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Johanna zog sich in die rauchige Wärme zurück und schloss die Tür. Sie hätte triumphieren müssen.

ACHTZEHN

Schreiber Yaqueramaphan erzählte niemandem von seiner Begegnung mit dem Zweibeiner. Natürlich hatte Feilonius’ Wache alles mitgehört. Der Bursche sprach vielleicht nicht viel Samnorsk, aber sicherlich hatte er den allgemeinen Verlauf des Streits mitbekommen. Die Leute würden früher oder später davon erfahren.

Ein paar Tage lang blies er in der Burg Trübsal, verbrachte etliche Stunden über die Reste seines Notizbuchs gekauert und versuchte, die Zeichnungen wiederherzustellen. Es sollte eine Weile dauern, ehe er wieder eine Sitzung mit dem Datio besuchte, vor allem, wenn Johanna dabei war. Schreiber wusste, dass die restliche Welt ihn für aufdringlich hielt, aber er hatte wirklich eine Menge Mut gebraucht, um so zu Johanna hineinzugehen. Er wusste, dass seine Ideen genial waren, doch sein ganzes Leben lang hatten ihm phantasielose Leute das Gegenteil gesagt.

In vielerlei Hinsicht war Schreiber ein Glückspilz. Er war als Spaltungsrudel in Rangathir geboren worden, am östlichen Rand der Republik. Sein Elter war ein wohlhabender Kaufmann gewesen. Yaqueramaphan hatte manche Züge seines Elters, doch ihm ging die dumpfe Geduld ab, die für die alltägliche Arbeit im Geschäft nötig war. Sein Geschwisterrudel hatte von dieser Gabe mehr als genug geerbt, das Familiengeschäft wuchs, und das Geschwister gönnte — in den ersten Jahren — Schreiber seinen Anteil an dem Wohlstand. Von seinen frühesten Tagen an war Schreiber ein Intellektueller gewesen. Er las alles: Naturgeschichte, Biographien, Zuchtkunde. Zum Schluss hatte er die größte Bibliothek in Rangathir, über zweihundert Bücher.

Schon damals hatte Schreiber umwerfende Einfälle, Gedanken, die, richtig ausgeführt, sie zu den reichsten Kaufleuten in allen Ostprovinzen gemacht hätten. Leider hatten Pech und der Mangel an Phantasie bei seinem Geschwister seine frühen Ideen zum Scheitern verurteilt. Schließlich zahlte ihn sein Geschwister aus, und Yaqueramaphan zog in die Hauptstadt. Es war nur gut so. Mittlerweile hatte sich Schreiber auf sechs Glieder vermehrt, er musste mehr von der Welt sehen. Außerdem — es gab dort fünftausend Bücher in der Bibliothek, die Erfahrung der ganzen Geschichte und der ganzen Welt! Seine eigenen Notizbücher wurden selbst zur Bibliothek. Dennoch hatten die Rudel an der Universität keine Zeit für ihn. Sein Abriss einer Zusammenfassung der Naturgeschichte wurde von allen Schreibwarenhändlern abgelehnt, obwohl er kleine Teile davon auf eigene Kosten veröffentlichen ließ. Es war klar, dass es des Erfolges in der Welt der Taten bedurfte, ehe seine Ideen die verdiente Beachtung finden konnten; daher sein Spionageunternehmen: Das Parlament selbst würde ihm danken, wenn er mit den Geheimnissen von Flensers Verborgener Insel zurückkehrte.

Das lag fast ein Jahr zurück. Was seither geschehen war — mit dem fliegenden Haus und Johanna und dem Datio —, übertraf seine wildesten Träume (und Schreiber gab zu, dass diese Träume schon ziemlich extrem gewesen waren). Die Bibliothek im Datio enthielt Millionen von Büchern. Wenn Johanna ihm half, seine Ideen abzurunden, würden sie die Flenseristen vom Antlitz der Welt wegfegen. Sie würden ihr fliegendes Haus wiedergewinnen. Nicht einmal der Himmel wäre eine Grenze.

Wie sie nun alles zurückwies… Er begann sich zu fragen, wie es eigentlich um ihn stand. Vielleicht war sie bloß wütend auf ihn, weil er versucht hatte, Wanderer zu rechtfertigen. Sie würde Wanderer mögen, wenn sie es sich selbst nur erlaubte; dessen war er gewiss. Aber andererseits… vielleicht waren seine Ideen doch nicht so gut, zumindest im Vergleich zu denen der Menschen.

Der Gedanke bedrückte ihn ziemlich. Aber er stellte die Skizzen vollständig wieder her und hatte sogar ein paar neue Ideen. Vielleicht sollte er sich noch etwas Seidenpapier besorgen.

Wanderer schaute vorbei und überzeugte ihn, mit in die Stadt zu kommen.

Yaqueramaphan hatte sich ein Dutzend Erklärungen zurechtgelegt, warum er nicht mehr an den Sitzungen mit Johanna teilnahm. Er versuchte es mit zweien oder dreien davon, während er mit Wanderer die Burgstraße zum Hafen hinabging.

Nach ein, zwei Minuten wandte sein Freund einen Kopf zurück. »In Ordnung, Schreiber. Wenn dir danach ist, würden wir uns freuen, dich wieder dabei zu haben.«

Schreiber hatte die Haltung anderer ihm gegenüber immer gut beurteilen können; insbesondere merkte er, wenn er gönnerhaft behandelt wurde. Er musste etwas finster dreingeblickt haben, denn Wanderer fuhr fort: »Wirklich. Sogar Holzschnitzerin hat nach dir gefragt. Ihr gefallen deine Ideen.«

Ob das nun eine trostreiche Lüge war oder nicht, Schreibers Miene hellte sich auf. »Tatsächlich?« Die Holzschnitzerin von jetzt war eine traurige Angelegenheit, aber der Holzschnitzer aus den Geschichtsbüchern war einer von Yaqueramaphans großen Helden. »Ist mir niemand böse?«

»Na ja, Feilonius ist ein bisschen eingeschnappt. Er ist für die Sicherheit des Zweibeiners verantwortlich, und das macht ihn sehr nervös. Aber du hast nur etwas versucht, das wir alle tun wollten.«

»Tja.« Selbst wenn es kein Datio gäbe, selbst wenn Johanna Olsndot nicht von den Sternen gekommen wäre, wäre sie immer noch das faszinierendste Geschöpf auf der Welt: das Gegenstück eines Rudels in einem einzigen Körper. Man konnte geradewegs zu ihr hingehen, sie berühren, ohne die geringste Verwirrung zu verspüren. Zuerst war es beängstigend, doch sie alle empfanden es bald als anziehend. Für Rudel hatte Nähe immer Abwesenheit der Vernunft bedeutet — sei es beim Sex oder in der Schlacht. Man stelle sich vor, mit einem Freund am Feuer sitzen und eine intelligente Unterhaltung führen zu können! Holzschnitzerin hatte eine Theorie, wonach die Zivilisation der Zweibeiner womöglich von Natur effizienter als jede Rudelzivilisation und die Zusammenarbeit für die Menschen so leicht war, dass sie viel schneller lernten und bauten, als Rudel es könnten. Das einzige Problem bei dieser Theorie war Johanna Olsndot. Wenn Johanna ein normaler Mensch war, konnte man nur überrascht sein, dass diese Rasse überhaupt zusammenzuarbeiten vermochte. Manchmal war sie freundlich — für gewöhnlich in den Sitzungen mit Holzschnitzerin; sie schien zu verstehen, dass Holzschnitzerin gebrechlich war und ihre Gesundheit sich verschlechterte. Öfter war sie herablassend, sarkastisch, und sie schien das Beste, was sie für sie tun konnten, als Kränkung zu empfinden… Und manchmal war sie wie neulich abends. »Wie geht es mit dem Datio voran?«, fragte er nach einer Weile.

Wanderer zuckte die Achseln. »Ungefähr wie zuvor. Holzschnitzerin und ich können jetzt beide ziemlich gut Samnorsk lesen. Johanna hat uns beigebracht — mir über Holzschnitzerin, muss ich wohl sagen —, wie man die meisten Fähigkeiten des Datios benutzt. Es ist so viel darin, das die Welt verändern wird. Aber zunächst müssen wir uns auf die Herstellung von Schießpulver und Kanonen konzentrieren. Und gerade das — es wirklich zu tun —, geht langsam.«

Schreiber nickte wissend. Das war auch in seinem Leben das Hauptproblem gewesen.

»Immerhin, wenn wir alles bis Mittsommer schaffen, können wir vielleicht Flensers Armee entgegentreten und das fliegende Haus vor nächstem Winter zurückerobern.« Wanderer grinste über alle Gesichter. »Und dann, mein Freund, kann Johanna ihre Leute zu Hilfe rufen…, und wir werden unser ganzes Leben lang die Leute von draußen studieren können. Vielleicht pilgere ich zu Welten, die um andere Sterne kreisen.«

Das war eine Idee, über die sie schon früher gesprochen hatten. Wanderer hatte sogar noch vor Schreiber daran gedacht.

Sie bogen aus der Burgstraße in die Randgasse ein. Schreiber hatte wieder mehr Lust, die Schreibwarenläden zu besuchen; es musste einen Weg geben, wie er helfen konnte. Er blickte sich mit einem Interesse um, an dem es ihm die letzten Tage über gemangelt hatte. Holzschnitzerheim war eine recht große Stadt, fast so groß wie Rangathir — vielleicht zwanzigtausend Rudel lebten in ihren Mauern und in der unmittelbaren Umgebung. Dieser Tag war etwas kälter als die vorigen, aber es regnete nicht. Ein kalter, sauberer Wind strich durch die Marktgasse, er brachte schwache Gerüche von Schimmel und Abwässern, von Gewürzen und frisch gesägtem Holz. Dunkle Wolken hingen tief und verhüllten die Anhöhen rings um den Hafen. Frühling lag in der Luft. Schreiber stieß spielerisch mit den Pfoten nach dem Schneematsch an der Bordsteinkante.