewisser Weise… einfacher.

Das Rudel stellte einen Teller mit Fleisch und Bohnen vor ihr hin, zusammen mit einer Art Messer. Oh, gut. Johanna griff nach dem gekrümmten Heft (zur Seite gebogen, damit die Klauenkiefer es halten konnten) und schnitt drauflos.

Sie war fast fertig, als höflich an der Tür gekratzt wurde. Ihr Diener brabbelte etwas. Der Besucher antwortete und sagte dann in ziemlich gutem Samnorsk (und mit einer Stimme, die unheimlich ihrer eigenen glich): »Hallo, ich heiße Schreiber. Ich würde gern ein bisschen reden, ja?«

Eins von dem Diener blickte sich zu ihr um, während die anderen die Tür beobachteten. Schreiber war der, den sie bei sich den Aufgeblasenen Clown nannte. Er war mit Narbenhintern beim Überfall dabeigewesen, doch er war so ein Dummkopf, dass sie sich von ihm kaum bedroht fühlen konnte.

»Gut«, sagte sie und ging auf die Tür zu. Ihr Diener (Leibwächter) nahm Armbrüste zwischen die Kiefer, und alle fünf Glieder gingen die Bodentreppe hinauf — hier unten reichte der Platz nur für ein Rudel.

Zusammen mit ihrem Besucher wehten Kälte und Nässe herein. Johanna wich auf die andere Seite des Feuers zurück, während Schreiber seine Regenjacken auszog. Die Rudelglieder schüttelten sich, wie es Hunde tun, geräuschvoll und komisch anzusehen — und man mochte nicht in der Nähe sein, wenn sie es taten.

Schließlich schlenderte Schreiber an die Feuergrube. Unter der Regenkleidung trug er Jacken mit den üblichen Tragriemen und den Öffnungen hinter den Schultern und auf den Hüften. Schreibers Jacken schienen aber über den Schultern gepolstert zu sein, damit seine Glieder schwerer aussahen, als sie wirklich waren. Eins von ihm schnüffelte an ihrem Teller, während die anderen hierhin und dahin blickten…, aber niemals direkt zu ihr hin.

Johanna schaute auf das Rudel hinab. Es fiel ihr immer noch schwer, zu mehr als einem Gesicht zu sprechen; meistens suchte sie sich eins aus, das sie gerade ansah. »Und? Worüber willst du mit mir sprechen?«

Einer von den Köpfen blickte sie endlich an. Er leckte sich die Lippen. »Gut. Ja. Ich dachte, ich sehe nach, wie es dir geht? Ich meine…« Kollern. Ihr Diener antwortete von oben her, vermutlich berichtete er, in welcher Stimmung sie sich befand. Schreiber straffte sich. Vier von seinen sechs Köpfen schauten Johanna an. Seine beiden anderen Glieder gingen hin und her, als überdächten sie etwas Wichtiges. »Sieh. Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, aber ich habe mich immer sehr gut in Charakteren ausgekannt. Ich weiß, dass du hier nicht glücklich bist…«

Aufgeblasener Clown kannte sich auch hervorragend mit dem Offensichtlichen aus.

»… und ich kann das verstehen. Aber wir tun unser Bestes, um dir zu helfen. Wir sind nicht die schlechten Leute, die deine Eltern und deinen Bruder umgebracht haben.«

Johanna stemmte eine Hand gegen die niedrige Decke und beugte sich vor. Ihr seid alle Totschläger, ihr habt nur zufällig dieselben Feinde wie ich. »Das weiß ich, und ich arbeite mit euch zusammen. Ohne mich würdet ihr immer noch mit dem Kindermodus des Datios spielen. Ich habe euch die Leselektionen gezeigt; wenn ihr eine Spur von Verstand habt, werdet ihr bis zum Sommer über Schießpulver verfügen.« Der Olifant war ein überkommenes Spielzeug, ein Liebling zum Knuddeln, dem sie seit Jahren entwachsen sein sollte. Aber es war Geschichte darin — Erzählungen von den Königinnen und Fürstinnen der Dunklen Zeitalter, und wie sie gekämpft hatten, um die Dschungel zu besiegen, die Städte wieder aufzubauen und dann die Raumschiffe. Halb verborgen in obskuren Verweispfaden gab es auch exakte Zahlen, die Geschichte der Technik. Schießpulver gehörte zu den einfachsten Dingen. Wenn sich das Wetter aufklärte, würden ein paar geologische Suchexpeditionen aufbrechen; Holzschnitzerin kannte Schwefel schon, hatte aber keine nennenswerten Mengen in der Stadt. Geschütze herzustellen, würde schwieriger sein. Dann aber… »Dann werden eure Feinde tot sein. Deine Leute bekommen, was sie von mir wollen. Worüber beklagst du dich also?«