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Pestgefahr

DATUM: 6,68 Tage seit dem Untergang von Relais

TEXT DER BOTSCHAFT:

Ich hatte keine Gelegenheit, das berühmte Video aus dem Straumli-Bereich zu sehen, außer als Zitat. (Mein einziger Zugang zum Netz ist sehr teuer.) Ist es wahr, dass Menschen sechs Beine haben? Ich bin nicht sicher, ob ich das Zitat richtig verstanden habe. Wenn diese Menschen drei Paar Beine haben, dann, glaube ich, gibt es eine einfache Erklärung für…

Hexapodie? Sechs Beine? Drei Paar Beine? Wahrscheinlich kam keine von diesen Übersetzungen dem nahe, was das verwirrte Geschöpf von Quirlipp im Sinn hatte. Ravna las diese Sendung nicht weiter.

CRYPTO: 0

EMPFANGEN VON: ADR ad hoc

SPRACHPFAD: Triskweline, SjK-Einheiten

VON: Hanse

[Keine Erwähnung vor dem Untergang von Relais. Keine wahrscheinliche Quelle. Das ist jemand sehr Vorsichtiges.]

GEGENSTAND: Bedrohung durch das PEST-Video, Khurvark Universität 1

VERTEILER:

Interessengruppe Kriegsbeobachter

Pestgefahr

DATUM: 8,68 Tage seit dem Untergang von Relais

TEXT DER BOTSCHAFT:

Die Khurvark Universität hält die PEST für einen Schwindel, weil Elemente des ehemaligen Regimes auf Straum überlebt haben. Es gibt eine andere Erklärung. Nehmen wir an, dass die PEST wirklich eine MACHT ist und ihre Behauptungen über eine wirksame Symbiose im Wesentlichen wahr sind. Das bedeutet, dass das Geschöpf, dem ›geholfen‹ wird, weiter nichts ist als ein ferngesteuerter Apparat, sein Gehirn einfach ein lokaler Prozessor, der die Kommunikation unterstützt. Würdet ihr euch gern auf diese Weise helfen lassen? Meine Frage ist nicht rein rhetorisch; der Leserkreis ist groß genug, dass vielleicht einige von euch mit ›ja‹ antworten würden. Die überwiegende Mehrheit der natürlich entwickelten, vernunftbegabten Wesen wäre jedoch von dem Gedanken abgestoßen. Sicherlich weiß die PEST das. Ich vermute, dass die PEST kein Schwindel ist — wohl aber die Behauptung, die Kultur im Straumli-Bereich habe überlebt. Die PEST möchte den Eindruck erwecken, dass nur einige direkt versklavt seien, dass Kulturen als Ganzes überleben würden. Bringt das mit der Behauptung der PEST in Zusammenhang, nicht alle Rassen könnten ferngelenkt werden. Zwischen den Zeilen lesen wir, dass immense Reichtümer den Rassen zugänglich sein werden, die sich mit dieser MACHT verbünden, dass die biologischen und intellektuellen Grundbedürfnisse jener Rassen aber weiterhin befriedigt werden.

Die Frage bleibt also offen. Wie gründlich hat die PEST die unterworfenen Rassen unter Kontrolle? Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es keinerlei bewusste Persönlichkeiten mehr im Jenseits der PEST, nur Milliarden ferngesteuerter Apparate. Eins ist klar: Die PEST braucht etwas von uns, das sie sich noch nicht nehmen kann.

Und so ging es weiter. Zehntausende Botschaften, Hunderte von Ansichten. Es wurde nicht umsonst das Netz der Million Lügen genannt. Ravna sprach jeden Tag mit Blaustiel und Grünmuschel darüber, versuchte sich die Dinge zusammenzureimen, zu entscheiden, welcher Interpretation sie glauben sollte.

Die Skrodfahrer kannten sich gut mit Menschen aus, doch selbst sie waren sich über den toten Gesichtsausdruck Øvn Nilsndots nicht völlig sicher. Und Grünmuschel kannte die Menschen gut genug, um zu wissen, dass keine Antwort Ravna zum Trost gereichen würde. Sie rollte vor dem Nachrichtenfenster auf und ab und streckte schließlich einen Wedel aus, um die Frau zu berühren. »Vielleicht kann Herr Pham es sagen, wenn er wieder wohlauf ist.«

Blaustiel war geschäftig, nüchtern. »Wenn Sie Recht haben, bedeutet das, dass es der PEST irgendwie egal ist, was Menschen und ihre Vertrauten erfahren. In mancher Hinsicht ergibt das Sinn, aber…« Sein Voder surrte einen Augenblick lang gedankenverloren. »Ich traue der Botschaft nicht. Vierhundert Sekunden Breitbandsendung, so reichhaltig, dass sie für viele verschiedene Rassen das ganze Sinnesspektrum abdeckt. Das ist eine enorme Menge Information, und das ohne jede Komprimierung… Vielleicht ist es ein schmackhaft gemachter Köder, den wir armen Jenseiter in jedes einzelne Nest von uns weiterleiten.« Dieser Verdacht war ebenfalls im Netz geäußert worden. Doch es gab keine ersichtlichen Strukturen in der Botschaft und nichts, was an die Netzwerkautomatik adressiert war. Derart feines Gift funktionierte vielleicht an der Obergrenze des Jenseits, doch nicht hier unten. Und das führte zu einer einfacheren Erklärung, einer, die sogar auf der Nyjora oder der Alten Erde plausibel gewesen wäre: Das Video war Tarnung für eine Botschaft an Agenten, die sich schon vor Ort befanden.

Feilonius war den Bewohnern von Holzschnitzerheim wohlbekannt — aber größtenteils aus den falschen Gründen. Er war etwa hundert Jahre alt, das Verschmelzungskind von Holzschnitzer mit zwei von seinen Strategen. In seinen jungen Jahrzehnten hatte Feilonius die Holzmühlen der Stadt geleitet. Unter anderem hatte er ein paar kluge Verbesserungen für Wasserräder erfunden. Feilonius hatte seine eigenen romantischen Beziehungen gehabt — größtenteils mit Politikern und Rednern. Immer stärker hatten seine Ersatzglieder in ihm die Neigung zur Öffentlichkeit verstärkt. Seit dreißig Jahren war er eine der stärksten Stimmen in Holzschnitzers Rat, seit zehn Reichskämmerer. In beiden Rollen hatte er sich für die Zünfte und für wohlgeordneten Handel eingesetzt. Es gab Gerüchte, wonach für den Fall, dass Holzschnitzerin abdanken oder zur Gänze sterben würde, Feilonius der nächste Ratsfürst wäre. Viele hielten das für das Beste, was man aus solch einer Katastrophe machen könnte — obwohl Feilonius’ hochtönende Reden schon immer die Geißel des Rates waren.

So sah die Öffentlichkeit Feilonius. Jeder, der sich in Dingen der Sicherheit auskannte, konnte außerdem erraten, dass Feilonius Holzschnitzerins Spione führte. Zweifellos hatte er Dutzende von Informanten in den Mühlen und auf den Docks. Doch jetzt wusste Schreiber, dass sogar das nur Tarnung war. Man stelle sich vor — Agenten im inneren Kreis der Flenseristen zu haben, ihre Pläne zu kennen, ihre Ängste, ihre Schwächen, und sie beeinflussen zu können! Feilonius war einfach unglaublich. Reuevoll musste Schreiber den mächtigen Genius des anderen anerkennen.

Und dennoch…, dieses Wissen bürgte nicht für den Sieg. Nicht alle Pläne der Flenseristen konnten direkt von der Spitze aus gelenkt sein. Manche Operationen des Feindes auf unteren Ebenen wurden vielleicht ohne deren Wissen und recht erfolgreich durchgeführt… und es bedurfte nur eines einzigen Pfeils, um Johanna Olsndot gänzlich zu töten.

Hier war Schreiber Yaqueramaphans Gelegenheit, seinen Wert zu beweisen.

Er bat darum, in die Außenmauer der Burg ziehen zu dürfen, in den dritten Stock. Es war nicht schwer, die Erlaubnis zu bekommen; seine neue Wohnung war kleiner, mit grob gepolsterten Wänden. Eine einzige Schießscharte erlaubte einen wenig erbaulichen Blick über das Vorfeld der Burg. Für Schreibers neuen Zweck war der Raum bestens geeignet. Die nächsten paar Tage wendete er daran, durch die Wachgänge zu schleichen. Die Hauptmauern waren von Tunnels durchzogen, fünfzehn Zoll breit und dreißig hoch. Schreiber konnte fast jeden Ort der Mauer erreichen, ohne von außen gesehen zu werden. Er trottete im Gänsemarsch von einem Tunnel in den nächsten und tauchte nur für ein paar Augenblicke auf einem Wall auf, um von Mauerzacke zu Schießscharte und zur nächsten Mauerzacke zu huschen, bald hier, bald da mit einem Kopf hervorlugend.

Natürlich traf er auf Wachposten, aber Yaqueramaphan hatte die Genehmigung, sich in den Mauern aufzuhalten…, und er hatte den Zeitplan der Wachen studiert. Sie wussten, dass er in der Nähe war, doch Schreiber war sich sicher, dass sie keine Ahnung vom Ausmaß seiner Bemühungen hatten. Es war harte, kalte Arbeit, aber es lohnte sich. Schreibers großes Ziel im Leben war es, etwas Sensationelles und Wertvolles zu tun. Die Schwierigkeit bestand nur darin, dass die meisten von seinen Ideen so tiefgründig waren, dass andere Rudel — sogar Leute, die er ungeheuer schätzte — sie nicht verstanden. Das war das Problem mit Johanna gewesen. Nun, noch ein paar Tage, und er könnte zu Feilonius gehen, und dann…